Eine Frau versucht sich vor der Gewalt eines Mannes zu schützen.

Schwere Straftaten gegen Frauen Die männliche Gewalt

Stand: 14.03.2018 16:21 Uhr

In Flensburg ist eine 17-Jährige getötet worden, in Berlin wurde eine 14-Jährige erstochen. Schwere Gewalttaten von Männern gegen Frauen sind trauriger Alltag. Tatort ist zumeist die Wohnung des Opfers.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Nach dem Tod einer 17-Jährigen in Flensburg ist gegen einen 18 Jahre alten Tatverdächtigen Haftbefehl wegen Totschlags erlassen worden. Wie die Leitende Staatsanwältin sagte, handelt es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen abgelehnten Asylbewerber aus Afghanistan.

Auch im Fall der erstochenen 14-Jährigen aus Berlin hatte ein Richter Haftbefehl erlassen - gegen einen tatverdächtigen Mitschüler. Der 15-jährige Deutsche sitzt laut Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft. Er soll die Jugendliche getötet haben - in ihrer Wohnung in Berlin. Das Motiv ist noch unklar.

Gemeinsam haben diese Fälle und auch der von Kandel, dass die Opfer weiblich waren und die Täter männlich - und sie sich jeweils kannten. Statistiken zeigen, dass diese Konstellation durchaus typisch ist für solche Verbrechen.

435 Frauen getötet

Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik geht hervor, dass es im Jahr 2016 bei den Delikten Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen insgesamt 1036 Fälle mit weiblichen Opfern gab. In 601 Fällen blieb es beim Versuch, 435 Frauen wurden getötet.

Von diesen 435 Opfern lebten 163 gemeinsam mit dem Tatverdächtigen in einem Haushalt, 52 weitere standen in einem Beziehungs- oder Betreuungsverhältnis, bei 159 weiteren vollendeten Fällen gab es eine räumliche und/oder soziale Nähe zwischen Opfer und Tatverdächtigen. In 26 Fällen gab es keine entsprechende Nähe, in 35 Fällen war es ungeklärt, ob es eine Verbindung gegeben hatte.

Polizeiliche Kriminalstatistik 2016: weibliche Opfer
Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen Insgesamt versucht vollendet
1036 601 435

Viele Frauen durch Partner getötet

Auffällig ist also, dass die meisten der Opfer den mutmaßlichen Täter gekannt hatten. Entweder lebten sie in einem Haushalt oder der Tatverdächtige kam aus dem räumlichen oder sozialen Umfeld. Auch dies trifft auf die Fälle von Berlin und Flensburg zu.

Im Jahr 2016 wurden 149 Frauen sogar von ihrem jeweiligen Partner ermordet oder totgeschlagen. Zudem registrierte das Bundeskriminalamt mehr als 11.000 Fälle von gefährlicher Körperverletzung gegen Frauen durch den Partner, bei der einfachen Körperverletzung waren es fast 70.000 Delikte. Bei diesen Zahlen ist zudem von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen.

Partnergewalt mit Fallstatus
Delikte Opfer insgesamt männlich weiblich
a) Mord u. Totschlag versucht 278 70 208
  vollendet 163 14 149
  insgesamt 441 84 357
b) gefährliche Körperverletzung versucht 2.143 856 1.287
  vollendet 14.585 3.990 10.595
  insgesamt 16.728 4.846 11.882
c) schwere Körperverletzung versucht 12 4 8
  vollendet 57 11 46
  insgesamt 69 15 54
d) KV mit Todesfolge vollendet 8 2 6
  insgesamt 8 2 6
e) vorsätzliche einfache KV versucht 2.085 520 1.565
  vollendet 83.979 15.814 68.165
  insgesamt 86.064 16.334 69.730
f) Vergewaltigung, sex. Nötigung versucht 304 4 300
  vollendet 2.263 32 2.231
  insgesamt 2.567 36 2.531
g) Bedrohung vollendet 18.678 1.925 16.753
  insgesamt 18.678 1.925 16.753
h) Stalking vollendet 8.525 882 7.643
  insgesamt 8.525 882 7.643

Häufigster Tatort: die eigene Wohnung

Das Familienministerium veröffentlichte 2004 eine umfassende Studie zu Gewalt gegen Frauen, auf die bis heute in vielen Untersuchungen und Berichten Bezug genommen wird. So verwies beispielsweise das Familienministerium auf Anfrage des ARD-faktenfinder selbst auf diese Studie hin. Auch die Organisation Terres des Femmes erklärte auf Anfrage, man benutze diese Untersuchung weiterhin - und die Ergebnisse deckten sich mit den aktuellen Erfahrungen aus Beratungsgesprächen.

