interview

Vermittlerrolle der OSZE im Ukraine-Konflikt "Die Separatisten müssen mitreden"

Stand: 13.05.2014 17:46 Uhr

In Kiew richten sich die Hoffnungen auf die OSZE - und deren geplante Runde Tische. Erfolg können diese nur haben, wenn auch die Separatisten daran teilnehmen, sagt OSZE-Forscher Wolfgang Zellner zu tagesschau.de - und verlangt von der Kiewer Regierung Kompromisse.

tagesschau.de: Im Ukraine-Konflikt soll die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine zentrale Rolle spielen und jetzt vermitteln. Unter welchen Umständen kann solch eine Mission erfolgreich sein?

Wolfgang Zellner: Bislang hat die OSZE nicht vermittelt, ihre Aufgabe war lediglich beobachtender Natur. Das soll sich nun ändern. Die sogenannte Road Map, die in der vergangenen Woche vom OSZE-Vorsitzenden Didier Burkhalter ausgearbeitet wurde, hat vier zentrale Elemente: Sie umfasst einen Waffenstillstand, die Entwaffnung der militärischen Gruppen, einen nationalen Dialog und die Durchführung der Präsidentschaftswahl am 25. Mai.

Wenn man sich diese Punkte anschaut, wird klar, dass sowohl die Wahlen als auch die Entwaffnung nur zustande kommen, wenn ein Dialog der verfeindeten Seiten in Gang kommt. Deswegen ist der geplante Runde Tisch von zentraler Bedeutung.

Zur Person

Dr. Wolfgang Zellner ist stellvertretender Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und leitet dessen Zentrum für OSZE-Forschung (CORE).

"Noch ist nicht klar, wer an den Gesprächen teilnimmt"

tagesschau.de: Es gab ja schon Mitte April ähnliche Pläne. Auch die Genfer Erklärung sah eine Entwaffnung der militärischen Gruppen vor. Warum soll es diesmal klappen?

Zellner: Die Genfer Runde bestand aus Vertretern von Staaten oder Staatengruppen. Am Tisch saßen die Ukraine, Russland, die USA und die EU. Der jetzt angedachte nationale Dialog hingegen soll die verschiedenen Köpfe der Ukraine zusammenbringen. Das ist ein fundamentaler Unterschied.

Im Moment ist aber noch ungeklärt, wer von ukrainischer Seite an den Gesprächen teilnimmt. Das ist der springende Punkt, der gelöst werden muss. Wenn die Regierung in Kiew lediglich mit der OSZE und Vertretern von Regionen spricht, die nicht nach Unabhängigkeit streben, ergibt der Runde Tisch keinen Sinn. Die OSZE-Vermittlung kann nur gelingen, wenn sie die Konfliktpartner zusammenbringt.

"Anti-Terror-Einsätze müssen aufhören"

tagesschau.de: Mit anderen Worten: Die Kiewer Regierung muss einen Schritt auf ihre Gegner in den abtrünnigen Regionen Donezk und Lugansk zugehen?

Zellner: Das wird nicht anders gehen. Zwar werden die Separatisten im Osten von der Kiewer Regierung als Terroristen bezeichnet, doch die Vertreter dieser Regionen müssen mit am Runden Tisch sitzen. Das schließt mit ein, dass die Anti-Terror-Einsätze im Osten aufhören müssen. Man kann nicht einen Runden Tisch organisieren und gleichzeitig versuchen, Städte zurückzuerobern.

tagesschau.de: OSZE-Vermittler Burkhalter hat auch sogenannte Town Hall Meetings, also öffentliche Konferenzen, zur Beilegung des Konflikts vorgeschlagen. Wie soll das ablaufen?

