Ein junger Mann liegt mit einem Plakat auf dem Boden
Hintergrund

"Extinction Rebellion" Radikal, aber gewaltlos

Stand: 05.10.2019 06:43 Uhr

Heute beginnt in Berlin ein "Aufstand gegen das Aussterben", den "Extinction Rebellion" organisiert. Die Umweltbewegung setzt sich von "Fridays for Future" ab: durch Radikalität.

"Klimakatastrophe stoppen! Berlin ab 7. Oktober blockieren" - so die Forderung auf einem Stoffbanner, das am 20. September auf der Kreuzung am Potsdamer Platz ausgebreitet war. Rundherum saßen, lagen und standen Hunderte Demonstranten, viele mit den Flaggen der Organisation "Extinction Rebellion". Darauf abgebildet ein Kreis um zwei Dreiecke als Symbole für die Erde und eine Sanduhr als Warnung: Die Zeit läuft ab.

"Extinction Rebellion" (Rebellion gegen das Aussterben) versteht sich als gesellschaftspolitische Bewegung, die sich ganz der Rettung der Natur widmet. Ihre Ziele fasst sie auf ihrer Website in drei Forderungen zusammen: Die Bundesregierung solle den Klimanotstand ausrufen und alles revidieren, was der Bewältigung der Klimakrise entgegenlaufe.

Die Bundesregierung müsse zudem die Treibhausgas-Emissionen senken, das Artensterben stoppen und den ökologischen Raubbau eindämmen. Außerdem solle die Bundesregierung eine "Bürger:innenversammlung" einberufen, in der zufällig ausgewählte Bürger über Maßnahmen gegen die ökologische Katastrophe und Klimagerechtigkeit beraten sollen.

Prominente unterstützen Bewegung

Inzwischen erfährt "Extinction Rebellion" auch von prominenter Seite Unterstützung: In einem offenen Brief an das Kanzleramt schlossen sich unter anderem der Regisseur Fatih Akin, die Schauspieler Christian Ulmen, Anna Loos, Fahri Yardim und Bjarne Mädel sowie die Musiker Bela B, Selig und Madden den Forderungen der Bewegung an. Die rund 90 Unterzeichner verlangen von den Politikern, sofort drastische Maßnahmen gegen die sich verschärfende ökologische Krise zu ergreifen.

Den Alltag stören

Während die Schülerbewegung "Fridays for Future" mit anderen Organisationen an Freitagen wie dem 20. September mit Demonstrationen auf ihr Anliegen aufmerksam machte, will "Extinction Rebellion" ab dem 7. Oktober eine ganze Woche lang den Alltag in der Hauptstadt stören. Ein Austragungsort soll erneut der Potsdamer Platz sein. Weitere Aktionen werden kurzfristig über diverse Social-Media-Kanäle angekündigt.

Die Teilnehmer können sich in Trainings vorbereiten, die Organisatoren geben auf ihren Social-Media-Kanälen Hinweise für den Umgang mit der Polizei. Sie halten reguläre politische Mittel wie Demonstrationen und Wahlen für nicht ausreichend oder zu langwierig. Sie wollen "massenhaften und friedlichen zivilen Ungehorsam". Dabei legen sie sich ideologisch nicht fest und setzen auf Gewaltfreiheit.

"Extinction Rebellion" knüpft damit an eine lange Tradition des "zivilen Ungehorsams" an, die gewaltfreie Störungen der öffentlichen Ordnung dann als legitim ansieht, wenn sich eine große Zahl an Bürgern durch Gesetze und politisches Handeln ungerecht behandelt fühlt. Beispiele sind Mahatma Gandhi in Indien, die Bewegung gegen den Vietnam-Krieg in den USA, die Bürgerrechtsbewegung in der DDR oder zuletzt die "Samtene Revolution" in Armenien, bei der 2018 mit friedlichen Massenprotesten ein Machtwechsel gelang.

Internationale Bewegung

In Deutschland fiel "Extinction Rebellion" bislang zum Beispiel mit Blockaden der Berliner Oberbaumbrücke oder der Deutzer Brücke in Köln auf. Im Juni ketteten sich mehr als 20 Aktivisten am Kanzleramt fest.

Spektakulär war eine Aktion am 3. Oktober in London: Mit einem außer Dienst gestellten Feuerwehrauto versprühten Aktivisten 1800 Liter künstliches Blut vor dem britischen Finanzministerium. Auf einem Banner hieß es: "Hören Sie auf, den Klima-Tod zu finanzieren." Eine ähnliche Aktion hatten sie im März in der Downing Street organisiert.

In London hatte die Bewegung ihren Ausgangspunkt, als Aktivisten am 31. Oktober 2018 eine "Rebellion gegen die Regierung" ausriefen. Danach breitete sich die Bewegung nach eigenen Angaben in zahlreiche Länder aus. Vordenker ist der britische Umweltaktivist Roger Hallam, der in einem ausführlichen Papier beschreibt, wie eine gewaltfreie Rebellion den "Zusammenbruch des Klimas und den sozialen Kollaps" aufhalten kann.

Ein junger Mann liegt mit einem Plakat auf dem Boden

"Die in"-Protest in Leeds, Großbritannien.

Wie weit soll der Protest gehen?

Hallam sieht auch massive Blockadeaktionen und den Bruch von Gesetzen als gerechtfertigt an: In einer Abspaltung von "Extinction Rebellion" führte er im September eine Gruppe an, die den Londoner Flughafen Heathrow durch den Einsatz von Drohnen unterbrechen wollte. Die Polizei unterband die Aktion jedoch, indem sie im Vorfeld unter anderem Hallam festnahm. Der Flugbetrieb verlief normal.

Wie weit der Protest in der Praxis gehen soll - ob Gesetze gebrochen werden dürfen und eine Konfrontation mit der Polizei gesucht werden soll - darüber gibt es offenbar innerhalb der Bewegung unterschiedliche Ansichten.

Beim Klimastreik am 20. September beteiligten sie sich zunächst an einer Straßenblockade in Hamburg, verließen jedoch die Aktion am Stephansplatz nach kurzer Zeit, als andere Aktivisten "aggressive Sprechchöre" anstimmten. Zur Begründung hieß es: Beleidigungen und Aggressionen gegen die Polizei trage man nicht mit.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 04. Oktober 2019 um 13:00 Uhr und das Europamagazin am 04. August 2019 um 12:45 Uhr.