Die Studie war zu dem Ergebnis gekommen, dass die meisten sexuellen und körperlichen Gewalttaten gegen Frauen in der eigenen Wohnung begangen wurden - genau wie es jetzt auch in Berlin und Flensburg der Fall war.

Welche Rolle spielen Flüchtlinge?

In Kandel und Flensburg handelt es sich bei den mutmaßlichen Tätern um junge Afghanen. Das Bundeskriminalamt veröffentlichte zu der Frage, welche Entwicklungen und Auswirkungen es durch den Andrang von Flüchtlingen und Asylbewerbern auf die Kriminalitätslage gibt, einige "Kernaussagen". Darin heißt es, "aufgrund der vorhandenen Unschärfen" würden "grundsätzliche Tendenzen aufgezeigt und Trendaussagen abgeleitet".

Von Januar bis September 2017 wurden demnach 364 Fälle von Straftaten gegen das Leben registriert, bei denen mindestens ein Flüchtling oder Asylbewerber als Opfer oder Tatverdächtiger beteiligt war. In 192 Fällen waren ausschließlich Zuwanderer beteiligt, also sowohl als Tatverdächtige als auch als Opfer. Bei den 55 vollendeten Fällen wurden insgesamt 70 Personen getötet, davon 45 Zuwanderer, zehn deutsche Staatsangehörige, fünf Staatsangehörige eines EU-Staates sowie zehn Staatsangehörige eines Nicht-EU-Staates. Welches Geschlecht die Opfer hatten, wurde vom BKA nicht ausgewiesen. Auf Nachfrage des ARD-faktenfinder erklärte das BKA, eine weitere Aufschlüsselung der Zahlen sei leider nicht möglich.

Hoher Anteil von nichtdeutschen Verdächtigen

In der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2016 fällt auf, dass bei Delikten wie Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen sowie Vergewaltigung und sexueller Nötigung der Anteil Nichtdeutscher sehr hoch ist: Bei Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen liegt er bei 41 Prozent aller Tatverdächtigen, bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung bei 38,8 Prozent.

Tatverdächtige bei ausgewählten Straftaten
Delikte Nichtdeutsche (in %) Deutsche (in %)
Straftaten insgesamt (ohne ausländerrechtliche Verstöße) 30,5 69,5
Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen 41 59
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung 38,8 61,2
Straftaten gegen persönliche Freiheit 26,1 73,9

Das BKA weist aber darauf hin, dass ein Vergleich zwischen Deutschen und Nichtdeutschen nur bedingt möglich sei, wegen der unterschiedlichen Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur.

Ganz überwiegend männliche Täter

Bei schweren Delikten wie Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen oder gefährliche Körperverletzung oder Vergewaltigungen ist der ganz überwiegende Teil der Tatverdächtigen männlich.

Tatverdächtige bei ausgewählten Straftaten
Delikt männlich (in %) weiblich (in %)
Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen 87,9 12,1
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung 98,7 1,3
Gefährliche und schwere Körperverletzung, Verstümmelung weibl. Genitalien 85 15
Straftaten insgesamt 74,9 25,1

Eine Sprecherin des Familienministeriums teilte auf Anfrage des ARD-faktenfinder mit, bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung in Partnerschaften sind die Opfer zu fast 100 Prozent weiblich, bei Stalking und Bedrohung in der Partnerschaft sind es fast 90 Prozent. Bei vorsätzlicher, einfacher Körperverletzung sowie bei Mord und Totschlag in Paarbeziehungen sind es 80 Prozent.

"Kein Tabuthema mehr"

Gesa Birkmann von Terres des Femmes betonte im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder, es sei hilfreich, dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit insgesamt stärker wahrgenommen werde. Es sei kein verstecktes Thema mehr. Jede vierte Frau in Deutschland sei mindestens einmal im Leben von sexualisierter Gewalt betroffen. Insgesamt scheint diese Gewalt weiter anzusteigen, sagte sie, allerdings lägen dazu noch keine validen Zahlen vor.

Birkmann wies auf die enorme Dimension der häuslichen Gewalt hin: Alle zwei bis drei Tage werde in Deutschland eine Frau von ihrem Partner getötet, doch dies werde zumeist nur dann wahrgenommen, wenn es sich bei dem Täter um einen Flüchtling handele. Doch die Erfahrung aus der Beratungsarbeit zeige: "Solche Gewalttaten kommen in allen gesellschaftlichen Milieus vor."

Gewalt gegen Frauen

Amelia Wischnewski, NDR, tagesschau 12:00 Uhr