Polizisten kontrollieren eine nächtliche Ausgangssperre in Burghausen, Bayern (Dezember 2020)
faktenfinder

Corona-Maßnahmen Streitpunkt Ausgangssperren

Stand: 22.03.2021 14:46 Uhr

Der Effekt von Ausgangssperren auf das Infektionsgeschehen ist stark umstritten. Kritiker meinen, die Maßnahme sei unverhältnismäßig oder sogar kontraproduktiv.

Erneut wird bei den Maßnahmen gegen die Corona-Ausbreitung über mögliche Ausgangssperren diskutiert. Vor der Bund-Länder-Konferenz berichteten Medien übereinstimmend von Plänen des Kanzleramts, in Regionen mit besonders vielen Neuinfektionen nächtliche Ausgangssperren zu vereinbaren. Die Beschlussvorlage liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor; die Ausgangssperren werden darin als strittiger Punkt geführt.

Die Einschätzungen dazu gehen weit auseinander: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält eine nächtliche Ausgangssperre noch nicht für zwingend notwendig. Bei weiterhin rasant steigenden Fallzahlen dürfte sie aber kaum zu vermeiden sein, warnte er bei "Bild live". Grund dafür sei, dass die sich ausbreitende Corona-Mutation B.1.1.7 auf einen Monat betrachtet "vier- bis achtmal so ansteckend" sei wie das bisherige Virus.

FDP-Chef Christian Lindner lehnt Ausgangssperren hingegen grundsätzlich ab. Er sagte bei "Bild live": "Ich halte Ausgangsbeschränkungen immer für unverhältnismäßig, für eine zu scharfe Freiheitseinschränkung." Außerdem seien sie selbst aus Gründen des Infektionsschutzes nicht unbedingt sinnvoll: "Wenn sich Angehörige eines Haushalts draußen an der frischen Luft bewegen, sehe ich keinen Grund, ihnen das zu untersagen."


Diskussion bereits im Januar

Zuletzt war im Januar über mögliche Ausgangssperren diskutiert worden. Unter anderem Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans hatte sich offen dafür gezeigt. Auf Anfrage des ARD-faktenfinder erklärte der Sprecher der Staatskanzlei, aus Sicht von Hans dürfe "es in der Bekämpfung der Corona-Pandemie keine Denk- oder Diskussionsverbote geben", unter anderem Ausgangsbeschränkungen seien eine Option - insbesondere im Hinblick auf die Gefahr durch Virusmutationen.

Allerdings zeigten Anfragen bei Bundesländern, die bereits solche Ausgangssperren eingeführt hatten, dass es weder Auswertungen zum Effekt der Maßnahme vorlagen, noch wissenschaftliche Erkenntnisse, die einen größeren Nutzen belegten.

Gericht kippt landesweite Regelung

Dabei spielt die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme eine zentrale Rolle. Anfang Februar kippte der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen in dem Bundesland. Dem Beschluss zufolge war die von 20 bis 5 Uhr geltende pauschale Ausgangssperre wegen der erheblich verbesserten Pandemielage nicht mehr angemessen.

ARD-Rechtsexpertin Gigi Deppe erklärte zu der Begründung des Gerichts, Ausgangsbeschränkungen seien ein besonders harter Einschnitt in das Leben der Menschen. Sie seien nicht jederzeit erlaubt, weil sie vielleicht irgendwas bringen. Sondern sie seien nur möglich, wenn sich die Lage trotz aller anderen Maßnahmen wesentlich verschlechtert. Außerdem müsse eine Landesregierung immer genau prüfen, ob tatsächlich im ganzen Lande der Ausgang beschränkt werden muss.

Regionale Ausgangssperren weiterhin möglich

Damit war die landesweite Ausgangssperre in dem Bundesland vom Tisch. Doch regionale Maßnahmen blieben möglich. Und darauf konzentrieren sich mittlerweile die Regelungen, so beispielsweise in Bayern, wo die nächtliche Ausgangssperre seit Mitte Februar in Städten und Landkreisen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 gilt, wie beispielsweise im Landkreis Regen. Der Freistaat hat eine Karte veröffentlicht, auf der die "Hotspot-Regionen" und die entsprechenden Einschränkungen dargestellt werden.

Darum geht es nun auch vor dem Bund-Länder-Treffen: Für Landkreise mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 stellt eine Vorlage zusätzliche Einschränkungen in Aussicht - etwa nächtliche Ausgangssperren. Diese sollen demnach bis fünf Uhr gelten, "sofern dem nicht gewichtige Gründe entgegenstehen", die Anfangsuhrzeit ist offen gelassen.

Effekt schwer zu analysieren

Weil es in verschiedenen Staaten große Unterschiede bei der Ausgestaltung von Beschränkungen gibt und sich auch andere Rahmenbedingungen nicht einfach vergleichen lassen, ist es auch besonders komplex, den Effekt und Nutzen von Ausgangssperren zu analysieren.

Eine britische Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass Ausgangssperren weit weniger brächten als andere Maßnahmen. Je mehr Daten aus vielen Staaten vorlägen, so die Forschenden, umso mehr könne man die verschiedenen Einschränkungen auf ihren Erfolg hin analysieren, heißt es zu der Studie. Dennoch bleibe es eine Herausforderung, die einzelnen Effekte isoliert zu messen.

Den stärksten Effekt hatte demnach die Beschränkung von Versammlungen auf weniger als zehn Personen. Danach folgten die Schließung von Schulen sowie Universitäten und daraufhin folgend die Schließung von Geschäften mit einem hohen "Face-to-Face-Risiko" - also beispielsweise Restaurants, Bars und Fitness-Center. Ausgangssperren ("Stay-at-home order") hatten den geringsten Effekt der analysierten Maßnahmen gezeigt.

Gegenteilige Effekte?

Andere Studien zeigen, dass Ausgangssperren wirksamer werden, je strenger sie ausfallen. So setzten verschiedene Staaten auf drastische Beschränkungen, die rund um die Uhr galten und damit die Mobilität in der Bevölkerung deutlich senkten.

Temporäre Ausgangessperren können zwar die Mobilität am Abend und in der Nacht deutlich senken, wie sich anhand von Telefondaten nachvollziehen lässt. Doch gleichzeitig kann es zu einer erhöhten Mobilität kurz vor der Ausgangssperre kommen, wenn beispielsweise Supermärkte früher schließen und Menschen rechtzeitig zu Hause ankommen müssen. Bei einem Verstoß gegen die nächtliche Ausgangsbeschränkung liegt der Bußgeld-Regelsatz in Bayern bei 500 Euro.

Unterschiede berücksichtigen

Bei der Diskussion über Ausgangssperren sollte also sowohl zwischen temporären und dauerhaften Maßnahmen sowie Einschränkungen auf Landes- und Kreisebene differenziert werden. Damit Ausgangssperren vor Gericht standhalten, muss zudem die Verhältnismäßigkeit gewährleistet und mildere Einschränkungen zur Pandemie-Bekämpfung müssen ausgeschöpft worden sein.

Befürworter von temporären Ausgangssperren verweisen zudem auf einen "psychologischen Effekt", das heißt, Menschen würden vorsichtiger, wenn es solche Beschränkungen gebe. Kritiker sehen hingegen widersprüchliche Signale. So sagte beispielsweise Hamburgs CDU-Landeschef Christoph Ploß bei RTL: "Während Reisen nach Mallorca stattfinden, wird in Deutschland über Ausgangssperren diskutiert. Das versteht niemand mehr!"

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin am 18. Januar 2021 um 08:07 Uhr.