Visegrad-Treffen zur Flüchtlingskrise Scharfer Wind aus Prag gegen Merkel

Stand: 15.02.2016 09:38 Uhr

Von den Treffen des Visegrad-Bündnisses aus der Slowakei, Polen, Tschechien und Ungarn hat Brüssel in der Vergangenheit selten Notiz genommen. Seit der Flüchtlingskrise ist das anders: Die V-4 formulieren offen ihren Widerstand gegen den Kurs von Kanzlerin Merkel.

Von Stefan Heinlein, ARD-Studio Prag

Das Silberjubiläum wird nüchtern gefeiert. Gastgeber Bohuslav Sobotka hat seine drei Amtskollegen zu einem schlichten Arbeitstreffen nach Prag eingeladen. Dennoch ist das Vierteljahrhundert Visegrad für den tschechischen Ministerpräsidenten eine Erfolgsgeschichte: "Die V-4 ist eine der stärksten regionalen Gruppierungen innerhalb der Europäischen Union. Es gibt kaum andere Mitgliedsländer, die sich ähnlich intensiv koordinieren."

Am 15. Februar 1991 hatten die Präsidenten Polens, Ungarns und der damaligen Tschechoslowakei - die 1993 in zwei Staaten zerfiel - auf der ungarischen Burg Visegrad die Gründungsurkunde unterzeichnet. Eine lose Interessengemeinschaft mit einem klaren Ziel: Möglichst rasch sollte die Tür nach Brüssel geöffnet werden, so der Politikwissenschaftler Michal Koran: "Der schwierige Umwandlungsprozess in den post-kommunistischen Gesellschaften hat alle vier Länder verbunden. Nach dem EU-Beitritt 2004 hat man es aber dann nie geschafft, eine neue große Mission zu definieren. Deshalb ist Visegrad im Westen völlig unbekannt."

Ein eigener Blick auf die Flüchtlingskrise

Lange Jahre nahm man in Brüssel nur selten Notiz von den halbjährlichen Treffen der vier Regierungschefs. Im Verlauf des Ukraine-Konfliktes traten zudem die unterschiedlichen politischen Interessen offen zu Tage. Erst seit der Verschärfung der Flüchtlingskrise rücken die vier Länder wieder enger zusammen, so der tschechische Ministerpräsident Sobotka: "Die Migrationskrise ermöglicht den V-4 eine enge Zusammenarbeit so wie in der Vergangenheit. Von Beginn an hatte nsere Länder auf dieses Thema einen eigenen Blick, und ich glaube, wir haben uns in einer ganze Reihe von Fragen leider nicht geirrt."

Schutz der Außengrenzen hat oberste Priorität

Tatsächlich erlebt die Visegrad-Gruppe aktuell eine Renaissance. Alle vier ost- und mitteleuropäischen Länder lehnen die Brüsseler Quoten zur Verteilung der Flüchtlinge kategorisch ab. Der Schutz der europäischen Außengrenzen hat absolute Priorität. Auf dem Prager Jubiläumsgipfel solle diese Forderung untermauert werden, sagt Sobotka: "Falls Griechenland nicht in der Lage ist, den Schengenraum konsequent zu schützen, müssen wir einen anderen Weg gehen. Es ist absolut realistisch, dass wir dann die griechische Grenze zu Bulgarien, Mazedonien und vielleicht auch zu Albanien stärker schützen."

Visegrad-Bündnis

Das lose Kooperationsforum ist nach der ungarischen Stadt Visegrad benannt, wo es am 15. Februar 1991 von den Präsidenten Ungarns, Polens und der damaligen Tschechoslowakei, die 1993 in zwei Staaten zerfiel, gegründet wurde. Hauptziel war der gemeinsame Beitritt der Teilnehmerländer zur Europäischen Union. In der EU sollten dann gemeinsam Interessen durchgesetzt werden.

Im Jahr 2000 wurde das Forum durch seine bis heute einzige formelle Institution ergänzt, den Visegrad-Fonds mit Sitz im slowakischen Bratislava. Er fördert grenzüberschreitende Regionalprojekte und vergibt Stipendien. Das Bündnis funktioniert formlos.

Die Visegrad-Gruppe lebt von regelmäßigen Treffen ihrer Regierungschefs und Staatspräsidenten in dem Land, das gerade den Vorsitz innehat. Die jährlich wechselnde Präsidentschaft liegt bis Mitte 2016 bei Tschechien. Prag hat dafür das Motto "V4 Trust" gewählt, also gemeinsames Vertrauen.

Grenzsicherung in Mazedonien

Schon jetzt sind einige Dutzend Polizisten aus den Visegrad-Ländern an der mazedonischen Grenze im Einsatz. Das Kontingent soll in den kommenden Wochen weiter aufgestockt werden. Eine härtere Gangart gegenüber Athen ist notwendig, erklärt der slowakische Regierungschef Robert Fico: "Mazedonien und Bulgarien haben beim Schutz des Schengenraums eine Schlüsselrolle. Es ist deshalb völlig egal, ob Griechenland ein Teil von Schengen bleibt oder nicht."

Diese Idee einer konsequenten Abschottung gegenüber den Flüchtlingen wird von einer großen Mehrheit der rund 65 Millionen Bewohner der vier Visegrad-Länder geteilt. In Ost- und Mitteleuropa gebe es starke nationalistische Tendenzen, so der Politikwissenschaftler Michal Koran. Visegrad werde von Teilen der Politik als Plattform zur Verwirklichung nationalpopulistischer Ziele missbraucht. Das eigentliche Ziel der Visegrad-Gruppe sei dadurch in Gefahr: "Unsere Schlüsselrolle ist der Bau einer Brücke zwischen Ost- und Westeuropa. Die Grundidee von Visegrad ist die Überwindung der Trennung Europas. Es wäre wichtig das wir diesen Gedanken nicht aus dem Auge verlieren."