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Gewalt bei Polizeieinsatz Stimmungsmache mit falschem Video

Stand: 10.11.2022 11:03 Uhr

In den Sozialen Netzwerken kursiert ein Video, das einen gewaltsamen Polizeieinsatz bei einer Demonstration gegen hohe Energiepreise zeigen soll. Dabei ist das Material im Vorfeld eines Fußballspiels entstanden.

Von Carla Reveland und Pascal Siggelkow, Redaktion ARD-faktenfinder

"Eine deutsche Lektion in Staatsbürgerkunde" heißt es in einer beim Messengerdienst Telegram verbreiteten Nachricht, die ein Video von einem gewaltsamen Polizeieinsatz zeigt. Zu sehen ist, wie ein Polizeibeamter einen am Boden liegenden Mann mit dem Knie auf dem Gesicht fixiert und ihm mehrmals in den Nierenbereich schlägt. Laut Urheber der Nachricht handelt es sich bei dem Video um einem Einsatz der Bundespolizei gegen Demonstranten bei einem Protest gegen steigende Energiepreise.

Weiter heißt es in der Nachricht: "In der Bundesrepublik wurde das 'harte Durchgreifen' gegen einheimische Demonstranten parteienübergreifend begrüßt, wenn es sich um 'Maßnahmenproteste' handelte." Bei der "Querdenker"-Bewegung beliebte Kanäle wie unter anderem der des Sängers Michael Wendler teilten diese Nachricht. Auch auf Facebook verbreitete sich das Video im Zusammenhang mit Polizeigewalt gegen Demonstrierende.

Video entstand im Vorfeld eines Fußballspiels

Doch das Video ist nicht im Zusammenhang mit einer Demonstration gegen die steigenden Energiepreise entstanden. Stattdessen handelt es sich dabei nach Polizeiangaben um ein "bereits hinlänglich bekanntes Video", welches im Vorfeld des Hamburger Stadtderbys zwischen dem FC St. Pauli und dem Hamburger Sport-Verein am 14. Oktober entstanden ist. Einen Zusammenhang mit einer Demonstration zu gestiegenen Energiepreisen bezeichnet die Polizei als "Humbug".

Auch der FC St. Pauli bestätigt dem ARD-faktenfinder, dass das Video vor dem Spiel gegen den HSV aufgenommen wurde. "Im Hintergrund ist unser Stadion zu sehen, zudem kennen wir das Video und Augenzeugenberichte, die belegen, dass es hier aufgenommen wurde", teilt der Verein mit.

Uneinigkeit über Ausgangssituation

Das Video hatte Mitte Oktober aufgrund des Vorgehens der Polizeibeamten für Aufsehen gesorgt. In der Nähe des Millerntorstadions hatten etwa 150 bis 200 St.-Pauli-Fans versucht, zu den HSV-Fans zu stürmen. Die Polizei verhinderte dies, wie im Video zusehen, mitunter gewaltsam. Ein 60-jähriger Mann erlitt eine schwere Hüft/Beinverletzung, die nach Polizeiangaben "einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus erforderlich machte."

Während die Polizei von einer "unmittelbar bevorstehenden körperlichen Auseinandersetzung" spricht, schreibt der Fanblog "Millernton", dass die Fans weit vor Erreichen der gegnerischen Fans umgekehrt sind und sich die Situation vor dem gefilmten Einsatz "eigentlich wieder beruhigt" hatte.

FC St. Pauli kritisiert Einsatz als unverhältnismäßig

Der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr, der an der Polizeiakademie in Hamburg unterrichtet, sagte dem NDR, dass er den Einsatz gegen den Mann im Video für überzogen hält, auch wenn nicht ersichtlich sei, was vorher passierte. Im vorliegenden Fall hätte ein milderes Mittel jedoch genügt.

Auch der FC St. Pauli kritisierte den Polizeieinsatz als unverhältnismäßig und forderte Aufklärung. Gegen den Polizeibeamten wurde mittlerweile Anzeige erstattet. Dass dieses Video nun ausgerechnet "von Fanatikern, die mit Verschwörungslegenden und gezielten Falschmeldungen Politik machen und Geld verdienen wollen" instrumentalisiert werde, nennt der FC St. Pauli "besonders schäbig".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Hamburg Journal im NDR Fernsehen am 17. Oktober 2022 um 19:30 Uhr.