Rettungskräfte in Volksmarsen am Rande eines Umzugs
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Volkmarsen Gezielte Falschmeldungen über Amokfahrt

Stand: 25.02.2020 09:28 Uhr

Eine anonyme Seite behauptet im Netz, in Volkmarsen habe es einen islamistischen Anschlag gegeben. Obwohl Belege fehlen, teilen unter anderem AfD-Profile die Falschmeldung. Geglaubt wird, was ins eigene Weltbild passt.

In sozialen Netzwerken taucht nach mutmaßlichen Anschlägen oder Amokfahrten wie am Montag in Volkmarsen schnell eine Frage auf: Welche Nationalität hat der Täter? Die Polizei ist mittlerweile geübt, mit solchen Situationen umzugehen, fordert über ihre Social-Media-Profile dazu auf, nicht zu spekulieren und auf gesicherte Informationen zu warten, und bitte keine Videos und Fotos zu verbreiten.

Dies hat unter anderem den Hintergrund, dass Angehörige von Opfern erst informiert werden sollen. Auch können Videos und Fotos, die aus dem Kontext gerissen werden, Angst und Panik verbreiten. Nach einer Amokfahrt in Münster beispielsweise wurden Bilder von einem Lieferwagen veröffentlicht, in dem sich angeblich ein Sprengsatz befand. Zudem kursierte das Gerücht, es seien bewaffnete Terroristen in der Stadt unterwegs. Solche Falschmeldungen können in unübersichtlichen Situationen Panik auslösen.

"Danke Merkel!"

Nach der mutmaßlichen Amokfahrt eines Mannes in Volkmarsen spekulierten Nutzer im Netz ebenfalls umgehend über die Hintergründe. Ein Nutzer schrieb, es sei bestimmt ein Anschlag von Islamisten. Andere kommentierten zynisch mit "Danke Merkel!" - eine in rechtsradikalen Kreisen gängige Floskel, um der Bundeskanzlerin und ihrer Flüchtlingspolitik persönlich die Schuld für Straftaten oder Anschläge zu geben.

Aber auch die Aufrufe der Polizei, keine Gerüchte und Videos zu verbreiten, werden umgehend zu einer Verschwörung umgedeutet. Auf Twitter schrieb der Nutzer "TanduayIce", es sei "interessant, dass keine Aufnahmen verbreitet werden sollen". Dann wird in Frageform nachgeschoben: "Weil die Version der Regierung dann immer abweicht von der 'gesehenen' Tat?"

"Die Wahrheit über Hanau"

Ein Gerücht als Frage oder vermeintliche Satire zu tarnen, ist ein beliebtes Stilmittel, um sich im Zweifelsfall wieder davon distanzieren zu können. Das Profil "TanduayIce" teilt auch Inhalte, in denen die vermeintliche "Wahrheit über Hanau" verkündet wird. Diverse Blogs behaupten nämlich, bei dem Täter handele es sich gar nicht um einen Deutschen, der stark von rassistischen Ideen geprägt war.

Beispielsweise in einem Video, das seit Montag bereits 50.000 mal abgerufen wurde, wird die Verschwörungstheorie aufgebaut, es habe sich in Hanau möglicherweise um eine Geheimdienstoperation gehandelt, um der AfD zu schaden.

Auch nach der Amokfahrt von Volkmarsen behaupten Nutzer, es werde ein falscher Täter präsentiert. Eine Augenzeugin habe in einer WhatsApp-Gruppe geschrieben, der Täter habe einen Migrationshintergrund, heißt es in sozialen Medien. Daher wäre es gut, schreibt ein Twitter-Nutzer an die Polizei gerichtet, wenn sich diese bald äußern würde, um Spekulationen zu unterbinden. So wird versucht, Polizei und Medien unter Druck zu setzen.

Angeblich islamistischer Anschlag

Doch selbst umfassende Informationen sind kein Allheilmittel gegen Verschwörungstheorien und gezielte Falschmeldungen: So meldete eine angeblich jüdische Nachrichtenseite am Montagnachmittag auf Englisch, es habe sich bei der Amokfahrt um einen islamistischen Anschlag gehandelt. Eine Quelle für ihre Informationen nennt die anonyme Seite gar nicht erst, dennoch wird der Bericht auf Facebook unter anderem von der AfD- und AfD-nahen Seiten geteilt.

Eine AfD-Seite aus Waiblingen verbreitet nicht nur diese Falschmeldung, sondern auch einen Bericht der Seite "Deutschland Stimme", die für sich beansprucht, "ohne political correctness-Filter" zu berichten. Allerdings berichtet sie auch ohne jeden journalistischen Anspruch und schreibt entgegen aller vorliegenden Informationen: "Es war ein Anschlag!"

Den "Lügenmedien" werfen die anonymen Betreiber vor, "sie bezeichnen den Täter als DEUTSCHEN oder als 29-jährigen Mercedesfahrer! Und das, obwohl die ersten ausländischen Agenturen ganz klar von Zeugenaussagen berichten, die ohne jeden Zweifel von einem Moslem und Südländer als Täter sprechen". Als Quelle wird die erwähnte angebliche jüdische Seite erwähnt, die wiederum keine Quelle nennt.

Eine Frage des Glaubens

Nach einem solchen Referenzsystem werden ganze Legenden aufgebaut: Eine anonyme Seite verbreitet beispielsweise eine gezielte Falschmeldung, eine andere ein Gerücht, die nächste ein verkürztes Zitat oder aus dem Kontext gerissenes Foto - und daraus wird ein eigenes Narrativ aufgebaut. Wird eine Behauptung widerlegt, verweisen Nutzer wiederum auf das nächste Gerücht.

Eine alternative Realität entsteht: Einige Nutzer vertrauen einer anonymen Webseite aus dem Ausland mehr als sämtlichen Polizisten und Reportern, die vor Ort arbeiten. In Kommentaren werfen sie Polizei, Regierung und Medien vor, sie würden gemeinsam agieren und Informationen zurückhalten, um die Menschen zu belügen. So wachsen Verschwörungstheorien - und geglaubt wird nur noch das, was ins eigene Weltbild passt.