Ein Mann geht in Jammu an indischen Soldaten der Rapid Action Force (RAF) vorbei.
Hintergrund

Unruheregion Kaschmir Ewiges Streitobjekt der Erzrivalen

Stand: 14.08.2019 09:27 Uhr

Kein Thema ist im indisch-pakistanischen Konflikt so zentral wie die Zukunft der Kaschmir-Region. Mitten durch sie verläuft die Waffenstillstandslinie - doch immer wieder gibt es Tote.

In der Nacht vom 14. auf den 15. August 1947 endete die britische Herrschaft in Indien. Der letzte britische Vizekönig, Louis Mountbatten, gratulierte zur Unabhängigkeit:

Es ist ein historischer Tag, Indien wird ein freies und unabhängiges Land. Ich wünsche ihnen von Herzen alles Gute.

Allerdings brach erst einmal das Chaos aus, als die Briten zwei Staaten zurückließen: Indien, in dem mehrheitlich Hindus lebten und Pakistan, mehrheitlich muslimisch. Bei Kämpfen und durch Flucht und Vertreibung von Muslimen und Hindus sollen mehr als eine Million Menschen ums Leben gekommen sein. Bis zu 20 Millionen Menschen verließen ihre Häuser.

Krieg wegen Kaschmir

Und auch der Fürstenstaat Kaschmir, im Norden der beiden neu gegründeten Staaten, stand vor einem Problem: Dort lebten mehrheitlich Muslime - der damalige Herrscher, Hari Singh, allerdings war Hindu. Eigentlich wollte Singh unabhängig und neutral bleiben, aber dann griffen pakistanische Kämpfer seinen Fürstenstaat an. Singh suchte die Hilfe des indischen Militärs. Als Gegenleistung unterschrieb er, Indien beizutreten.

Es kam zum Krieg zwischen Indien und Pakistan, der bis zum Jahr 1949 dauerte und in einem Patt endete: Seitdem wird rund ein Drittel der Kaschmir-Region von Pakistan kontrolliert, zwei Drittel von Indien. Nach einem weiteren Krieg zwischen Indien und China im Jahr 1962 steht auch ein kleiner Teil Kaschmirs unter chinesischer Kontrolle. Versuche, den Konflikt um die Region zu lösen, blieben bis heute erfolglos.

Die Vereinten Nationen hatten einst empfohlen, eine Volksbefragung über die Zukunft der Region durchzuführen, eine solche fand aber nie statt. Stattdessen gab es mehrere Kriege zwischen Indien und Pakistan. Bei den meisten ging es um die Vorherrschaft in Kaschmir.

Tote an der Waffenstillstandslinie

Im Jahr 1972 schlossen beide Staaten den so genannten Shimla-Pakt und verpflichteten sich damit, ihre Meinungsverschiedenheiten auf friedlichem Weg nur durch gemeinsame Verhandlungen beizulegen. Als Grenze mitten durch Kaschmir zieht sich die so genannte Line of Control, sie soll eine Waffenstillstandslinie sein.

Das sei sie aber de facto heute nicht, sagt der indische Professor für internationale Politik, Happymon Jacob. Seit vielen Jahren fänden an dieser Grenze fast täglich bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Alleine vergangenes Jahr sei der Waffenstillstand fast 3000 Mal gebrochen worden. "Ein einziger Bruch des Waffenstillstands kann bis zu 100.000 Schüsse bedeuten, mit unterschiedlichen Waffen, innerhalb von 24 Stunden", sagt er. "Alleine im vergangenen Jahr sollen auf der indischen Seite 30 Zivilisten getötet worden sein, rund 40 auf der pakistanischen Seite."

Sibylle Licht, ARD Neu Delhi, erläutert die Problematik im Kaschmir-Konflikt

tagesschau24 15:00 Uhr

Unabhängigkeitskampf und Menschenrechtsverletzungen

Wirklich Frieden herrscht in der Kaschmir-Region seit Jahrzehnten nicht mehr. Seit Ende der 1980er-Jahre kämpfen Aufständische im indischen Teil um die Unabhängigkeit in der Region. Die Vereinten Nationen werfen allen Konfliktparteien Menschenrechtsverletzungen in Kaschmir vor. Es ist eine der Regionen, die weltweit am stärksten militarisiert ist. Und die beiden Erzrivalen Indien und Pakistan besitzen jeweils rund 150 Atomsprengköpfe.

Im Februar dieses Jahres schien es fast, als ob es zu einem erneuten Krieg zwischen Indien und Pakistan kommen könnte. Bei einem Anschlag im indischen Teil Kaschmirs waren mehr als 40 indische Sicherheitssoldaten ums Leben gekommen. Kurz darauf warf Indien zum ersten Mal seit vier Jahrzehnten Bomben auf Pakistan ab.

Sonderrechte entzogen

Jetzt könnte die Lage in Kaschmir wieder eskalieren. Die indische Regierung hat dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir die Sonderrechte entzogen. In der Region Kaschmir leben auch heute noch überwiegend Muslime, sie befürchten, dass die indische Regierung versuchen will, das zu ändern. Denn bislang durften Inder, vor allem Hindus, aus anderen Landesteilen in Kaschmir kein Land kaufen. Jetzt könnten sich mehr Hindus in der Region ansiedeln. Die Abschaffung der Sonderregelungen in Kaschmir wird auch die Spannungen zwischen beiden Erzrivalen Indien und Pakistan wieder erhöhen.

Silke Diettrich, Silke Diettrich, ARD Neu-Delhi, 14.08.2019 11:03 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. August 2019 um 13:24 Uhr.