Verfassungsänderung tritt in Kraft Ungarn zwischen Nationalismus und Autokratie

Stand: 02.01.2012 20:41 Uhr

In Ungarn ist eine neue Verfassung in Kraft getreten, die der Regierungspartei Fidesz große Macht sichert. Auch wenn Ministerpräsident Orban versucht, die Bürger mit Patriotismus um sich zu scharen, wächst die Unzufriedenheit. In der Hauptstadt Budapest protestierten am Abend zehntausende Menschen.

Von Andreas Meyer-Feist, ARD-Hörfunkstudio Wien

Viel versprach Ungarns Regierungschef Viktor Orban seinen Bürgern zum Jahreswechsel: Zum "Jahr der Hoffnung" soll 2012 werden, gerade in Krisenzeiten: "In solchen Zeiten gewinnt alles an Wert, was zu unserer aller Sicherheit beitragen kann - unsere Heimat, unser Zuhause, unsere Familien."

In Ungarn hat das große patriotische Zusammenrücken begonnen, eingeleitet von Orbans nationalkonservativer Fidesz-Partei, die bei den Parlamentswahlen 2010 die glücklos agierende sozialistische Vorgänger-Regierung hinweggefegt hatte. Der Vertrauensbonus scheint indes schon wieder aufgebraucht zu sein.

Das Meinungsforschungsinstitut Median veröffentlichte jetzt Umfrageergebnisse, die Orbans Politik keineswegs schmeicheln: Vier Fünftel der repräsentativ Befragten erklärten sich unzufrieden mit der ungarischen Regierung: "Das ist eine dramatische Verschlechterung", konstatiert der ungarische Meinungsforscher Endre Hann im ungarischen "Inforadio", "dahinter verbirgt sich auch ein sehr negatives Zukunftsbild."

A. Meyer-Feist, ARD Wien, 02.01.2012 15:28 Uhr

Fragwürdige Maßnahmen zur Krisenbewältigung

Tatsächlich hat das von Orban postulierte "Jahr der Hoffnung" mit Preisanstiegen begonnen. Das Leben wird teurer. Der Mehrwertsteuersatz wurde deutlich angehoben. Zusatzeinnahmen, die - einschließlich der umstrittenen "Krisensteuern" für Unternehmen - das Haushaltsdefizit vermindern sollen.

Orbans Wirtschaftskurs bekam allerdings bisher schon keine guten Noten. Ratingagenturen stuften das Land vor Weihnachten abermals herab, weil sie tragfähige Konzepte zur Krisenbewältigung vermissen, und weil Orban die Banken verschreckt hatte: Die sollten auf einen Teil ihrer Kreditzinsen verzichten, damit es den Ungarn leichter fällt, ihre Devisenschulden zu begleichen.

Patriotische Verfassung sichert Orban weitreichenden Einfluss

Mit der neuen ungarischen Verfassung, die am 1. Januar in Kraft trat, will Orban den Ungarn angesichts schwieriger Zeiten Nationalstolz zurückgeben – und mit viel Patriotismus an Ungarns historische Bedeutung wenigstens ideell anknüpfen. Schon die Präambel beginnt feierlich mit einem "Nationalen Glaubensbekenntnis". Der Name "Republik Ungarn" wurde ersetzt: "Der Name unserer Heimat ist Ungarn".

Die Farben der Nationalflagge werden mit neuer Bedeutung aufgeladen: Rot für die Kraft, Weiß für die Treue und Grün für die Hoffnung: "Das ist eine national-romantische Verfassung", erklärt der Budapester Politologe Zoltan Kiszely,"sie erinnert an das letzte goldene Zeitalter in Ungarn im Mittelalter und vor dem ersten Weltkrieg mit den damals typischen Symbolen. Dazu gehört auch der Bezug zur Sankt-Stephans-Krone."

Für den Alltag der Bürger dürften aber andere Passagen eine große Rolle spielen: In neuen Rahmengesetzen der Verfassung werden die Unabhängigkeit der Notenbank und die Einflussmöglichkeiten des Verfassungsgerichts eingeschränkt. Ein "Haushaltsrat", dessen Mitglieder ein bequemes neun Jahre dauerndes Mandat besitzen, kann Haushaltsentwürfe des Parlaments blockieren, wenn der Schuldenstand steigt. Von einer Gleichstellung Homosexueller im Eherecht wird abgesehen. Die klassische Familie allein gilt als politisch und gesellschaftlich förderungswürdige Institution. Viele wichtige staatliche Ämter - etwa im Justizbereich - wurden auf neun bis zwölf Jahre fest besetzt - und könnten auch einer Nach-Orban-Regierung Knüppel in den Weg legen.

