Interview

Interview zur Lage in Mali "Es gibt die Chance auf Fortschritt"

Stand: 01.11.2012 07:28 Uhr

Weder Regierung noch Armee in Mali seien nach dem Putsch im März handlungsfähig, sagt der Politologe Wolfram Lacher im Interview mit tagesschau.de. Er warnt davor, übereilt ausländische Truppen in den von Islamisten kontrollierten Norden Malis zu entsenden. Stattdessen plädiert er für eine weit gefasste Ausbildungsmission.

tagesschau.de: Auf welchen Zustand des Landes muss sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle einstellen, wenn er nach Mali reist?

Wolfram Lacher: Mali befindet sich seit dem Militärputsch vom März im Zustand einer politischen Blockade. Die Machtkämpfe zwischen den Unterstützern der Putschisten und der etablierten politischen Klasse dauern an. Der Putsch hat auch dazu geführt, dass der Norden des Landes der Kontrolle der Regierung völlig entglitten ist.

Zur Person

Wolfram Lacher forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP zur Sicherheitsproblematik in Nordafrika. Zwischen 2007 und 2010 beobachtete er die Region als Analyst einer Londoner Unternehmensberatung. Lacher studierte Arabistik, Afrikanistik und Konfliktstudien unter anderem in Kairo.

Handlungsfähigkeit wieder herstellen

tagesschau.de: Westerwelle warnt davor, die Debatte um Mali auf einen Militäreinsatz zu verengen und fordert stattdessen einen politischen Prozess. Was muss dieser Prozess beinhalten ?

Lacher: Der von Westerwelle geforderte Prozess muss eine Rückkehr zur einer breit legitimierten und handlungsfähigen Regierung beinhalten, die momentan zwischen drei verschiedenen Machtpolen zerrissen ist: Dem Präsidenten, dem Ministerpräsidenten und dem Führer der Putschisten. Wie das gelingen kann, ist momentan sehr schwierig zu sagen. Aber ich glaube, es wäre in der Tat wichtig, dass sich die internationale Gemeinschaft auf die malische Hauptstadt Bamako und den Wiederaufbau der malischen Armee konzentriert, anstatt voreilig ausländische Truppen nach Nord-Mali zu schicken.

tagesschau.de: Warum wäre das so wichtig?

Lacher: Die malische Armee ist seit dem Militärputsch von Machtkämpfen zwischen Offizieren und Putschisten gelähmt. Sie ist momentan nicht in der Lage, die Extremisten im Norden zu bekämpfen. Seit dem Militärputsch hat die Armeeführung auch keine Kontrolle mehr über die ethnischen Milizen, die von der ehemaligen malischen Regierung im Norden mobilisiert wurden. Ohne eine grundlegende Reform der Armee und ihrer Kommandostrukturen wäre eine Offensive im Norden äußerst riskant: Es könnte zu Vergeltungstaten gegen die Zivilbevölkerung und zu ethnischen Konflikten kommen.

Externe Unterstützung für den Wiederaufbau der Armee ist deshalb sinnvoll. Sie darf sich allerdings nicht auf Ausbildung und Training beschränken, sondern muss auch die heiklen Fragen der Kommandostrukturen angehen.   

Fortschritt oder Eskalation?

tagesschau.de: Parallel zum Besuch Westerwelles tagen internationale Militär- und Verteidigungsexperten in der malischen Hauptstadt Bamako, um ein Strategiepapier für einen Militäreinsatz zu verfassen. Was wird in diesem Zusammenhang diskutiert?

Lacher: Es geht um einen Militäreinsatz unter der Flagge der Afrikanischen Union beziehungsweise der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Alles deutet darauf hin, dass es sich um einen Kampfeinsatz handeln wird, auch in Nord-Mali. Das ist in der gegenwärtigen Situation äußerst riskant, weil der politische Rahmen dafür fehlt. Es gibt keine handlungsfähige Regierung in Bamako, die eine Militäroffensive im Norden in eine politische Strategie einbetten und versuchen könnte, manche der Gruppen im Norden auf die Seite der Regierung zu ziehen.

Unabhängig davon existieren auf europäischer Ebene Pläne für eine Ausbildungs- und Trainingsmission für die malische Armee. Dazu könnten auch deutsche Ausbilder gehören. Ich halte das für ein sehr sinnvolles Vorhaben.

Mandate präzise formulieren

tagesschau.de: Wie groß ist die Gefahr, dass die Grenze zwischen dem afrikanischen Kampfeinsatz und der europäischen Ausbildungsmission verschwimmt?

Lacher: Das wird von den genauen Mandaten abhängen. Wenn man sich das Beispiel Somalia anschaut, gibt es seit Jahren beides, die europäische Ausbildungsmission und den afrikanischen Kampfeinsatz, ohne dass sich die Grenzen verwischen.

tagesschau.de: Militäreinsätze haben selten dazu geführt, dass ein Land friedlicher wird - siehe Afghanistan oder den Irak. Glauben Sie, dass Mali eine Ausnahme darstellen wird?

Lacher: Ich glaube, wenn man sich auf den politischen Prozess und als ersten Schritt auf die Wiederherstellung des malischen Militärs konzentriert, gibt es die Chance auf Fortschritt. Wenn man aber ausländische Truppen nach Nord-Mali schickt, besteht das Risiko einer Eskalation.

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 1. November 2012 um 16:00 Uhr.