Menschen tragen österreichische Flaggen, während sie bei einer Demonstration gegen die Maßnahmen gegen die Coronavirus-Krankheit (COVID-19) in Wien (Österreich) demonstrieren. (Archivbild: 20. März 2021)
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Nach Tod von Ärztin in Österreich "Das ist gezielter Terror"

Stand: 03.08.2022 14:44 Uhr

Hetzkampagnen zielten darauf ab, sie mundtot zu machen - bis die Ärztin Kellermayr tot aufgefunden wurde. Expertinnen sprechen von Terror und gezielten Attacken, deren systemisches Problem dahinter oft nicht ernst genommen werde.

Von Carla Reveland, Redaktion ARD-faktenfinder

"Gezielter Terror von radikalen Impfgegnern und Rechtsextremen, der zermürbt" - so beschreibt die angesehene österreichische Journalistin Ingrid Brodnig, was die österreichische Ärztin Dr. Kellermayr an Hass, Hetze und massiven Drohungen erreichte. Brodnig ist unter anderem Autorin mehrerer Bücher zu Hass im Netz und dem Umgang damit.

Diese Hetzkampagnen zielen darauf, die zum Feindbild erklärte Person mundtot zu machen, sie gar zu vernichten. Dahinter stehe ein systemisches Problem, welches oftmals nicht ernst genug genommen werde, so Brodnig. Im unfassbar tragischen Fall von Lisa-Marie Kellermayr endete dieser "Terror" tödlich.

Andersdenkende zum Schweigen bringen

Es gehe darum zu sagen: "Wir wissen, wo du wohnst und wenn du weitermachst, kann es noch schlimmer werden", erklärt auch Pia Lamberty, Geschäftsführerin vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Die Strategie, Menschen konsequent zu attackieren, werde ganz gezielt vom Querdenken-Milieu eingesetzt - und zeige leider in viele Fällen die angestrebte Wirkung. Viele Angegriffene ziehen sich zurück oder äußern gewisse Dinge nicht mehr, da die Gefahrenlage insbesondere für Einzelpersonen schwer einzuschätzen und sehr bedrohlich sein kann.

Es gebe eine Melange von gezielt agierenden Personen, die permanent Bedrohungen gegen Andersdenkende aussprechen würden und Menschen, die ihrem Hass freien Lauf ließen, dabei jedoch weniger strategisch vorgingen. Das zusammen sei hochgradig beunruhigend, so Lamberty.

"Ich werde dich hinrichten"

Die österreichische Ärztin Kellermayr hatte über Monate hinweg massivste Bedrohungen erhalten: Nachrichten, in den detailreich geschildert wird, wie Kellermayr und ihre Mitarbeiter gefoltert und ermordet werden sollen. Darin heißt es unter anderem "Ich werde dich hinrichten" oder "Kreaturen " wie sie werde man vor "Volkstribunale" stellen.

Sowohl online als auch offline war die Bedrohungslage für die Ärztin so hoch, dass sie auf eigene Kosten Sicherheitsmaßnahmen ergreifen und letztlich ihre Praxis schließen musste. Vermeintlichen Patienten wurden laut "puls24" mehrmals Butterfly-Messer vom Sicherheitsdienst abgenommen.

Sicherheitsbehörden unterschätzten Gefahrenlage

Kellermayr suchte Hilfe bei der Polizei, erstattete Anzeigen und machte die Bedrohungen gegen sie öffentlich. Doch wurde ihre Situation von den Sicherheitsbehörden offenbar nicht ernst genug genommen. Die Polizei Oberösterreich teilt mit, dass "alle gesetzlichen Maßnahmen ausgeschöpft" wurden. Die Frage, ob wirklich genug zum Schutz Kellermayrs unternommen wurde, gilt es noch zu klären.

"Wenn jemand online massivste Bedrohungen bekommt, ist das tägliche Vorbeischicken einer Streife in meinen Augen für die betroffene Person nicht wahnsinnig beruhigend", sagt Autorin Brodnig. Es wäre schon ein großer Zufall, einen Täter genau in diesem Moment dort anzutreffen.

Aus Sicht von Natascha Strobl, Politikwissenschaftlerin, haben die Behörden eindeutig versagt. "Sie hat sich an die Polizei gewandt und sie hat sich an ihre Standesvertretung gewandt. Und beide haben ihr öffentlich ausgerichtet, sie soll sich nicht so aufspielen, sie will sich nur wichtig machen."

"Dass Betroffene solcher Bedrohungen dann auch noch vorgeworfen wird, sie thematisieren das zu viel, das ist eine besonders erschütternde Komponente bei dem Ganzen" fasst Brodnig die Situation zusammen.

Hier finde eine Täter-Opfer-Umkehr statt, was leider häufiger der Fall sei, sagt Pia Lamberty. "Das ist sehr schwierig, weil das im Endeffekt bedeuten würde, dass sich demokratische Stimmen immer mehr aus öffentlichen Räumen verabschieden, weil aggressive Personen die Dominanz dort haben. Das kann ja nicht die Lösung sein." Eigentlich sollte es im Gegenteil darum gehen, demokratische Räume zu stärken.

