Syrische Regierungstruppen in der Stadt Duma.

Krieg in Syrien Zwischen Fiktion und Wirklichkeit

Stand: 16.04.2018 16:36 Uhr

Nach dem mutmaßlichen Giftgas-Einsatz in Duma hat Moskau behauptet, der Angriff sei vom Westen inszeniert. Dabei werden die Grenzen zwischen Fiktion und Realität komplett verwischt.

Schon seit Monaten tobt eine Propagandaschlacht um den Einsatz von Giftgas in Syrien: Fotos und Videos im Netz sollen beweisen, dass Aufnahmen von Attacken und Opfern nur gestellt seien und entsprechende Angriffe nie stattgefunden hätten.

Derzeit wird über die Deutung des mutmaßlichen Angriffs mit Giftgas in Duma gerungen: In sozialen Netzwerken kursieren Bilder, die ein ganzes Filmset von Rebellen zeigen sollen: Angeblich werden dort Frauen und Kinder geschminkt und ausgestattet, um als Opfer eines Angriffs inszeniert zu werden. Diese Bilder werden bereits seit Anfang März verbreitet als vermeintlicher Beleg, dass es eine Medienindustrie gebe, um die syrische Armee zu dämonisieren.

Set vom Spielfilm

Tatsächlich zeigen diese Bilder ein Filmset - aber nicht von Hollywood oder Rebellen eingrichtet, sondern sie stammen von Dreharbeiten an dem syrischen Spielfilm "Revolution Man". Auf der Facebook-Seite zu der Produktion wurden die Bilder im Februar veröffentlicht, der Film selbst wurde Anfang März in Damaskus vorgestellt. Das Mobilfunkunternehmen Syriatel und das syrische Ministerium für Kultur förderten den Film. Der Regisseur Najdat Anzour ist nicht nur bekannt durch Film- und TV-Produktionen, sondern wurde 2017 auch zum Sprecher des syrischen Parlaments benannt und leitet bis heute diplomatische Delegationen.

Inhaltlich geht es in diesem Film passenderweise um die Inszenierung von Krieg in Syrien - und zwar durch einen gewissenlosen und geltungssüchtigen westlichen Journalisten. Dieser Reporter reist illegal nach Syrien ein, um möglichst reißerisch zu berichten. Da er aber nicht die erwünschten Motive vorfindet, inszeniert er gemeinsam mit Rebellen chemische Attacken, so die Erzählung.

Staatsfernsehen mit weiterer Verschwörung

Die Fotos des Filmsets stammen also ohne Zweifel von den Dreharbeiten für "Revolution Man". Dennoch wird nun behauptet, die Rebellen in Syrien würden nicht nur einzelne Motive inszenieren, sondern hätten sogar das gesamte Set nachgeahmt.

Diese abenteuerliche Theorie verbreiten nicht kleine Blogs im Netz, sondern das berichtete der russische Staatssender "Russia 1" am 9. April 2018 in seiner Hauptnachrichtensendung. "Russia 1" behauptet, die Bilder von dem Filmset stammten von den oppositionellen Weißhelmen in Syrien. Diese Gruppierung sei vom Westen gegründet worden und werde von dort aus finanziert. Die Weißhelme betrieben eine ganze Fake-Fabrik und seien die PR-Abteilung von Al Kaida in Syrien, so das russische Staatsfernsehen.

Als vermeintlichen Beweis für das inszenierte Filmset führt "Russia 1" lediglich eine angeblich falsch beschriftete Regieklappe an. Diese soll beweisen, dass es sich um einen Fake der Weißhelme handelt. Das russische Staatsfernsehen erwähnt aber nicht, dass diese Regieklappe auf der Facebook-Seite zum Film "Revolution Man" zu sehen ist. Und es erwähnt auch nicht, dass eine namentlich genannte Regie-Assistentin des Filmteams diese Klappe hält. Diese Assistentin hat zahlreiche weitere Fotos von den Dreharbeiten und der Premiere des Films in Syrien veröffentlicht.

Das russische Staatsfernsehen kann also kein belastbares Indiz für seine Behauptung liefern, wonach die Weißhelme ein ganzes Filmset inszeniert hätten. Dennoch behauptet "Russia 1", man habe die Gruppe demaskiert.

Warum sollten aber die Rebellen überhaupt einen solchen Aufwand betreiben? "Russia 1" zufolge wollen die Weißhelme ihre eigenen Fake-Produktionen verschleiern, indem sie behaupten, Aufnahmen von inszenierten Opfern stammten von den Dreharbeiten für "Revolution Man".

Kreml: Attacke war inszeniert

Wenige Tage nach diesem Bericht von "Russia 1" nahm der russische Außenminister Sergej Lawrow dann die Unterstellung auf, die Attacke von Duma sei ein Fake:

Wir haben unwiderlegbare Informationen, dass dies eine neuerliche Inszenierung von Geheimdiensten eines Staates war, der sich darum reißt, in der ersten Reihe der russophoben Kampagne zu stehen.

Und der Sprecher der russischen Armee, Igor Konaschenkow, legte nach: London habe bei der Inszenierung des mutmaßlichen Giftgasangriffs "starken Druck" auf die Zivilschutzorganisation der Weißhelme ausgeübt.

Angebliche "False-Flag-Operation"

Anders ausgedrückt: Das Assad-Regime habe kein Giftgas eingesetzt, sondern solche Attacken seien vom Westen inszeniert, um Moskau schlecht aussehen zu lassen. Es handele sich um eine False-Flag-Operation - also eine Aktion unter falscher Flagge. Eine Verschwörungslegende, die ähnlich im Fall Skripal aufgestellt worden war.

Russland inszeniert sich somit erneut als Opfer. Plausible Erklärungen, belastbare Indizien oder gar Beweise kann Moskau hingegen nicht benennen. Stattdessen verbreitet das russische Staatsfernsehen lupenreine Desinformation.