Flucht nach Europa Lebensgefährliche Passage übers Meer

Stand: 12.05.2013 07:27 Uhr

Die Überfahrt auf Holz- oder Schlauchbooten von Afrika nach Europa ist zu einem lukrativen und gnadenlosen Geschäft geworden. Doch immer wieder versuchen Migranten im Norden Marokkos, einen Platz für die lebensgefährliche Passage zu ergattern. Auch wenn sie genau wissen, dass sie ihren Traum von Europa mit dem Leben bezahlen können.

Abou sitzt mit seinen Freunden am Strand von Dakar, Senegal. Er verbrennt seinen Pass - so, hofft er, wird man ihn später weder zurückschicken noch abschieben können. Abou blinzelt in den Sonnenuntergang. Er wird auf einen Fischkutter steigen und sich auf den Weg machen. Nach Spanien. Seine Familie hat Angst, aber sie hat viel Geld bezahlt. Die Reise über den Atlantik wird zur Katastrophe.

"La Pirogue" heißt der Film des senegalesischen Regisseurs Moussa Touré. Beim berühmten FESPACO-Filmfestival in Burkina Faso hat er für viel Aufsehen gesorgt. Weil er schonungslos den Überlebenskampf der Migranten zeigt, die täglich auf Booten nach Europa unterwegs sind.

"Um diesen Film zu machen, habe ich Menschen getroffen, die sich auf eine extrem gefährliche Reise begeben haben", erklärt Touré. "Um auf dem Boot nicht auf die Toilette zu müssen und dadurch ihren Platz aufzugeben, haben sie tagelang nur Kekse gegessen, um sich zu verstopfen. Und getrunken haben sie wenig - Wasser ist auf den Booten sowieso knapp. Dann saßen sie da, sechs oder sieben Tage - und dachten nach: Sie dachten nicht an ihre Zukunft, sondern daran, dass sie sich gerade umbringen."

Darum gehe es in seinem Film: "Wir sitzen tatsächlich mit diesen Menschen im Boot. Der Zuschauer muss sich mit dem Existenziellen auseinandersetzen. Er bekommt nicht nur ein Echo - er sieht sich selbst", sagt Touré.

Alexander Göbel, A. Göbel, ARD Rabat, 07.05.2013 16:04 Uhr

Jeden Tag eine neue Horror-Geschichte

Tausende verdursten oder ertrinken jedes Jahr allein im Mittelmeer. Wie viele genau, das weiß niemand. Harouna kennt viele solcher Geschichten. Jeden Tag, sagt er, komme eine dazu. Gerade erst hat er Freunde beerdigen müssen, die mit ihrem Schlauchboot gekentert sind.

Harouna ist selbst Flüchtling, kommt aus dem Senegal. Im heruntergekommenen Viertel La Féraille, im Osten von Tanger, arbeitet er für eine kleine spanisch-marokkanische Hilfsorganisation, kümmert sich um "sans papiers" - um die Afrikaner, die hier leben und warten, mittellos und ausgestoßen, illegal - zwischen Marokko und Europa. 

Harouna kniet vor einem Schrank, kramt herum: "Hier haben wir Kleidung, wir bekommen Spenden. Diese Schubladen hier waren alle voll. Wir haben Jacken, Babysachen, Babynahrung und so weiter. Die Leute kommen hierher, wir verteilen, was wir haben, dafür sind wir ja da, damit sie hier besser überleben." Doch irgendwann kommen manche Migranten plötzlich nicht mehr vorbei. Für Harouna das Zeichen: Sie sind unterwegs, steigen auf ein Boot nach Europa.

Skrupellose Schlepperbanden

Tanger ist Marokkos Tor zum Mittelmeer. Das spanische Tarifa ist nur 14 Kilometer entfernt. Touristen brauchen mit der luxuriösen Schnellfähre nur eine gute halbe Stunde und zahlen 50 Euro. Bootsflüchtlinge bereiten ihre Reise oft monatelang vor - und zahlen horrende Summen für eine Fahrt ins Nichts.

Der Kongolese Emmanuel Kabongo kennt die Methoden der Schlepper: Eine organisierte Überfahrt koste mindestens 1500 Euro pro Person. Den Treffpunkt am Strand würden nur die Unterhändler kennen, sie bekämen 250 Euro als Anzahlung. Das seien die Leute, die den Passagieren dann sagten, wann und wo genau es losgehe.

Dann müssten die Passagiere Rettungswesten kaufen, "wenn sie denn noch Geld haben", sagt Kabongo. "Je nach Preis sind es Schlauch- oder Holzboote ohne Kapitän, die Schlepper bleiben in Marokko zurück, die Migranten sind sich selbst überlassen. Manchmal irren sie dann herum, ich weiß von einer Gruppe, die dachte, sie sei in Europa, dabei war sie in Algerien gelandet. Wer mehr zahlt, hat vielleicht GPS und ein Mobiltelefon, um bei den Spaniern die Seenotrettung anzurufen."

Aber oft bringt eben auch der letzte Hilferuf nichts mehr. Viel zu oft. Die Menschen ertrinken nicht nur, sagt Emmanuel. Sie sterben an ihrem Traum.