
Weltspiegel-Reportage Der lange Arm irakischer Milizen
Stand: 20.10.2019 03:06 Uhr
Drohungen bei Whatsapp, YouTube-Clips mit Pistolenschüssen: irakische Flüchtlinge werden nach SWR-Recherchen auch in Europa bedroht. Steckt ein deutscher Motorradclub mit irakischen Milizen unter einer Decke?
Von Marc Bach und Alexander Bühler, SWR
Die Stimme klingt bedrohlich, bewusst bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Denn der anonyme Absender will Angst einjagen, er will den jungen Iraker, an den diese Botschaft gerichtet ist, terrorisieren. "Du kennst mich nicht. Wir sind ein Netzwerk" heißt es im arabischen Original. "Wenn Du nicht aufhörst, erledigen wir Dich." Der Adressat dieser Botschaft, Abdullah (Name von der Redaktion geändert).
SWR-Journalisten treffen ihn in Finnland, er ist vor dem Terror im Irak geflüchtet. Er hatte aus Falludscha berichtet, über den selbst ernannten "Islamischen Staat", der die Stadt zwei Jahre lang okkupiert hatte; über den monatelangen Kampf der Regierungstruppen, der westlichen Alliierten und der schiitischen Milizen gegen den IS. Und die Massaker an Unschuldigen, die auch von schiitischen Milizen begangen wurden. Als Falludscha wieder vom IS befreit war, musste er fliehen, denn jetzt gerieten Menschen wie er ins Fadenkreuz der Milizen.
Amnesty: Schwere Folterungen durch Milizen
"Die Milizsoldaten sind für schreckliche Folterungen verantwortlich. Zum Beispiel bei der Schlacht um Mossul, wo Hunderte Männer und Jungen Mossul verließen," erklärt Philip Luther, Leiter der Abteilung Recherche und Lobbyarbeit für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International in London. "Es gab keine direkten Hinweise darauf, dass sie zum IS gehörten. Also unterzog man sie einer Sicherheitsüberprüfung. Sie wurden gefoltert und in vielen Fällen hingerichtet - oder man ließ sie einfach verschwinden."
Vor diesen Tätern floh Abdullah 2017 über Griechenland nach Finnland. In Helsinki glaubte er sich in Sicherheit, doch jetzt wird er wieder bedroht. "Sie haben mir einen Screenshot von einem meiner Tweets geschickt", erzählt Abdullah. "Sie sagten, ich würde mich über die irakische Regierung lustig machen und sei gegen die Milizen." Der Absender: Al Salam313. Der Name eines Motorradclubs, vor einiger Zeit vom Iraker Mohammed Bunia in Deutschland gegründet.
Irak: "Al Salam 313" - Rockergang schüchtert Dissidenten ein
Weltspiegel, 20.10.2019, Alex Bühler/Marc Bach, SWR
Im Zentrum: ein Motorradclub in Deutschland
In die Schlagzeilen geriet der Club erstmals, als seine Räume und die Wohnungen von Mitgliedern im Mai 2019 bei einer Polizeirazzia in Nordrhein-Westfalen durchsucht wurden. Laut Polizei deutete das sichergestellte Material in Richtung Bandenkriminalität. Es ging um "Straftaten im Bereich Schleuser-Kriminalität, aber auch Fälschungsdelikte sowie Waffen und Betäubungsmitteldelikte", so ein Polizeisprecher.
Auch eine junge Frau in Deutschland wird bedroht – wegen ihres westlichen Lebensstils. "Ich verpasse Dir einen Kopfschuss und jeder anderen Hure, die Deine Denkweise hat", lautet die Nachricht, die sie über einen Messengerdienst erhielt. "Ich werde meinen Freund Mohammed Bunia in Deutschland beauftragen, seinen Fuß in deinen Arsch zu stecken."
Symbol der weißen Taube
Und zugleich erhielt sie ein Foto, das Bunia, den Chef von Salam313, mit einer Waffe zeigt - und der weißen Taube auf seiner Motorrad-Weste. Ein Symbol, das für Iraker nicht auf die deutsche Friedensbewegung verweist, sondern auf die Miliz des schiitischen Klerikers Moktada al-Sadr. Denn der Vogel ist das Wappentier der Seraya al-Salam, des "Friedensheers". Die irakische Miliz wird mutmaßlich vom Iran finanziert und ist inzwischen offizieller Teil der irakischen Armee, ohne dem irakischen Staat völlig zu unterstehen.
