
Pendeln zwischen Brüssel und Straßburg Ein Parlament auf Wanderschaft
Stand: 16.05.2014 16:17 Uhr
Jeden Monat pendeln die Abgeordneten des Europaparlaments mitsamt Mitarbeitern zwischen den Standorten Brüssel und Straßburg. Das kostet die Steuerzahler 200 Millionen Euro pro Jahr. Gegen das Ende dieser Praxis wehrt sich vor allem ein Land.
Von Karin Bensch, ARD-Hörfunkstudio Brüssel
Einmal im Monat geht das Europaparlament auf Reisen. Papiere, Entwürfe und Berichte werden in Container gepackt, auf Lastwagen geladen und von Brüssel gut 400 Kilometer nach Straßburg transportiert. Rund viereinhalbtausend Menschen sind dann unterwegs: 766 Abgeordnete, ihre Assistenten, Mitarbeiter und Dolmetscher. Für sie gibt es sogar Sonderzüge. Nach gut dreieinhalb Stunden erreicht der Zug Straßburg. Dann beginnt das große Kofferrollen. Gut 200 Millionen Euro kosten diese Reisen pro Jahr - Geld europäischer Steuerzahler.
Ende vergangenen Jahres haben die Abgeordneten des Europaparlaments mit großer Mehrheit beschlossen, dass sie diese Reisen nicht mehr machen wollen, und, so Gerlad Häfner von den Grünen, "dass das Europaparlament endlich selbst darüber entscheiden möchte, wann wie und wo es tagt".
Standorte im EU-Vertrag festgeschrieben
Derzeit kann das Parlament das nicht selbst bestimmen. Der Rat schreibt es vor, also die Staats- und Regierungschefs. So steht's im EU-Vertrag. Der Grund dafür sei, dass sich die Staatschefs vor Jahrzehnten nicht auf einen einzigen Ort für das Europaparlament hätten einigen können, sagt Häfner. "Straßburg, Brüssel und Luxemburg: Das Parlament ist auf diese drei Orte verteilt. Und ist seither gezwungen, zwischen diesen Orten zu pendeln."
In Luxemburg sitzt die Verwaltung des Europaparlaments. Das Parlament selbst arbeitet die meiste Zeit in Brüssel. Nur zwölf Mal im Jahr tagen die Abgeordneten in Straßburg. Für jeweils vier Tage pro Woche. Das bedeutet: An gut 300 Tagen im steht das Parlamentsgebäude in Straßburg leer. Dennoch muss es das ganze Jahr über unterhalten werden. Das koste zu viel Geld, findet Alexander Graf Lambsdorff von den Liberalen. "Straßburg ist heute Symbol für ein Problem, das Europa offensichtlich unfähig ist zu lösen. Also ein negatives Symbol", sagt er.
Frankreich blockiert Ende des "Wanderzirkus"
Bislang sind alle Versuche des Parlaments, den "Wanderzirkus" zu beenden, an der französischen Regierung gescheitert. Das EU-Parlament ist eine wichtige Geldquelle für Straßburg. Für Hotels, Restaurants und Geschäfte.
Aber es sei auch ein politisches Projekt, das sich Frankreich nicht aus den Händen nehmen lassen wolle, sagt Joseph Daul, konservativer Europaabgeordneter aus dem Elsass. "Ich glaube nicht, dass Frankreich, das auch ein Nettozahler ist, dass Frankreich es erlauben kann, dass keine Institution da ist."
Änderungen nur einstimmig möglich
Und das ist das Problem: Die Entscheidung, dass der EU-Vertrag geändert wird, muss einstimmig sein. Alle 28 Mitgliedsländer müssten "Ja" sagen. Es bräuchte wohl eine gute Alternative, damit die Franzosen mitmachen. Konkrete Ideen gibt es schon: zum Beispiel eine europäische Universität. Der Plenarsaal des Parlaments könnte dann zum Hörsaal für Studenten werden. "Jede solche Idee ist für Straßburg nachhaltiger und lukrativer als das heutige Parlament. Als gut viereinhalbtausend Abgeordnete und ihre Mitarbeiter, die einmal im Monat wie ein Schwarm einfallen und kurz danach wieder abreisen", sagt Häfner.
Die Entscheidung liegt nun in den EU-Ländern selbst. Sie wird sicherlich nicht fallen, bevor das neue Parlament und die neue Kommission im Herbst ihre Arbeit beginnen. Und so lange werden die Lastwagen und Züge zwischen Brüssel und Straßburg weiter hin und her fahren.