Vandana Shiva
faktenfinder

Indische Aktivistin Shiva Öko-Ikone mit fragwürdigen Ansichten

Stand: 13.12.2022 06:34 Uhr

Seit Jahrzehnten wird die indische Aktivistin Vandana Shiva von Umweltorganisationen, Politikern und Medien hofiert - vor allem wegen ihres Einsatzes gegen grüne Gentechnik. Dabei verbreitet sie auch Desinformation und Verschwörungsmythen.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Rockstar der Ökobewegung", "Monsantos Albtraum", "Gandhi des Getreides": An Superlativen mangelt es vielen Medien nicht, wenn sie über die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva berichten. Seit Dezember ist eine Dokumentation ihrer Lebensgeschichte auch in den deutschen Kinos zu sehen, der vielsagende Titel: "Vandana Shiva - Ein Leben für die Erde".

Auch zahlreiche Umweltorganisationen und Politiker haben sich bereits mit der indischen Aktivistin geschmückt: Sie war unter anderem schon als Rednerin auf dem Bundesparteitag der Grünen eingeladen, Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast schrieb das Vorwort von Shivas Autobiographie und Großbritanniens König Charles III. soll sogar eine Büste von ihr im Garten seines Familiensitzes in Highgrove stehen haben. Dabei ist Shiva alles andere als unumstritten.

Simone Peter und Cem Özdemir bedanken sich bei Vandana Shiva (Mitte) nach ihrer Rede auf dem Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen in Hamburg. (Bild von 22.11.2014)

Simone Peter und Cem Özdemir bedanken sich bei Vandana Shiva (Mitte) nach ihrer Rede auf dem Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen in Hamburg. (Bild von 22.11.2014)

"Genetische Veränderungen gibt es permanent"

Shiva wird oft als Widerstandskämpferin dargestellt - schließlich legt sie sich seit Jahrzehnten mit den Großkonzernen wie Monsanto (heute Bayer) in der Landwirtschaft an und propagiert einen Systemwechsel in der globalen Agrarökonomie. Eines ihrer Hauptanliegen ist der Kampf gegen den Einsatz sogenannter gentechnisch modifizierter Organismen (GMO) in der landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion - auch grüne Gentechnik genannt. In Shivas Augen ist grüne Gentechnik die "Totenglocke für Biodiversität und Landwirtschaft", GMO stehe für "God, Move Over" (zu deutsch: Gott, geh' zur Seite).

Dabei ist grüne Gentechnik zunächst einmal lediglich eine schnellere und zielorientiertere Form der Züchtung, sagt Jochen Kumlehn, Leiter der Arbeitsgruppe Pflanzliche Reproduktionsbiologie am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. "Erbgut unterliegt permanent Veränderungen. Alle Organismen sind nur deshalb entstanden und so divers, weil in jedem Individuum Dutzende genetische Veränderungen vorkommen." Die Annahme, genetische Veränderungen wären etwas Unnatürliches, sei daher grundlegend falsch.

Ohnehin sei die Romantisierung des Begriffs Natur ein Grundproblem des Gentechnik-Diskurses: "Natürliche genetische Veränderungen erfolgen zufällig und es können dabei Eigenschaften entstehen, die vorteilhaft sind, während jedoch viel mehr Veränderungen zu Nachteilen führen. Natur ist also keineswegs prinzipiell gut, sondern bestenfalls neutral. Beispielsweise kommen die Gifte mit der höchsten Toxizität, die wir kennen, aus der Natur."

Schnellere Züchtung mit Gentechnik möglich

Auch Christoph Gornott, Leiter des Fachgebiets Agrarökosystemanalyse und -modellierung an der Universität Kassel und Leiter der Arbeitsgruppe Anpassung in Agrarsystemen am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), verweist darauf, dass die Menschen seit Beginn der Züchtung vor Tausenden Jahren die natürliche Selektion beeinflussen. "In den letzten 10.000 Jahren unserer Menschheitsgeschichte haben wir bei der Züchtung die größten, besten oder wohlschmeckendsten Samen selektiert." Das sei jedoch ein sehr langsamer Prozess gewesen.

