Grenzgebiet zwischen Armenien und Aserbaidschan
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Armenien und Aserbaidschan Nicht einfach ein Kampf der Religionen

Stand: 04.10.2020 12:39 Uhr

Armenische Christen gegen muslimische Aserbaidschaner - im Südkaukasus scheint es um einen Kampf der Religionen zu gehen. Doch die Realität ist facettenreicher, mit ungewöhnlichen Allianzen.

"In Armenien geht es um die christliche Zivilisation" - schrieb der Europaabgeordnete Maximilian Krah von der AfD angesichts der Gefechte zwischen Armenien und Aserbaidschan am 27. September. Armenien verdiene jede Solidarität, da die Türkei Dschihadisten aus Syrien in einen Krieg nach Aserbaidschan treibe.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von 300 Dschihadisten aus Aleppo, die über die Türkei in den Kaukasus gereist seien. Manche Publizisten sehen einen "Kampf der Kulturen" des christlich-abendländisch geprägten Armenien gegen das muslimisch geprägte Aserbaidschan mit seinem Verbündeten Türkei.

Doch ob Kämpfer aus religiösen Gründen nach Aserbaidschan kamen, ist fraglich. Experten wie Elizabeth Tsurkov verweisen auf andere Gründe, nachdem sie mit Angehörigen gesprochen haben: Eine private türkische Sicherheitsfirma lockte die Männer demnach mit einem offenbar falschen Versprechen nach Aserbaidschan. 2500 Euro monatlich sollten sie für die Bewachung von Infrastruktur erhalten, nicht aber für den Einsatz an der Front. Außerdem leben in Syrien überwiegend Sunniten. In Aserbaidschan dominiert dagegen der schiitische Islam.

Unter Fremdherrschaft überleben

Ein genauerer Blick auf den Südkaukasus hilft zu differenzieren. Die Region zwischen Asien und Europa war lange von Fremdherrschaft geprägt - über Jahrhunderte von Persern und Osmanen, im 19. Jahrhundert eroberte das russische Zarenreich den Kaukasus, gefolgt vom sowjetischen Imperium. In dieser Zeit kämpften die zahlreichen Volksgruppen in der Region um die Bewahrung ihrer Identität. Religion spielte dabei neben Sprache und Kultur eine wichtige Rolle.

Die Abgrenzung der Volksgruppen gegeneinander gewann Bedeutung, als Russland um die Jahrhundertwende mit den benachbarten Mächten feste Grenzen vereinbarte und sich die Idee des Nationalismus verbreitete. Schon damals kam es zu ethnischen Spannungen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern, die auch zu Massakern führten.

Das diktatorische Regime der Sowjets hegte die Konflikte ein, doch auch während ihrer Herrschaft regte sich Protest. Die überwiegend von Armeniern bewohnte Region war als autonomes Gebiet Aserbaidschan zugesprochen worden, was Ende der 1980er-Jahre zum Ausgangspunkt einer starken Protest- und Unabhängigkeitsbewegung in Armenien wurde. Während die Sowjetunion unterging, kam es zu Gewalt zwischen Armeniern und Aserbaidschanern, die schließlich in den offenen Krieg Anfang der 1990er-Jahre mündete.

Der Konflikt um Bergkarabach drehte sich vor allem um Territorium, auch wenn die christliche und die muslimische Religion in diesen Jahren wieder Verbreitung in der Bevölkerung fand. Nach dem Waffenstillstand 1994 hielt vor allem die Erinnerung an die erlittene Gewalt den Konflikt lebendig. In Aserbaidschan kam die schwere Schmach des verlorenen Krieges und der Verlust des Territoriums hinzu, das neben Bergkarabach sieben umliegende Regionen umfasst.

Werben mit religiöser Toleranz

In diesem Konflikt dienten Kirchen und Moscheen neben Friedhöfen und historischen Gebäuden als Ausweis für Ansprüche auf Territorium. Auch sind die religiösen Institutionen in Armenien und Aserbaidschan eng mit dem Staat verbunden. Doch die postsowjetischen Eliten und deren nachfolgende Generation sind säkular geprägt. Aserbaidschan zählt unter den muslimischen Ländern zu den liberalen und betont immer wieder, dass es sich nicht um einen religiösen Konflikt handelt.

Beide Staaten bemühten sich in den vergangenen Jahren um Signale religiöser Toleranz. In Armeniens Hauptstadt Jerewan gibt es eine Moschee. In der Stadt Schuschi in Bergkarabach wurde 2019 eine Moschee wiedereröffnet. Allerdings wurde kritisiert, dass beide "persisch" und nicht "aserbaidschanisch" seien.

Im Zentrum der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku steht wiederum eine armenisch-apostolische Kirche. Nur wenige Meter entfernt gibt es im Dezember einen Weihnachtsmarkt. Darüber hinaus leben in Aserbaidschan mehrere Tausend Juden. Besonders ihnen gegenüber stellt Präsident Ilham Aliyev die religiöse Toleranz seines Landes heraus.

Ungewöhnliche Allianzen

Zu den Besonderheiten der Region zählt, dass Aserbaidschan ein gutes Verhältnis zu Israel pflegt, das seit Jahren moderne Waffen an Aserbaidschan verkauft. Experten vermuten, dass Israel von Aserbaidschan aus gegen den südlichen Nachbarn Iran operiert. Doch das wiesen Regierungsmitarbeiter in Baku in den vergangenen Jahren zurück.

Das Verhältnis zwischen Aserbaidschan und Iran hingegen ist kompliziert und von Misstrauen geprägt - obwohl und gerade weil etwa 20 Millionen Aserbaidschaner im Norden des Iran leben. Nach der Unabhängigkeit Aserbaidschans 1991 gab es offene Forderungen aus Baku, dieses Siedlungsgebiet anzuschließen. Häufig, auch in diesen Tagen, protestieren aserbaidschanisch-stämmige Iraner gegen die Politik ihrer Regierung in Teheran.

Umgekehrt fürchtet die aserbaidschanische Führung Unterwanderung durch schiitische Gelehrte und islamistische Terroristen, auch wenn sie wirtschaftliche Kontakte in den Süden pflegt. Diese Probleme würden den Iran zu einem schwierigen Vermittler im Südkaukasus machen, wie es die Führung in Teheran vorschlägt und inzwischen auch in Europa diskutiert wird.

Wesentlich besser sind dagegen die Beziehungen zwischen dem Iran und Armenien. Beide verbinden wirtschaftliche Interessen - teils gegen, teils im Einverständnis mit Russland, das Schutzmacht Armeniens ist. In diesem Sinne gibt es eine Nord-Süd-Achse Russland - Armenien - Iran. Dagegen steht eine Ost-West-Achse zwischen der Türkei und Aserbaidschan mit einer strategischen Partnerschaft, in der das christliche Georgien ein Bindeglied ist.

Allein diese Aspekte zeigen, dass die Verhältnisse im Südkaukasus zu facettenreich sind, als dass einfach von einem Kampf Christentum gegen Islam gesprochen werden könnte.