Orban im Wahlkampf 2018

Ungarns Regierung Wieder Stimmungsmache gegen die EU

Stand: 04.04.2019 14:32 Uhr

Ungarns Regierung verbreitet falsche Behauptungen über die EU: Brüssel rüste Flüchtlinge mit anonymen Bankkarten aus. Dazu präsentiert der Regierungssprecher ein manipuliertes Bild einer Kreditkarte.

Von Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder, und Srdjan Govedarica, ARD-Studio Wien

Ungarns Regierung macht weiter Stimmung gegen die EU. Regierungssprecher Zoltan Kovacs veröffentlichte am 30. März einen Beitrag, der sich auf die Verhaftung eines Syrers in Budapest bezieht: Hassan F. wird vorgeworfen, an Kämpfen der Terrormiliz "Islamischer Staat" und an einem Massaker in Homs beteiligt gewesen zu sein. Der 27-Jährige bestritt vor Gericht seine Schuld, sagte der Leiter der ungarischen Anti-Terror-Einheit TEK laut Medienberichten.

Der Syrer war am 22. März von der TEK verhaftet worden. Die Anti-Terror-Einheit hatte dabei mit Europol und Geheimdiensten anderer Staaten kooperiert. So soll der belgische Geheimdienst den Syrer identifiziert und die entsprechenden Dokumente geliefert haben.

Als Flüchtling in Griechenland

Zuvor hatte F. 2016 in Griechenland den Flüchtlingsstatus erhalten und war angeblich in verschiedenen EU-Staaten unterwegs. Den ungarischen Sicherheitsbehörden war er im Dezember 2018 aufgefallen. Am Budapester Flughafen wurde er unter Verdacht des Menschenschmuggels festgenommen, da seine Begleiterin mit einem gefälschten Pass reiste. Er wurde rechtskräftig verurteilt und kam in ein Abschiebelager, wo er schließlich wegen der Terrorvorwürfe verhaftet wurde.

Regierungssprecher Kovacs behauptet, die Festnahme sei "selbstverständlich" das Verdienst der ungarischen TEK, obgleich die entscheidenden Hinweise aus anderen EU-Staaten kamen.

Angeblich mit anonymer Bankkarte unterwegs

Weiter schreibt der Regierungssprecher unter Bezugnahme auf nicht genannte Medien, der Mann sei mit einer "anonymen Prepaid Debitkarte" der EU unterwegs gewesen. Darauf habe er monatlich 500 Euro überwiesen bekommen. "Diese Summe liegt weit über dem heutigen Brutto-Mindestlohn in Ungarn."

Ungarn habe vor diesen "anonymen Prepaid-Debitkarten" für Flüchtlinge gewarnt, schreibt Kovacs, solche Karten seien "ein Sicherheitsrisiko". Der Regierungssprecher attackiert die EU deswegen scharf: "Die Maßnahmen der Immigrationsbefürworter in Brüssel gehen zu weit." Die Bürger hätten "das Recht zu wissen, was Brüssel tut".

Regierung veröffentlicht manipuliertes Foto

Der Beitrag des Regierungssprechers wurde bebildert mit einem Foto, das angeblich eine Kreditkarte der EU zeigt. Allerdings existieren solche Kreditkarten gar nicht. Eine Bildersuche im Netz zeigt, das dieses Foto manipuliert wurde. Das Original ist bereits seit Monaten zu finden, allerdings ohne EU-Logo.

Zudem steht auf den Originalbildern der Name "Jane Smith" - und nicht wie auf den Seiten der ungarischen Regierung "Anonymous". Auch die Gültigkeitsdauer wurde manipuliert. Auf dem Original war angegeben, dass die Karte im September 2015 ablaufe - auf dem manipulierten Bild ist diese bis September 2023 gültig.