Mit der Zeit kamen neue Methoden dazu, um die genetischen Veränderungen des Saatguts zu beschleunigen. Dabei werden die Pflanzen Stress ausgesetzt, um Mutationen auszulösen: über Chemikalien, Wasserentzug, hohe Salzkonzentration oder auch radioaktiver Strahlung. Die grüne Gentechnik ist die neuste Entwicklung, um neues Saatgut zu züchten. "Die Geschwindigkeit bis zur Fertigstellung einer neuen Sorte ist dabei von einschneidender Bedeutung", sagt Gornott. "Und die grüne Gentechnik erlaubt, es artfremde Gene in Pflanzen einzuschleusen, zum Beispiel Bt-Baumwolle oder Bt-Mais. Das ist in der konventionellen Züchtung nicht möglich und tritt so auch nicht in der Natur auf."

Bt steht für das Bodenbakterium Bacillus thuringiensis, dessen Gene in die Baumwoll- und Maispflanzen übertragen worden sind. Dadurch produzieren diese Pflanzen ein bestimmtes Protein, das sich im Darm bestimmter Schädlinge in eine giftige Variante umwandelt und die Schädlinge tötet. Dadurch kann der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringert werden. Für den Menschen ist dieses Protein nachweislich harmlos.

Keine Beweise für mehr Suizide bei indischen Bauern

Die Bt-Baumwolle ist der Aktivistin Shiva schon seit langer Zeit ein Dorn im Auge. In ihrem Heimatland Indien wird sie seit Anfang der 2000er-Jahre eingesetzt und mittlerweile von einem Großteil der Landwirte verwendet. Shiva machte die Bt-Baumwolle und deren Saatguthersteller Monsanto für den Suizid Hunderttausender Bauern verantwortlich, da sie durch die Bt-Baumwolle finanziell in den Ruin getrieben sein worden. Dabei gibt es jedoch keine empirischen Belege für diesen Vorwurf - zudem ist die Suizidrate unter Kleinbauern nach Einführung der Bt-Baumwolle konstant geblieben.

Auch ist Shiva eine der prominentesten Kritiker des sogenannten Goldenen Reises - ein Projekt, mit dem der Vitamin-A-Mangel bei Kindern in Schwellen- und Entwicklungsländern durch genmodifizierten Reis bekämpft werden soll. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erblinden jährlich mehrere Hunderttausend Kinder aufgrund dieser Mangelernährung - viele von ihnen sterben. Ob der mit Provitamin-A angereicherte Goldene Reis wirklich helfen wird, bleibt abzuwarten. Feldversuche sind immer wieder von Aktivisten verhindert worden, was dazu beigetragen hat, dass dieser Reis im Jahr 2022 erstmals landwirtschaftlich angebaut werden konnte - gut zwanzig Jahre später als geplant.

Bill Gates als Feindbild

Shiva stellte auch einen Zusammenhang zwischen Autismus, dem Einsatz von GMOs und dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat her - dabei gibt es auch hierfür keinerlei wissenschaftliche Evidenz. Der Einfluss von Umweltfaktoren spielt nach Angaben des Max-Planck-Instituts bei Autismus zudem eine untergeordnete Rolle.

Einer ihrer größten Feindbilder ist der US-amerikanische Milliardär Bill Gates, wie von vielen Verschwörungsideologen auch. Er sei laut Shiva Teil von einer Art Verschwörung der reichsten ein Prozent der Menschen, die die "Wirtschaft mit falschem Essen zerstören möchte". Gates habe zudem die WHO unter Kontrolle.

Ihre Thesen verbreitet sie etwa in Interviews mit dem Verschwörungsideologen Robert F. Kennedy Junior, der unter anderem schon auf einer Coronaleugnerdemo in Berlin aufgetreten ist. Dem russischen Staatssender RT Deutsch sagte sie im Juni 2021 in einem Interview in Richtung der deutschen Leser mit Blick auf Monsanto, das mittlerweile zum Bayer-Konzern gehört: "Passt auf! Damals hattet ihr Hitler und jetzt habt ihr Bayer! Lasst nicht zu, dass Bayer eure unsichtbare Regierung wird."