Spardiktat des IWF droht

Verwunderung bei internationalen Wirtschaftsbeobachtern löste die neue Flat-Tax von 16 Prozent aus. Die niedrige Einheitssteuer soll dafür sorgen, dass sich SchwarzarPbeit nicht mehr so sehr lohnt. Aber dadurch könnten Milliarden im Haushalt fehlen, um die enormen Defizite auszugleichen. Ein Griff in die privaten Pensionskassen der Bürger, die kurzerhand verstaatlicht wurden, brachte wegen des Kursverfalls der heimischen Währung Forint weniger ein als erhofft.

Schnelle Hilfe vom Internationalen Währungsfonds kann Orban nicht erwarten. Orban hatte die IWF-Experten vor die Tür gesetzt, weil er mit ihren Vorschlägen zur Haushaltssanierung nicht einverstanden war. Jetzt braucht er sie aber um so dringender. Im Januar sollen neue Gespräche beginnen, die Ungarn ein hartes Spardiktat bringen könnten. Eingriffe von außen wollte Orban aber verhindern. Die Verfassung regelt aber immerhin die Höhe der Staatsschulden und kommt damit einer EU-Forderung an die Mitgliedsländer entgegen, neuen "Schuldenbremsen" Verfassungsrang zu geben. Sie können dann nicht mehr so einfach im Parlament übergangen werden.

Konkurrenzpartei könnte ausgeschaltet werden

In einem Verfassungszusatz wird die von Orban 2010 abgelöste ehemalige Regierungspartei MSZP in eine direkte Nachfolge zu den Vor-Wende-Kommunisten gesetzt, deren Führer jetzt für die Verbrechen der kommunistischen Diktatur Verantwortung tragen sollen.

Die MSZE, die zu den Europäischen Sozialdemokraten gehört, sieht sich damit in eine direkte Rechtsnachfolge zu den Kommunisten gesetzt, von deren Staatspartei sie sich aber schon 1989 abgespalten und deren ideologisches Erbe sie immer vehement bekämpft hatte. Oppositionspolitiker halten auch ein Verbot der MSZP nicht mehr für ausgeschlossen. Orbans Fidesz-Partei (Abkürzung für: Bund junger Demokraten) regiert mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im ungarischen Parlament.

Die neue Verfassung konnte leicht mit den Stimmen der befreundeten Christdemokraten KDNP durchgesetzt werden. Regierungskritiker wie der Budapester Politologe Zoltan Kiszely kritisieren, dass der Verfassungsentwurf ohne breite gesellschaftliche Debatte durchgesetzt wurde. Gespräche mit der Opposition, die diesen Namen verdienen, hatte es nicht gegeben.

Hasserfüllter Umgangston unter politischen Gegnern

Das politische Klima in Ungarn ist seit Jahren vergiftet und unterscheidet sich deutlich von der politischen Atmosphäre des "demokratischen Grundkonsenses" in anderen europäischen Ländern. Hasserfüllte Verbalattacken auf allen Seiten sind an der Tagesordnung. Die Drohung, den politischen Gegner ins Gefängnis stecken zu wollen - im Fall der Sozialisten als Strafe für die Staatsverschuldung - gehört zum Umgangston.

Politisches Kapital können daraus aber nur die Rechtsextremisten schlagen, die das Parlament als Bühne für minderheitenfeindliche Forderungen nutzen. Je mehr die demokratischen Parteien aufeinander los gehen, desto zufriedener wirken die Ultrarechten, deren paramilitärische Helfer in der Vergangenheit zur außerparlamentarischen Einschüchterung benutzt wurden. Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen haben zum Protest gegen die neue Verfassung aufgerufen und warnen vor "Demokratieabbau".

Gleichzeitig eröffnet Orban im Nationalmuseum eine Ausstellung, die Ungarns einstige Größe künstlerisch wiederbeleben soll: "Helden - Könige - Heilige". Eine "Eliteparade" (so die oppositionellen Sozialisten) in der Staatsoper soll dem Startschuss für die neue Verfassung eine festliche Note geben - mit einem Gala-Abend.