Polizisten beobachten, wie eine Silvesterrakete gezündet wird.
Hintergrund

Angriffe in der Silvesternacht Mehr Gewalt gegen Einsatzkräfte?

Stand: 16.01.2018 14:22 Uhr

Nach der Silvesternacht ist eine Debatte über Gewalt gegen Feuerwehrleute und Polizisten entbrannt. Anlass waren Meldungen aus Berlin und Leipzig. Aber kam es tatsächlich zu überdurchschnittlich vielen Übergriffen auf Einsatzkräfte?

Die Berliner Feuerwehr hatte in der Silvesternacht einiges zu tun: In der Zeit von 19 Uhr bis 6 Uhr am Neujahrsmorgen rückte sie zu 1580 Einsätzen aus. In ihrer Bilanz erwähnt sie auch "massive" Angriffe auf Einsatzkräfte und Fahrzeuge.

Eine Rettungswagenbesatzung habe sich "in einer sehr bedrohlichen Situation" befunden, in der die Polizei Schusswaffen sichergestellt habe. Ein Mitglied einer freiwilligen Feuerwehr sei durch körperliche Gewalt, ein anderes durch Feuerwerk verletzt worden. Zudem twitterte die Berliner Feuerwehr:

Großes mediales Echo

Diese und andere Meldungen, etwa aus Leipzig,  wurden vom Neujahrstag an in verschiedenen Medienberichten aufgegriffen. Auch die tagesthemen berichteten darüber. Neben Polizeigewerkschaftern reagierten auch Innenminister Thomas de Maizière und Justizminister Heiko Maas. Sie verurteilten Gewalt gegen Einsatzkräfte.

Gewerkschaftschef sieht "Tötungsversuche"

Maas erklärte, die Angriffe seien keine Ausnahme, und es sei "höchste Zeit", Rettungskräfte wirkungsvoller zu schützen. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte der "Rhein-Neckar-Zeitung", solche Angriffe seien keine Silvester-Böllerei, sondern "Tötungsversuche". Es sei purer Zufall, dass den Polizeikräften nicht mehr passiert sei.

Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft

Gewerkschaftschef Wendt beklagt eine Zunahme der Gewalt gegen Einsatzkräfte.

Behörden sprechen von eher ruhigen Silvesternacht

Der Aussage von Wendt stehen Angaben der Landesinnenministerien und der Innenbehörden entgegen. Eine Abfrage zeigt, dass zwar knapp 100 Polizisten im Einsatz während der Silvesternacht leicht verletzt wurden, allerdings nicht mehr als in Vorjahren. Auch gab es demnach keine Schwerverletzten. Das Bundespolizeipräsidium spricht von einem "eher ruhigen" Einsatzverlauf.

In Berlin erlitten insgesamt elf Beamte Gehör- und Ohrenschmerzen, da in ihrer Nähe Böller explodierten. Sie konnten alle weiterarbeiten. In Hamburg wurden fünf Beamte leicht verletzt, davon zwei durch Böller an der Hand. Auch sie konnten alle ihren Dienst fortsetzen. Angesichts von insgesamt 1624 Einsätzen in der Nacht ist das laut Innenbehörde "unauffällig".

25 Polizisten in Nordrhein-Westfalen verletzt

Die höchste Zahl, 25 verletzte Polizisten, meldet Nordrhein-Westfalen. In Bayern wurden zwölf, in Niedersachsen elf, in Hessen und im Saarland sieben, in Bremen drei, in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein je zwei und in Mecklenburg-Vorpommern ein Beamter verletzt. Baden-Württemberg spricht von einer einstelligen Zahl. Dies sei "im Rahmen des an Silvester vorkommenden Bereichs" gewesen. Aus den anderen Ländern wurden keine Verletzten gemeldet.

NRW-Innenminister Reul mit Polizisten

NRW-Innenminister Reul machte sich Silvester in Köln persönlich ein Bild von der Lage.

"Eine besondere Verschärfung über die letzten Jahre hinweg konnte nicht festgestellt werden", teilte etwa das niedersächsische Innenministerium mit. Bayern spricht beim Vergleich der Zahlen mit den Vorjahren von Schwankungen im nicht relevanten statistischen Bereich.

Zahl der Übergriffe hängt von vielen Faktoren ab

Einen Vergleich über mehrere Jahre hinweg hält Schleswig-Holstein allerdings für wenig zielführend: "Die Aussagekraft wäre aus hiesiger Sicht auch relativ gering, da sich punktuell äußere Einflüsse auf das Einsatzgeschehen auswirken können (wie zum Beispiel die Witterung) und dementsprechend bei einer extrem verkürzten Betrachtung auf nur eine Dienstschicht eine sehr verzerrte Datenlage ergeben würde."

Das schleswig-holsteinische Innenministerium bestätigt aber, dass die Zahl der Übergriffe auf Beamte insgesamt erschreckend hoch sei. Seit 2011 schwankten sie in dem Bundesland zwischen 354 und 443. Auch das hessische Innenministerium erklärt, die Silvesterzahlen seien zwar nicht auffällig, aber doch symptomatisch dafür, dass Einsatzkräfte immer wieder angegriffen würden.

Die Zahlen der Innenministerien decken allerdings nicht alle Fälle ab, die von Einsatzkräften möglicherweise als gefährlich oder bedrohlich wahrgenommen werden. Sie zeigen, dass jedes Jahr zu Silvester Dutzende Polizisten in Deutschland verletzt werden, dieser Jahreswechsel aber offenbar nicht gewalttätiger war als in früheren Jahren.

Anstieg über die letzten Jahre erkennbar

Insgesamt ist laut der Polizeilichen Kriminalstatistik die Gewalt gegen Einsatzkräfte in den vergangenen fünf Jahren jedoch angestiegen. Einen Einblick über das generelle Ausmaß der Gewalt gegen Einsatzkräfte gibt zudem eine Studie, die unter der Leitung des Bochumer Kriminologen Thomas Feltes entstanden ist.

Mehrere Medien, wie "Der Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" haben die Studie aktuell aufgegriffen. Ende Januar soll sie offiziell vorgestellt werden. Vorläufige Ergebnisse hat die Ruhr Universität Bochum bereits im Oktober veröffentlicht. Sie beruht demnach auf den Antworten von etwa 810 Einsatzkräften von Feuerwehren und Rettungssanitätern. Demnach wurden 13 Prozent von ihnen in den vergangenen zwölf Monaten Opfer körperlicher Gewalt im Einsatz. 60 Prozent berichten von Beschimpfungen oder aggressiven Gesten.