Weltbilder statt Fakten

Bei der Diskussion über Gentechnik gehe es oftmals weniger um Fakten als vielmehr um Weltbilder, sagt Sozialpsychologin Pia Lamberty, Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). "Gentechnik ist ein Thema, das Ängste triggern kann. Das sind extrem komplexe Prozesse, die viele Menschen nicht richtig verstehen. Und dann entscheidet oft einfach das Bauchgefühl." Dabei gebe es auch starke Parallelen mit der Esoterik: "Auf der einen Seite steht das Gute, das Natürliche und auf der anderen Seite das Böse, das Künstliche."

Sehr problematisch sieht Lamberty vor allem die Schaffung von Feindbildern, wie es Shiva unter anderem mit Gates macht. "Das Narrativ 'Die da oben sind böse' findet man in vielen Milieus. Es verhindert jedoch eine kritische Auseinandersetzung, wenn eine Verschwörung hinter allem vermutet wird. Das lässt keine Gegenposition mehr zu." Legitime Kritik sei richtig und wichtig, aber wenn keine Abgrenzung zu verschwörungsideologischen Positionen stattfinde, legitimiere man diese dadurch.

Es passiere ohnehin zu oft, dass Menschen zu schnell gefeiert werden und eine riesige Reichweite erhalten, sagt Lamberty mit Blick auf Shiva. "Vielleicht sollten wir einfach mal an den Punkt kommen, eine differenzierte Perspektive auf Menschen zu haben. Sie kann ja in einigen Punkten recht haben, aber das macht das andere nicht weniger problematisch. Und gerade da finde ich, ist es wichtig, eine klare Haltung zu haben."

"Grüne Gentechnik ein Rädchen mit viel Potential"

Nach Ansicht von Physiologe Kumlehn ist bei der Diskussion über grüne Gentechnik ein entscheidendes Missverständnis, dass mögliche Limitationen und Risiken, die gleichermaßen auch die konventionelle Züchtung betreffen, lediglich der Gentechnik vorgehalten werden - zum Beispiel, dass Schädlinge Resilienzen gegen neue Sorten entwickeln können. Er wünscht sich, dass die Debatte rund um das Thema sachlicher und weniger emotional geführt wird.

"Der des Öfteren anzutreffende Anspruch von Null-Risiko ist für jede beliebige Lebenssituation unrealistisch und kein seriöser Wissenschaftler hat je behauptet, dass grüne Gentechnik ein Allheilmittel darstellt", sagt Kumlehn. "Es ist hingegen Konsens in der Wissenschaft, dass grüne Gentechnik erstens kein höheres Risiko birgt als konventionelle Züchtung und zweitens auch nur eines vieler Rädchen in der Pflanzenzüchtung ist, allerdings eins mit sehr viel Potential für eine Landwirtschaft, von der umfassende Verbesserungen erwartet werden."

Grüne Gentechnik kann aber laut Agrarwissenschaftler Gornott auch negative Entwicklungen begünstigen. Das habe vor allem mit dem Agrarsystem zu tun. Denn in der konventionellen Landwirtschaft gehe es insbesondere darum, einen möglichst hohen Output zu haben, auch wenn dafür viele Ressourcen verwendet werden müssten, sagt er. Zudem leide in Agrarsystemen, in dem grüne Gentechnik eingesetzt werde, häufig die Biodiversität. Um den Ertrag trotz veränderter Umweltbedingungen hochzuhalten, müssten immer wieder neue Sorten gezüchtet werden.

"Eigentlich müssten wir stärker auf widerstandsfähigere Systeme setzen, die in der Lage sind, auch mit verschiedenen Gefahren umzugehen, zum Beispiel Schädlinge und klimatische Veränderungen", sagt Gornott. "Insbesondere die Herausforderungen, die wir durch den Klimawandel haben, erfordern ein schnelles Handeln, bei dem die Züchtung eine Komponente von vielen anderen ist. Wir müssen das gesamte Agrarsystem umbauen, das wird nicht alleine mit alten Anbaupraktiken zu lösen sein. Wir haben neue Probleme und dafür brauchen wir neue und ganzheitliche Antworten."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete SWR Aktuell am 29. November 2022 um 15:56 Uhr.