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Maßnahmen gegen Hass-Inhalte Telegram einfach abschalten?

Stand: 14.01.2022 17:17 Uhr

Bundesinnenministerin Faeser hat gedroht, den Dienst Telegram abzuschalten, sollten andere Maßnahmen nicht greifen. Doch ist das überhaupt möglich? Fachleute sind skeptisch.

Von Florian Flade, WDR, und Patrick Gensing, tagesschau.de

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will bis Ostern einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen. Mit Blick auf Hass-Inhalte und Drohungen, die über dem Chatanbieter Telegram verbreitet werden, sagte die SPD-Politikerin: "Wir werden dafür sorgen, dass Hetzer identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden."

Zuvor hatte es die Ministerin im Wochenblatt "Die Zeit" nicht ausgeschlossen, dass Telegram in Deutschland abgeschaltet werden könnte, wenn sich der Messengerdienst nicht an die hiesigen Gesetze hält. Zunächst müsse aber über andere Wege versucht werden, den Anbieter zur Einhaltung der Gesetze zu bringen.

Nach Ansicht des Bundesinnenministeriums und des Bundesamtes für Justiz handelt es sich bei Telegram um ein soziales Netzwerk, das dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) unterliegt. Damit seien die Betreiber verpflichtet, gegen strafbare Inhalte vorzugehen. Dies erfolge jedoch nicht, heißt es aus dem Innenministerium. Daher sind bereits Bußgeldverfahren eingeleitet worden, entsprechende Schreiben aber konnten der Firma, die ihren Sitz in Dubai hat, bislang nicht zugestellt werden.

"Falscher Begriff"

Doch wäre eine Abschaltung von Telegram, wie sie die Bundesinnenministerin ins Spiel gebracht hat, überhaupt möglich? Der ARD-Digitalexperte Dennis Horn hält den Begriff "abschalten" für falsch. Wenn überhaupt sei es möglich, den Zugang zu Telegram zu beschränken. Google und Apple könnten die App beispielsweise in Deutschland aus ihren App-Portalen nehmen. Der Messenger könnte dann nicht mehr neu heruntergeladen - aber bereits installierte Telegram-Apps weiter genutzt werden.

Denkbar sei zudem eine klassische Netzsperre - wie bei illegalen Pornoportalen beispielsweise. Provider könnten angewiesen werden, den Dienst in Deutschland zu sperren. Zuständig dafür wäre das Bundesamt für Justiz, das eine entsprechende Anordnung aussprechen könnte. Doch dies könnte umgangen werden, erläutert Horn, und zwar durch sogenannte VPN-Dienste oder "Tor"-Plattformen, über die eine deutsche IP-Adresse verschleiert werden kann. Abschalten sei also nicht möglich, aber der Zugang könnte erschwert werden, sagt der Digitalexperte. Vielen Menschen sei es sicherlich zu umständlich, solche Sperren zu umgehen.

Dazu käme aber noch die rechtliche Frage, denn findet auf Telegram wirklich überwiegend Kommunikation mit Hass-Inhalten statt? "Ich bezweifle das", sagt Horn. Es gebe dort viele seriöse Nutzerinnen und Nutzer. Auch die SPD sei dort selbst aktiv. Darüber hinaus müsse die Geschichte von Telegram beachtet werden, das von dem Russen Pawel Durow entwickelt wurde, um dort die Vernetzung der Opposition zu ermöglichen.

"Halbes Internet" sperren?

Der Fachjournalist Markus Reuter weist in diesem Kontext ebenfalls auf Russland hin. Bei Versuchen dort, den Messenger zu blockieren, habe Telegram "sehr kreativ reagiert und seine Dienste auf Server von Amazon ausgelagert. Wer die sperrt, sperrt das halbe Internet", so der Redakteur von Netzpolitik.org. Der Bundesregierung bliebe dann nur der Weg, politischen Druck auf Amazon auszuüben, damit der Konzern seine privatwirtschaftliche Verbindung mit Telegram beendet. Ganz ähnlich sehe es bei Apple und Google aus.

Reuter sieht hinter der Ankündigung vor allem ein Druckmittel. Aber die Bundesregierung befinde sich in einer schwierigen Lage: "Sie kann nicht sagen, dass sie nichts machen kann, wenn Anbieter illegale Inhalte einfach stehen lassen. Auf der anderen Seite würde die Blockade von Telegram Millionen Menschen betreffen, die den Messenger ganz legal und rechtstreu im Fußballverein oder Freundeskreis nutzen."

Dazu komme, "dass solche Maßnahmen ein sehr problematisches Signal senden: Denn auf der einen Seite feiern wir die Unzensierbarkeit von Telegram und die Bedeutung der App für Demokratiebewegungen in Belarus und dem Iran - und auf der anderen Seite schalten wir dann diesen Dienst hier ab."

Reuter meint, zunächst müssten strafbare Inhalte auch strafrechtlich konsequent verfolgt werden, wo dies bereits möglich sei. "Wenn die Polizei erst durch Medienrecherchen auf Morddrohungen aufmerksam wird, dann entsteht eben auch der Eindruck, dass man auf Telegram ohne Konsequenzen Illegales tun kann, weil die Polizei das gar nicht mitbekommt."

Dschihadistisches Propagandamaterial entfernt

Bei den Sicherheitsbehörden hatte es in den vergangenen Jahren durchaus Austausch gegeben. So veröffentlichte Europol 2019 mehrere Pressemitteilungen, in denen auf eine Kooperation beim Kampf gegen den islamistischen Terror hingewiesen wurde. Damals wurde in Kooperation mit Europol dschihadistisches Propagandamaterial in größerem Umfang auf Telegram entfernt.

"Wir unterstützen die Meinungsfreiheit und den friedlichen Protest, aber Terrorismus und Gewaltpropaganda haben bei Telegram keinen Platz. Wir verbessern ständig unsere internen Verfahren und Moderationsinstrumente, um sicherzustellen, dass unsere Plattform frei von Missbrauch bleibt", wurde damals ein Repräsentant von Telegram zitiert.

Für deutsche Sicherheitsbehörden stellt das Unternehmen allerdings aktuell eher ein Mysterium dar. Es gibt keinen festen Ansprechpartner bei Telegram für die Polizei oder Justiz. Auf Anfragen erfolge meist keine Rückmeldung, heißt es aus den Sicherheitsbehörden. Nach welchen Kriterien bestimmte Inhalte gelöscht würden, sei nicht wirklich nachvollziehbar.

"Bei Aufrufen zu Straftaten über Telegram werden verstärkt viele Inhalte gemeldet und Strafanzeigen erstattet. Leider werden die Meldungen von Telegram nicht umgesetzt, obwohl dies gesetzlich vorgesehen ist", so eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Man prüfe "gegenwärtig intensiv alle rechtlichen Möglichkeiten, wie gegen die Verbreitung strafbarer Inhalte und von Hass und Hetze über Telegram vorgegangen" werden könne. Eine Abschaltung der Plattform in deutschen Netzen, so betont das Ministerium, sei "ultima ratio".

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 13. Januar 2022 um 23:53 Uhr im Deutschlandfunk.