
Nach Terroranschlag Sri Lanka - die Angst wählt mit
Stand: 16.11.2019 10:09 Uhr
Rund sieben Monate nach den islamistischen Anschlägen auf Kirchen mit 259 Toten wählt Sri Lanka einen neuen Präsidenten. Favorit ist ein alter Bekannter - der besonders bei Tamilen böse Erinnerungen weckt.
Von Silke Diettrich, ARD-Studio Neu Delhi
"Ich verspreche euch, unser Vaterland wird wieder sicher. Wir haben schon einmal den Terrorismus besiegt - und ich kann es wieder tun." Er ist kein Mann der vielen Worte. Die braucht Gotabhaya Rajapaksa auch nicht. Der Oberstleutnant will siegen, indem er verspricht, Sri Lanka vor dem Terror zu beschützen. Jahrelang hatten er und sein Bruder sich als Kriegshelden feiern lassen. Zehn Jahre lang waren die beiden im Amt, sein älterer Bruder als Präsident, Gotabhaya Rajapaksa als Verteidigungsminister, bis zum Jahr 2015.
Vorwurf von Kriegsverbrechen
Kriegsverbrechen, die den beiden vorgeworfen werden, sind bis heute nicht aufgearbeitet worden. Darunter fallen die Exekution von Rebellen, die sich ergeben hatten, Folter und Entführungen. Ein Wort macht immer wieder die Runde, wenn man mit Menschen in Sri Lanka über die Regierungszeit der Brüder Rajapaksa spricht: "Weiße-Wagen-Kultur". Diese weißen Wagen tauchten plötzlich irgendwo auf und dann waren Menschen verschwunden.
Opfer waren Tamilen, die in Sri Lanka in der Minderheit leben und fast drei Jahrzehnte lang für ihre Unabhängigkeit gekämpft haben. Der Journalist Nadesapillai Vidhyadharan sagt, er sei einer der wenigen, der die "Weiße-Wagen-Kultur" überlebt habe: "Ich war in der Hauptstadt Colombo und plötzlich war da dieser weiße Wagen, sie haben mich entführt. Dann wurde ich gefoltert und bin zweieinhalb Monate gefangen gehalten worden. Sie haben mehrfach versucht, mich umzubringen, sie wollten nicht, dass ich die Geschichten der Tamilen weltweit verbreite."
Tamilen haben Angst
Viele der Tamilen, die rund elf Prozent der Bevölkerung in Sri Lanka ausmachen, haben Angst vor der Wiederkehr von Rajapaksa. Aber 75 Prozent der Menschen in Sri Lanka sind Singhalesen. Durch die islamistischen Anschläge vom Ostersonntag fühlen sich viele von ihnen bestätigt, dass das Land mit einer harten Hand geführt werden muss, dafür steht der Singhalese Rajapaksa.
Nationalistische Gefühle sind nach den Anschlägen bei vielen Singhalesen wieder hoch gekocht, wie bei dem ehemaligen Schuldirektor Lanka Pathiraja: "Unser politisches System der letzten Jahre hat doch nur die Extremisten profitieren lassen. Unser Land ist einfach ein für alle Mal ein singhalesisches Land. Wir sind Buddhisten. Wir leben hier in Angst. Und Rajapaksa hat schon einmal den Terror besiegt."
Verheerende Anschläge
Angst, das scheint bei vielen in Sri Lanka vor den Wahlen das dominante Gefühl zu sein. Auch unter den Christen im Land. Am vergangenen Ostersonntag vor sieben Monaten sprengten sich islamistische Terroristen in Luxushotels aber auch in drei Kirchen in die Luft.
Die ehemalige Lehrerin Lucilda Fernando verlor damals mehrere Freundinnen: "Wir können immer noch nicht sagen, dass wir sicher sind. In der Kirche schauen sich alle Leute ständig um, um zu gucken, wer da gerade die Tür hereinkommt." Als das Mikrofon ausgeschaltet ist, erzählt Lucilda Fernando, dass sie den Muslimen in ihrer Stadt nicht mehr trauen könne.
Nur wenige Meter von ihrem Haus entfernt liegt die Porathotta Moschee. Vor der Tür stehen Soldaten, drinnen halten die Muslime ihr Freitagsgebet. Mohammed Zimy ist dabei Er erinnert sich, wie er kurz nach den Anschlägen in seinem Jugendheim noch Scherben zusammen kehren musste, weil wütende Christen und Buddhisten dort randaliert hatten - ein Vergeltungsangriff für den islamistischen Terror. Nun sei es ruhiger geworden, sagt der 22-Jährige.
Aber auch er hat noch Angst, dieses Mal davor, dass Rajapaksa an die Macht kommen könnte, er erhebt schwere Vorwürfe gegen die beiden Brüder: "Sie formieren Gruppen, um Muslime anzugreifen. Sie mögen keine Muslime. Ich habe keinen Job mehr seit den Anschlägen, ich hatte eine kleine Bäckerei. Aber die Singhalesen kaufen nicht mehr bei mir, ich musste sie schließen."
Parlamentswahlen in Sri Lanka
tagesschau 17:00 Uhr, 16.11.2019, Sibylle Licht, ARD Neu-Delhi
"Menschenrechte sind ihnen lästig"
Viele Menschen, die zu den Minderheiten im Land gehören, fürchten, dass Rajapaksa mit einem autoritären Führungsstil nur für die Singhalesen im Land regieren werde. Diese Angst sei nicht ganz unbegründet, sagt Professor Jayadeva Uyangoda:
"Die Rajapaksas kommen mit einer neuen politischen Agenda, die ich als Post-Demokratie bezeichne. Sie sind gegen eine liberale Demokratie, aus ihrer Sicht trägt die nicht zu wirtschaftlichen Entwicklung bei, steht der nationalen Sicherheit im Weg. Menschenrechte sind ihnen lästig. Wir können bei denen damit rechnen, dass auf uns ein Reformpaket vom rechten Flügel zukommt."
Regierungs-Kandidat will Armut bekämpfen
Es sei denn der Kandidat der Regierung, Sajith Premadasa, gewinnt die Präsidentenwahl. Auch er ist Singhalese, aber ein Verteidiger der Demokratie. "Ich werde die Armut in unserem Land ausrotten", sagt er. "Und ich verspreche, dass im Jahr 2025 jeder in unserem Land ein Haus haben wird, das er sein Eigenheim nennen kann."
Versprechungen, die bei den armen Menschen im Land gut ankommen. Und es klingt glaubwürdig, denn Premadasa war die letzten Jahre Minister für Hausbau und Kultur und hat mit dem Wohnungsbau für Arme bereits gestartet.
Vorwahl-Umfragen gibt es nicht, aber Politikanalysten rechnen so oder so mit einem knappen Wahlausgang. In Sri Lanka stehe heute, so titeln einige Online-Zeitungen, "die Mutter aller Wahlen" an.
Sri Lankas Demokratie in Gefahr?
Silke Diettrich, ARD Neu-Delhi
16.11.2019 09:23 Uhr
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