Screenshot: Eine Hand hält eine Kreditkarte

Original: eine Kreditkarte mit dem Namen Jane Smith

Karte war laut Medien bereits deaktiviert

Ungarns Regierung unterstellt also, die EU rüste Flüchtlinge mit anonymen Debit- oder sogar Kreditkarten aus, die in verschiedenen EU-Staaten benutzt werden könnten. Auf welche Medienberichte sich der Regierungssprecher in seinem Beitrag genau bezog, bleibt aber unklar.

Tatsächlich hatte das Staatsfernsehen M1 berichtet, der Syrer Hassan F. habe eine Karte mit einem Guthaben von 500 Euro mitgeführt, da er mit seiner mehrköpfigen Familie unterwegs gewesen sei. Allerdings sei diese Karte bereits deaktiviert gewesen, weil er sich in Griechenland nicht wie vorgeschrieben gemeldet habe.

Diese Informationen erwähnte Ungarns Regierungssprecher aber nicht. Die Angabe erscheint aber plausibel. Tove Ernst, Sprecherin der EU-Kommission für die Bereiche Migration und Inneres, erklärt auf Anfrage des ARD-faktenfinder, das Prepaid-Debit-Programm sei von der EU-Kommission initiiert worden und werde vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Griechenland umgesetzt.

Die Karten funktionierten ausschließlich in dem Land und würden automatisch blockiert, wenn sie jemand in anderen Staaten benutzen wolle. Behauptungen, wonach Flüchtlinge mit den Karten auch anderswo bezahlen könnten, seien falsch, stellt die Sprecherin fest.

"Karten sind nicht anonym"

Zudem seien die Karten keineswegs anonym, sondern durch eine Nummer einer bestimmten Person zugeordnet, betont die Sprecherin. Die Identität jeder Person sei den griechischen Behörden und dem UNHCR bekannt. Außerdem müsse jeder dieser Flüchtlinge einmal monatlich persönlich zu einer Überprüfung erscheinen, sonst würde die Karte deaktiviert.

Sprecherin Tove Ernst betont, die Höhe der Zahlungen auf den Karten variierten von 90 Euro monatlich bis 550 Euro für eine siebenköpfige Familie. Das Maximum für eine Einzelperson liege bei 150 Euro.

"Sicherer als Bargeld"

Das UN-Flüchtlingshilfswerk in Griechenland bestätigte auf Anfrage des ARD-faktenfinder die Angaben. "Das UNHCR überprüft monatlich die Berechtigung für das Programm, einschließlich der Anwesenheit im Land", sagt UNHCR-Sprecher Boris Cheshirkov. Die Karten von Personen, die das Land verlassen, werden deaktiviert.

"Die Prepaid-Karten geben den Flüchtlingen die Möglichkeit, sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen, betont eine Mitarbeiterin der israelischen Organisation IsraAID, die über Jahre in Griechenland mit Flüchtlingen gearbeitet hat. Im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder sagt sie, die Karten hätten sich absolut bewährt.

Die UNHCR setzt solche Karten auch in anderen Staaten ein. Mastercard kooperiert dabei seit 2015 in einem "Aid Network". Die Vorteile lägen auf der Hand, sagte eine Sprecherin: Das Geld erreiche unmittelbar die Menschen und die Hilfsorganisationen können nachvollziehen, welche Waren mit der Karte bezahlt wurden. Zudem sei der Aufwand weit geringer als bei Bargeld.

Wahlkampf beginnt

Am Freitag will Ministerpräsident Viktor Orban das Wahlprogramm seiner Fidesz-Partei für die Europawahl offiziell vorstellen, am Samstag folgt dann die erste Veranstaltung zum Wahlkampf.

In Brüssel dürfte man genau beobachten, ob Ungarn dann erneut die EU attackiert. Ende Februar hatte die Kommission bereits öffentlich Attacken und Unterstellungen aus Budapest zurückgewiesen. Zudem suspendierte die EVP-Fraktion im Europaparlament Orbans Fidesz-Partei wegen der ungarischen Kampagne gegen die EU und den Milliardär George Soros.