Zellner: Dabei handelt es sich um örtliche Runde Tische, die parallel zu dem nationalen Dialog stattfinden sollen. Diese Town Hall Meetings könnten zum Beispiel in Donezk oder Odessa eine wichtige Funktion spielen. Auf lokaler Ebene gibt es großen Bedarf nach Aufarbeitung der Vorfälle der vergangenen Monate. Zum Beispiel in Odessa, wo Dutzende Menschen in einem Gewerkschaftshaus verbrannt sind, könnte ein solches Forum die verfeindeten Lager einander näher bringen.

"Russisch muss Staatssprache bleiben"

tagesschau.de: Wo zeichnen sich mögliche Kompromisslinien ab, Stichwort Föderalisierung und weitgehende Unabhängigkeit der östlichen Regionen?

Zellner: Einer der ersten Punkte wäre, dass die russische Sprache in der Ukraine weiter Staats- oder Geschäftssprache bleibt. In der Ukraine leben sehr viele Menschen, die sich als Ukrainer fühlen, aber Russisch sprechen. Ein anderer Punkt, die Föderalisierung, ist bislang nur ein Schlagwort. Es muss geklärt werden, was darunter zu verstehen ist.

Die Ukrainer müssten - vergleichbar mit den jahrzehntelangen Debatten über den deutschen Föderalismus - entscheiden, welche Kompetenzen bei der Zentralregierung in Kiew bleiben und welche in die Regionen abgegeben werden.

Hinzu kommt eine ökonomische Misere, vor allem im Osten des Landes, wo teilweise keine Gehälter mehr gezahlt wurden. Ganz entscheidend sind hier natürlich die Hilfszusagen des Internationalen Währungsfonds und der EU.

OSZE

Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die Hauptziele der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Zu den Teilnehmerstaaten gehören alle Länder Europas, die USA, Kanada, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie die Mongolei.

Die OSZE fördert die humanitäre, wirtschaftliche, ökologische und technische Zusammenarbeit und entsendet häufig Wahlbeobachter.

Das wichtigste Exekutivgremium ist der Ständige Rat. Das Sekretariat in Wien hat etwa 200 Mitarbeiter. In Missionen und Büros in 17 Ländern arbeiten mehr als 2500 weitere Menschen für die OSZE. Der Jahresetat belief sich 2013 auf 145 Millionen Euro.

Vorläufer der OSZE war die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte 1975 in Helsinki sorgte für eine Entspannung im Ost-West-Konflikt. 1994 wurde die KSZE in OSZE umbenannt.

tagesschau.de: Wird die OSZE von den Konfliktparteien überhaupt als neutrale Vermittlerin wahr genommen?

Zellner: Ja. Burkhalter hat in den vergangenen Tagen mit allen Seiten gesprochen. Die ukrainische Regierung bat ihn, mit seinen Vermittlungsbemühungen fortzufahren. Außerdem stellte er auf dem Außenministertreffen der EU in Brüssel seinen Plan vor, auch dort stieß er auf Zustimmung. Und auch von Russlands Präsident Wladimir Putin hat er sich Rückendeckung geben lassen. Der OSZE-Plan hat also eine breite internationale Unterstützung.

Eine andere Frage ist, wie die Separatisten darüber denken - dazu gibt es aber keine klaren Äußerungen.

tagesschau.de: Ist die Rückendeckung aus dem Kreml ernst gemeint?

Zellner: Es zeigt zumindest, dass Russland noch offen ist für solche Initiativen. Wie weit diese durch das russische Verhalten gestützt werden - da haben wir in der Vergangenheit einige doppelbödige Dinge erlebt. Jetzt ist es aber wichtig, dass der Runde Tisch überhaupt zustande kommt.

"Ischinger als Vermittler ausgezeichnet"

tagesschau.de: Welche Rolle kann der deutsche Ex-Diplomat Wolfgang Ischinger spielen, der die Gespräche moderieren soll?

Zellner: Die Wahl Ischingers ist ausgezeichnet, weil er sehr erfahren ist. Er war Botschafter in Washington, ist also mit den Positionen der USA vertraut, hat aber auch in Gesprächen mit Russland eine führende Rolle gespielt, vermittelte im Kosovo-Konflikt und ist der Kopf der Münchener Sicherheitskonferenz. Er kennt also die zentralen Akteure.