In einem YouTube Video inszeniert sich der deutsche Al-Salam313-Club als gewaltiger Männerbund mit Motorrädern und Autos, unterlegt mit martialischer Musik. Bunia, der Chef des Motorradclubs, richtet sich direkt an die Zuschauer: "Jeder, der auf Facebook oder im Fernsehen behauptet, er werde von uns bedroht, soll sich lieber direkt an uns wenden. Wir sind die Verantwortlichen." Nicht an die Polizei, nicht an den Staat. Und dann setzt er einen Satz nach, den man als weitere Drohung verstehen könnte: "Es gibt noch viel mehr von uns in Schweden, Deutschland und Holland."
Schiitische Milizen genießen Immunität
Diese Vorgehensweise, die versteckten Hinweise in ihren Texten, das Auftreten - alles Anzeichen, die dem irakischen Fotografen Ali Arkady gut bekannt sind. Er musste aus dem Irak fliehen, weil er die Gräueltaten der Milizen beim Kampf um Mossul bekannt gemacht hatte. Al Salam313 hat wahrscheinlich einen ähnlichen Hintergrund, glaubt er: "Diese Gruppe will Leute in Europa einschüchtern. Sie sagen, du darfst nicht erzählen, was im Irak geschehen ist, oder wir tun Dir was an." Die Massaker, die Menschenrechtsverletzungen - eine Bleidecke soll darüberfallen, so wollten es diese Gruppen. Denn während die Verbrechen des IS von irakischen Sondergerichten untersucht und Täter verurteilt werden, genießen schiitische Milizen Immunität. Allerdings nur im Irak - in Europa könnten sie belangt werden. Das könnte ihre Angst sein.
Tatsächlich versuchten die Unbekannten, den irakischen Journalisten in Finnland weiter einzuschüchtern. Sie schickten ihm ein Bild von seinem Ausweis, seiner Meldebescheinigung in Finnland und Details zu seinem Wohnort und dem seiner irakischen Familie. Dieser Aspekt erschreckte ihn am meisten, sagt er: "Sie schrieben, wir wissen alles über dein Privatleben hier in Finnland und über deine Familie im Irak." Damit nicht genug, sagt Abdullah: "Sie behaupteten: Jeder Versuch von dir, die Polizei zu verständigen, ist dein Todesurteil."
Verbindungen bis in irakische Regierung
Wie sind seine Häscher an diese vertraulichen Informationen gekommen? Tatsächlich hat Al Salam313 beste Verbindungen: Ein Foto auf der Facebook-Seite von Bunia zeigt ihn und Saad Maan, den Sprecher des irakischen Innenministeriums, Arm in Arm in einer deutschen Großstadt. Saad Maan ist ein mächtiger Mann, er arbeitet im Irak mit Armee und Milizen zusammen, hat Zugriff auf Behörden und Geheimdienstinformationen, auf Meldedaten und alle weiteren vertraulichen Unterlagen.
Omid Nouripour, MdB Bündnis 90/Die Grünen, findet es unsäglich, dass die Bundesregierung behauptet, nichts über Salam313 zu wissen. "Entweder sind sie ahnungslos oder sie nehmen das Problem nicht ernst." Dass eine ausländische Organisation versuche, mit Gewalt Einfluss zu nehmen auf Menschen in Deutschland, sei nicht mit der Souveränität Deutschlands vereinbar und müsse bekämpft werden, fordert er.
Die Situation ist auch in Europa für die irakischen Flüchtlinge bedrohlich. Abdullah erstattete Anzeige bei der finnischen Polizei, die Bloggerin in Deutschland. Schutz erhielten sie beide nicht. Der Bloggerin zufolge riet die Polizei ihr schlicht unterzutauchen, nicht mehr in den Medien aufzutauchen. Sie solle sich vor ihren Angreifern lieber verstecken. Auch in Deutschland.
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