"Wann machst du die Kellermayr?"

Während wenige Tage nach dem Suizid Kellermayrs Tausende Menschen der Medizinerin gedachten, kommt aus dem Querdenker-Mileu wenig Empathie oder Einsehen. Ganz im Gegenteil.

Strobl machte öffentlich, was ihr nach dem Tod Kellermayrs für Hass entgegenschlägt. In einer Nachricht an sie hieß es unter anderem: "Du grindige hur! wann machst du jetzt endlich die kellermayr? schaden würds nicht, wenn man dichauch eines morgens tot auffinden würde."

Ärzte, die zu Feindbildern werden

Seit Beginn der Pandemie sind insbesondere Personen aus dem Gesundheitswesen und der Wissenschaft von massiven Bedrohungen sowie verbalen als auch körperlichen Angriffen betroffen. So bewertet das Bundeskriminalamt mittlerweile "Impfgegner oder Corona-Leugner" als "relevantes Risiko" im Zusammenhang mit Angriffen auf Impfzentren oder Arztpraxen.

Auf Telegram finden sich Gruppen, deren Inhalte einzig daraus bestehen, Namen von impfenden Ärztinnen und Ärzten zu verbreiten. Damit werden Ärztinnen und Ärzte als Einzelpersonen für ihre medizinische Arbeit öffentlich an den Pranger gestellt und als Feindbilder markiert. "Und plötzlich hagelt es dann negative Bewertungen auf Google oder man kriegt Anrufe und wird da beleidigt und herabgesetzt", erklärt Lamberty. Jeder, der sich beispielsweise für Impfungen einsetze, könne auf einmal zur Zielscheibe werden.

Auch Kellermayr ist eher zufällig in den Fokus radikaler Impfgegner und Rechtsextremisten gerückt. Ein Tweet von ihr zu Impfgegnern, die im oberösterreichischen Alpenvorland Wels Haupteingang und Rettungsausfahrt einer Klinik blockierten, wurde von der oberösterreichischen Polizei als "Falschmeldung" bezeichnet - es habe noch einen weiteren Zugang zum Krankenhaus gegeben, hieß es. Kellermayrs Tweet mit der Antwort der Polizei verbreitet sich in einschlägigen Telegram-Gruppen rasant - eine Flut an Beschimpfungen, Verleumdungen und Drohungen brach über die Ärztin herein. Der Bitte, den Tweet zu löschen, kommt die Polizei Oberösterreich bis heute nicht nach.

Szene über Grenzen hinweg aktiv

Die Querdenken-Szene ist im ganzen deutschsprachigen Raum aktiv. Auch wenn es einige regionale Besonderheiten und Akteure gebe, könne man nicht von einem rein deutschen oder rein österreichischem Phänomen sprechen, erläutert Brodnig.

Die Grenzen der Querdenkenszene verschwimmen. "Wir sehen es ja immer wieder: die Täter sitzen dann im anderen Land oder die rechte Website, die das aufbauscht, kommt aus einem anderen Land." Das Schwierige ist, dass grenzübergreifende Hassnachrichten oft eine Hürde bei der Rechtsverfolgung darstellen. "Da ist die Gefahr, dass die juristische Zuständigkeit endet oder einfach Verfahren überraschend rasch eingestellt werden. Auch im Fall Kellermayr war das eine rechtliche Hürde - und so versanden schlimmstenfalls Fälle."

Es geht um die Zerstörung der Demokratie

Obwohl die Coronamaßnahmen zurückgenommen wurden und in Österreich die Impfpflicht ausgesetzt wurde, ist der Hass geblieben. "Dieses Milieu, diese Menschen und ihre Feindbilder sind ja noch da. Es ging nie wirklich um Corona. Es geht darum, Demokratien zu zerstören, Menschen mundtot zu machen, zu bedrohen", sagt Sozialpsychologin Lamberty.

"Zu glauben, das wäre jetzt einfach verschwunden, finde ich durchaus naiv - auch der Ansatz in Österreich, dass man eine Impfpflicht abschafft, um Gräben zuzuschütten." Indem man auf die Impfgegner eingehe, erreiche man das Gegenteil. Das Milieu fühle sich dadurch aufgewertet und habe das Gefühl politisch Erfolge erzielt zu haben. "Wenn ich in den Herbst blicke, macht mir das durchaus Bauchschmerzen, weil ich nicht nur damit rechne, dass es zu Mobilisierung kommt, sondern in der Regel geht das ja auch nochmal mit einer gesteigerten Bedrohungslage einher."

Derzeit gebe es weder in Deutschland noch Österreich genügend Schutzkonzepte, um auf die Verrohung der Gesellschaft angemessen reagieren zu können. Es sei immens wichtig, dass Politik und Sicherheitsberhörden die Strategien der Szene erkennen, verstehen und ernstnehmen. Rechtsextreme Ideologien müssten klar benannt werden, man könne hier nicht "von den ganz normalen Leuten" reden, die sich nicht impfen lassen wollten. "Das sind Akteure, die dieses Thema für sich nutzen, um ihre eigenen Ziele weiter voranzutreiben", mahnt Lamberty.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 02. August 2022 um 08:15 Uhr.