Hinzu kommt, dass er Deutscher ist - und Deutschland ist derzeit bei einer diplomatischen Lösung der Ukraine-Krise am aktivsten. Das betrifft sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel, die regelmäßig mit Putin telefoniert, als auch die ständigen Bemühungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der aktuell die Ukraine besucht. Das zeigt, dass sich Deutschland besonders betroffen fühlt, wenn die Lage in der Ukraine zu entgleisen droht.

"In den Baltischen Staaten erfolgreich als Vermittler"

tagesschau.de: Im Südossetien-Konflikt in Georgien 2008 scheiterten die Vermittlungsversuche der OSZE. Gibt es positive Beispiele, wo die OSZE Erfolg hatte?

Zellner: Ja. In den Baltischen Staaten gab es zu Beginn der 1990er-Jahre nach dem Ende der Sowjetunion die Befürchtung, dass die Lage mit den großen russischen Minderheiten eskalieren könnte. Die OSZE-Missionen in Estland und Lettland trugen damals zusammen mit dem Hohen Kommissar für nationale Minderheiten der OSZE entschieden dazu bei, dass diese Probleme  abgemildert wurden.

Ein anderes Beispiel stammt aus Mitteleuropa, auch aus den Neunzigern: Damals gab es Spannungen zwischen Ungarn und Rumänien beziehungsweise zwischen Ungarn und der Slowakei.

In den beiden Staaten leben ebenfalls ungarische Minderheiten. Zudem bestand die Befürchtung, dass über die Brücke der ungarischen Minderheit in der Wojwodina, einer serbischen Provinz, der Jugoslawien-Krieg auf Mitteleuropa übergreifen würde. Dazu kam es nicht - im Wesentlichen ist das der OSZE zu verdanken.

 

"OSZE ist das, was die Mitglieder aus ihr machen"

tagesschau.de: In jüngster Vergangenheit trat die OSZE bei Sicherheitsfragen aber nicht merklich in Erscheinung. Hat sie zu wenig getan oder wurde sie zu wenig gefragt?

Zellner: Die OSZE ist das, was die Mitgliedstaaten aus ihr machen. Die Organisation wurde zu wenig nachgefragt. Die Qualitäten der OSZE mit ihren zahlreichen Instrumentarien kommen nur dann zum Tragen, wenn ihre Mitgliedstaaten ernsthaft eine Vermittlungsposition wünschen.

tagesschau.de: Ist die OSZE im aktuellen Konflikt dann zu spät um Mithilfe gefragt worden?

Zellner: Das würde ich nicht sagen. Wenn die verschiedenen Seiten - Russland, Ukraine, die USA und die EU - es wollen, haben wir immer noch eine Chance, diesen Konflikt zu deeskalieren. Dabei verkenne ich nicht, dass es Quellen weiterer Eskalation gibt, die nicht in der Gewalt der Staaten liegen, sondern vor Ort ihre Ursachen haben. Das sieht man in den zweifelhaften Fernsehstatements von sogenannten Repräsentanten dieser Gebiete. 

tagesschau.de: Halten Sie es für wahrscheinlich, dass die Ukraine in einen Bürgerkrieg driftet - und sich ein Szenario wie im Jugoslawien der 1990er-Jahre abspielt?

Zellner: Nein. Das glaube ich nicht, wenngleich sich auch niemand die Ereignisse der vergangenen Monate - von Maidan bis Krim - vorstellen konnte. Niemand hat ein Interesse daran, dass die Ukraine im Chaos versinkt,  auch Putin nicht. Er mag alle möglichen Interessen haben - aber ein längerer, blutiger Bürgerkrieg in der Ukraine gehört nicht dazu.   

Das Interview führte Jörn Unsöld, tagesschau.de.