
Berichtsentwurf des Weltklimarats "Das Schlimmste kommt erst noch"
Mehr Hitzewellen, mehr Hunger, Überschwemmungen, Artensterben - Experten des Weltklimarats zeichnen ein düsteres Bild für den Fall, dass es nicht gelingt, die Erderwärmung einzudämmen: Sie sehen die Menschheit in Gefahr.
Ein Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens hätte nach Einschätzung des Weltklimarates IPCC verheerende Folgen. Im Entwurf zu einem umfassenden Bericht, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, ist von "irreversiblen Auswirkungen auf Menschen und ökologische Systeme" die Rede. Die Experten gehen davon aus, dass eine Erderwärmung um zwei Grad 420 Millionen Menschen zusätzlich dem Risiko von Hitzewellen aussetzt. Zudem wird bis zum Jahr 2050 ein Hungerrisiko für acht bis 80 Millionen Menschen zusätzlich erwartet.
Das Ausmaß dieses Risikos sei abhängig von der Entwicklung bei den Treibhausgasemissionen, heißt es in dem Entwurf weiter. Der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme, Wasser- und Lebensmittelknappheit und Krankheiten als Folgen der Erderwärmung würden in den kommenden Jahrzehnten immer schneller zunehmen - auch wenn es den Menschen gelinge, ihren Treibhausgasausstoß zu reduzieren. Dabei sei der Mensch letztlich der größte Leidtragende der von ihm selbst verursachten Krise.
Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wurde 1988 von der UN-Umweltorganisation (Unep) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet. Seine Aufgabe ist, die Politik neutral über wissenschaftliche Erkenntnisse zur Klimaveränderung und über mögliche Gegenmaßnahmen zu informieren. Dem IPCC gehören 195 Staaten an.
Auch wenn der IPCC die meiste Zeit still vor sich hin arbeitet, um aus einer Vielzahl von Studien und Statistiken die neuesten Erkenntnisse zum Klimawandel zusammenzutragen, gibt er mit seinen Berichten immer wieder wichtige Impulse in der Klima-Debatte. Die IPCC-Berichte werden von tausenden Wissenschaftlern zusammengestellt, darunter neben Klima- und Meeresforschern auch Statistiker, Ökonomen und Gesundheitsexperten. Der IPCC betreibt keine eigene Forschung zum Klimawandel, sondern wertet tausende Studien aus und fasst die zentralen Erkenntnisse daraus zusammen. Die verwendeten Studien haben im Regelfall das sogenannte Peer-Review-Verfahren durchlaufen - sind also von anderen Wissenschaftlern begutachtet worden.
Der Weltklimarat setzt sich aus drei Arbeitsgruppen zusammen: Eine legt die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel dar, die zweite beleuchtet die Folgen der Erderwärmung und die dritte zeigt Handlungsoptionen auf. Seine umfassenden Überblicke über den aktuellen Stand der Klimaforschung veröffentlicht der IPCC alle fünf bis sechs Jahre.
Bereits jetzt Erwärmung von 1,1 Grad
"Das Leben auf der Erde kann sich von einem drastischen Klimaumschwung erholen, indem es neue Arten hervorbringt und neue Ökosysteme schafft", heißt es in der 137-seitigen technischen Zusammenfassung des Berichtsentwurfs. "Menschen können das nicht." Die Erde hat sich seit dem vorindustriellen Zeitalter bereits um 1,1 Grad erwärmt. Das Pariser Abkommen soll die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst aber 1,5 Grad beschränken. Bereits für eine Erwärmung um zwei Grad zeichnet der IPCC-Berichtsentwurf schwerwiegende globale Folgen für Mensch und Natur.
Derzeit steuert die Erde aber sogar auf eine Erwärmung um rund drei Grad zu. Schon in den vergangenen 30 Jahren hat der Klimawandel den Angaben zufolge einen globalen Ernterückgang um vier bis zehn Prozent verursacht - in Afrika und Südamerika noch mehr.
Küstenstädte an "Frontlinie" der Klimakrise
Auf die weiteren bevorstehenden Veränderungen ist die Welt den IPCC-Experten zufolge schlecht vorbereitet. "Das Schlimmste kommt erst noch und wird das Leben unserer Kinder und Enkel viel mehr betreffen als unseres", heißt es in der Vorlage. Bis 2050 werden bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad demnach etwa 350 Millionen Bewohner von Ballungsräumen wegen schwerer Dürren unter Wassermangel leiden. Bei einer Zwei-Grad-Erwärmung wären es sogar 410 Millionen Betroffene. Küstenstädte rückten an die "Frontlinie" der Klimakrise, weil sie immer häufiger von Stürmen getroffen würden, die wegen steigender Meeresspiegel noch gefährlicher seien.
"Der derzeitige Stand der Anpassung wird unangemessen sein, um künftigen Klimarisiken zu begegnen", heißt es in dem Berichtsentwurf. Besonders stark betroffen von den Klimafolgen sind laut Weltklimarat arme Länder. Aber auch Europa werde die Folgen zu spüren bekommen: Die Schäden durch Überflutungen würden sich bis zum Ende des Jahrhunderts auch bei einem hohen Maß an Anpassungen deutlich erhöhen, prognostizieren die Berichtsautoren auf Grundlage internationaler Studien.
Klimabedingtes Sterberisiko steigt
Die Zahl der Menschen in Europa mit einem hohen klimabedingten Sterberisiko wäre demnach bei einer Erderwärmung um drei Grad drei Mal so hoch wie bei 1,5 Grad, insbesondere in Zentral- und Südeuropa. Außerdem dürfte Europa dem IPCC zufolge mit mehr Hilfesuchenden aus Afrika und zunehmend mit von Mücken übertragenen Krankheiten wie Malaria, Dengue oder Zika konfrontiert sein.
Darüber hinaus weist der Berichtsentwurf auf die Gefahr hin, dass sogenannte Kipp-Punkte erreicht werden könnten, ab denen eine massive Beschleunigung des Klimawandels nicht mehr aufzuhalten ist - etwa durch das Schmelzen des Eisschildes in Grönland und der Westantarktis. Die Berichtsautoren betonen, dass jeder "Bruchteil eines Grads Erwärmung" zähle. Klimaschutzmaßnahmen zahlten sich insbesondere in der zweiten Jahrhunderthälfte aus und könnten die Menschheit vor dem Aussterben bewahren.
Lebensweise und Konsum neu definieren
Nötig sei, dass einzelne Bürger, Gemeinden, Unternehmen und Regierungen nun einem Konzept der "Klimagerechtigkeit" folgten, mahnen die Berichtsautoren. "Wir müssen unsere Lebensweise und unseren Konsum neu definieren." Bei dem Berichtsentwurf handelt es sich um die vorläufigen Ergebnisse der IPCC-Arbeitsgruppe II, die die Folgen der Erderwärmung beleuchtet.
Die Endfassung des Berichts, an dem mehr als 700 Fachleute mitarbeiten, soll nicht vor Februar veröffentlicht werden. Zuvor findet bereits im Oktober der UN-Biodiversitätsgipfel und im November die UN-Klimakonferenz statt.