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Interview

Verschwörungstheorien "Instrumente der Angst und Radikalisierung"

Stand: 28.06.2020 08:39 Uhr

Popkultur und Verschwörungsmythen bedienen sich oft ähnlicher Narrative. Manchmal verschwimmt dabei, wer wen beeinflusst, erklärt Buchautor und Experte Christian Schiffer.

ARD-faktenfinder: Gehören Popkultur und Verschwörungstheorien zusammen?

Christian Schiffer: Ich würde nicht sagen, dass Popkultur und Verschwörungstheorien "zusammengehören". Aber sie überschneiden sich oft und regelmäßig. Dass liegt daran, dass sie in gewissen Grenzen gerne auf ähnliche Narrative aufbauen: Ein guter Thriller, ein guter Film Noir, ein mittelprächtiger Science-Fiction-Film enthält oftmals einen klar definierten Bösewicht, der eine finstere Verschwörung aufbaut, um ein unglaublich böses Ziel zu erreichen, das viele Menschen in Mitleidenschaft ziehen wird. Das haben wir in den Mission-Impossible-Streifen, das haben wir in Chinatown, das haben wir in den letzten Star-Trek-Filmen gehabt.

Christian Schiffer (Foto: Felix Hšoerhager /BR)
Zur Person

Christian Schiffer ist Redakteur beim Bayerischen Rundfunk und Buchautor. Seine Schwerpunkte sind die Netzwelt und ihre sozialen Auswirkungen, Politik und Popkultur. Zusammen mit Christian Alt schrieb er das Buch "Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien".

ARD-faktenfinder: Wie beeinflussen sich Popkultur  und Verschwörungsmythen gegenseitig?

Schiffer: Am sichtbarsten ist die Überschneidung in der Popkultur, die direkt Verschwörungstheorien aufgreift - sichtbar etwa am Fall des deutschen Hackers Karl Koch, der sich nach einer Figur aus den Illuminatus-Romanen Hagbard Celine benannte.

Ebenso überzeugten ihn die Bücher, dass die Welt von Verschwörungen und bösen Mächten wie den Illuminaten durchzogen sei - und er sie mit seinen Hacks bekämpfen müsste. Die Lebensgeschichte von Karl Koch führte wiederum zum Film 23.

ARD-faktenfinder: Welche Genres sind für solche Überschneidungen prädestiniert?

Schiffer: Am bekanntesten und am besten untersucht ist wohl die Wechselwirkung zwischen der Science Fiction und Begegnungen mit angeblichen Außerirdischen. Nehme wir nur mal "Akte X". Die Serie hat wohl wie kaum eine andere das Bild von Verschwörungstheorien und Theoretikern geprägt.

David Duchovny als Fox Mulder und Gillian Anderson als Dana Scully

Seit fast drei Jahrzehnten Ihre zuverlässigen Ansprechpartner beim FBI, wenn es um Verschwörungen geht: die Agenten Fox "I want to believe" Mulder und Dana Scully.

"Akte X" hat über seine Folgen hinweg immer wieder "real existierende" Verschwörungstheorien aufgegriffen: Übertragung von Krankheiten mit Bienen, subliminale Beeinflussung, Alien-Verschwörungen, Alien-Hybride-Züchtungsprogramme, geheime Militäranlagen und so weiter.

Damit machte die Serie eben jene Theorien auch populär und, zu eben der Zeit der Ausstrahlung in den 1990er-Jahren, zu einem echten beliebten Zeitvertreib. Viele Menschen beschäftigten sich in den damaligen Internet-Boards damit, in den USA kamen zahlreiche Zeitschriften raus, die sich explizit Verschwörungstheorien widmeten. Es war einfach cool. Durch seine Omnipräsenz spiegelte "Akte X" diesen Trend überdeutlich wider.

ARD-faktenfinder: Hatte das Konsequenzen in der realen Welt?

Schiffer: Ja. Beispielsweise gab es mal eine - nicht sonderlich wissenschaftliche - Untersuchung, wonach "Akte X" für die Zunahme von Sichtungen an "Black Triangle"-Ufos verantwortlich gewesen sein soll. Denn die waren prominent in der Serie präsent. Gleichzeitig stützten sich die Autoren der Serie auf eine echte Ufo-Sichtungswelle in Belgien, die 1989 stattgefunden hatte.

Anhänger der QAnon-Bewegung bei einem Auftritt von Trump

Anhänger der QAnon-Bewegung glauben an einen "tiefen Staat", der von US-Präsident Trump bekämpft wird.

Ebenso sickerten zahlreiche Motive über Alien-Mensch-Hybriden aus der Serie in die schon bestehenden Verschwörungstheorien ein. Und auch das heutige Motiv des "Deep State" hat "Akte X" wohl mitverantwortet - ein Staat in dem die Regierung selbst nicht die Macht ist, sondern eine kleine Gruppe von Menschen, Unternehmen und/oder Regierungsstellen. Genau das ist das, was in "Akte X" der "Cigarette Smoking Man" und seine Mitverschwörer des Syndicate darstellen.

ARD-faktenfinder: Erleben Verschwörungstheorien in Film, Musik und Kunst aktuell einen Boom?

Schiffer: Nein. Es gab eine Zeit, da erschienen Verschwörungstheorien harmlos. Das ist nun nicht mehr so, sie werden als ein Instrument der Angst und Radikalisierung wahrgenommen. Verschwörungen über den Bevölkerungsaustausch, die jüdische Weltregierung sind nicht lustig und unterhaltsam, sondern gefährlich. Das sind nicht die Verschwörungen, die einst Leute verzückten und begeistert "Akte X" schauen ließen.

ARD-faktenfinder: Sind sich Künstler ihrer Verantwortung bewusst, wenn sie sich Verschwörungstheorien bedienen oder diese verbreiten?

Schiffer: Gute Frage, das weiß ich nicht. Ich würde es mir zumindest wünschen. Und schön wäre natürlich, wenn auch in der Popkultur alles einfach mal so ist, wie es scheint, das wäre mal wirklich etwas Neues. Leider ist ja irgendwo da draußen meistens nicht die Wahrheit, sondern nur der Wahn. Und Künstler können natürlich einen Beitrag leisten, um dem entgegenzuwirken, etwa, in dem sie reale Probleme behandeln. Von denen gibt es wirklich genug.

Das Interview führte Wulf Rohwedder, tagesschau.de