Österreichs Außenminister Sebastian Kurz
Hintergrund

EU-Flüchtlingspolitik Wie Kurz' Idee ein Land in Aufruhr versetzte

Stand: 08.07.2017 08:38 Uhr

Österreichs Außenminister Kurz hat vorgeschlagen, Flüchtlingslager außerhalb der EU einzurichten. Als einen möglichen Standort nannte er Georgien. Diese vage Idee, angereichert mit falschen Behauptungen, sorgte für große Aufregung.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz steht für eine strikte Migrationspolitik. "Wer sich illegal auf den Weg nach Europa macht, muss an der Außengrenze gestoppt, versorgt und zurückgestellt werden. Aber er darf nicht nach Mitteleuropa weiterreisen dürfen", sagte er Mitte Februar im Interview mit tagesschau.de. Um dieses Ziel umzusetzen, will Kurz unter anderem Flüchtlingszentren an den EU-Außengrenzen errichten lassen, die internationale Organisationen wie das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen betreiben sollen.

Kurz brachte dafür mehrere EU-Nachbarländer ins Spiel, eines davon Georgien. Er nannte die Republik im Südkaukasus am 15. Februar im Interview mit der Zeitung "Die Welt". Als er am 5. März im Gespräch mit der "Bild am Sonntag" erneut Georgien erwähnte, griff die deutsche Nachrichtenagentur dpa dies auf und titelte: "Kurz für Flüchtlingsauffanglager in Georgien oder auf dem Westbalkan". Mehrere deutschsprachige Zeitungen übernahmen die Meldung.

"Eine Gefahr für Russlands Sicherheit"

Auch der russische Auslandssender RT English und das staatliche russische Nachrichtenportal Sputnik berichteten von dem Interview mit der "Bild am Sonntag" und zitierten Kurz korrekt. Doch als russischsprachige Web-Seiten das Thema aufnahmen, fügten sie falsche Informationen hinzu. Die Seite Kolokolrussia.ru zum Beispiel überschrieb einen Text mit der Überschrift: "Bereiten die USA ein Terroristennetz in Georgien vor?"*. Darin hieß es, die EU fordere von Georgien, Flüchtlinge aufzunehmen. Dies sei der Preis dafür, dass georgische Bürger ab dem Frühjahr ohne Visum in die EU einreisen dürfen.

Das Thema nahm an Fahrt auf: Der russische Politiker Franz Klinzewitsch sagte der russischen Agentur Ria Novosti, die Unterbringung von Flüchtlingen in Georgien gefährde angesichts des internationalen Terrorismus die nationale Sicherheit Russlands. Klinzewitsch ist Vizechef des Verteidigungsausschusses im Föderationsrat Russlands.

Ängste geschürt

Die Berichte und Aussagen zielten auf Ängste in der georgischen Bevölkerung: Klinzewitsch erwähnte das georgische Pankisi-Tal. Dort hatten in den 1990er-Jahren Tausende Menschen Zuflucht vor dem Krieg in Tschetschenien gefunden. Unter den Flüchtlingen versteckten sich einige Kriminelle und islamistische Kämpfer. Russland nahm dies 2003 zum Anlass, das Pankisi-Tal zu bombardieren. Diese Erinnerungen vermischen sich in Georgien mit Sorgen angesichts der Lage in den südlichen Nachbarländern wie der Türkei, dem Irak und Iran.

Außerdem nutzten die Verfasser der Falschinformationen das Unwissen der meisten Georgier darüber aus, dass die Aussagen von Außenminister Kurz über Flüchtlingslager an den EU-Außengrenzen umstritten sind.

So fielen die um die Aussagen von Kurz herum gestrickten Lügen auf fruchtbaren Boden: In den sozialen Medien sorgte das Thema für große Aufregung: Politiker spekulierten, auf den Straßen wurde heftig diskutiert. "Ich habe Angst vor Terroranschlägen", sagte eine Frau zu einer georgischen Journalistin. Ein Taxifahrer meinte, die Visaliberalisierung der EU sei es nicht wert, Zehntausende Flüchtlinge ins Land zu lassen. Kritiker einer Annäherung Georgiens an die EU sahen sich darin bestätigt, dass die Union Georgien schade und Kultur sowie Traditionen des Landes zerstören werde.

"Nur eine Idee"

Doch wie ernst hatte Kurz seinen Vorschlag gemeint? Gab es bereits Gespräche mit der georgischen Regierung zum Thema Migrationspolitik? Immerhin hatte der österreichische Außenminister kurze Zeit zuvor Georgien besucht. Als diesjähriger Vorsitzender der OSZE ist er zudem regelmäßig mit Vertretern aus Ländern wie Georgien im Gespräch.

Der österreichische Botschafter in Georgien, Arad Benko, ging auf die zahlreichen Medienanfragen in seinem Gastland ein: Die Worte von Kurz seien leider falsch verstanden worden, sagte Benko der Zeitung "Georgia Today". Georgien sei lediglich eine Idee, kein konkreter Vorschlag gewesen. Während seines Besuchs in Georgien habe Kurz nicht mit Regierungsvertretern über das Thema gesprochen. Auch georgische Diplomaten und Regierungsvertreter beeilten sich zu versichern, dass darüber bislang nicht mit der EU verhandelt wurde.

Die Debatte ebbte danach zwar ab, doch könnte sie zur ohnehin wachsenden Skepsis gegenüber der EU beitragen, da die Hoffnungen auf eine Beitrittsperspektive in den vergangenen Jahren enttäuscht wurden. Durch die Aufregung wurde zudem eine öffentliche Diskussion darüber erschwert, wie sich Georgien in Europa bei Themen wie Migrationspolitik und Terrorbekämpfung einbringen und damit attraktiver für die EU-Staaten werden kann.

Dabei leistet Georgien mit Grenzkontrollen nach EU-Normen bereits einen Beitrag zur Sicherheit Europas. Doch solche Informationen gehen zumeist unter. Die Aufregung in Georgien um angebliche Auffanglager für Geflüchtete zeigt vor allem, wie kurz der Weg sein kann von kaum ausgereiften Vorschlägen zu handfester Stimmungsmache.

* In einer früheren Version des Textes war die Überschrift als Aussagesatz formuliert, dies wurde berichtigt.