Kommission in Tunesien eingesetzt Untersuchung zu Todesschüssen

Stand: 23.01.2011 07:30 Uhr

Gezielte Schüsse in Köpfe und Oberkörper - die Vorwürfe gegen die tunesischen Sicherheitskräfte wiegen schwer. Mehr als 100 Menschen wurden beim Sturz des Diktators getötet. Eine unabhängige Kommission soll klären, wer verantwortlich war. Die einst gefürchtete Polizei demonstriert inzwischen selbst.

In Tunesien soll eine unabhängige Kommission die Rolle der Sicherheitskräfte bei den gewaltsamen Übergriffen auf Demonstranten untersuchen, bei denen zahlreiche Menschen getötet wurden.

"Wir werden der Frage nachgehen, wer die Erlaubnis für den Einsatz der Schusswaffen gab", sagte der Chef der Untersuchungskommission, Taoufik Bouderbala. In einzelnen Fällen sei offenbar gezielt auf Köpfe und Oberkörper der Menschen geschossen worden. Es gehe jetzt darum zu prüfen, warum mit Waffen gegen Menschen vorgegangen worden sei, die unbewaffnet Brot und Freiheit gefordert hätten.

Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Navi Pillay, wurden bei dem Aufstand 117 Menschen getötet, 70 durch Schüsse mit scharfer Munition. Tunesiens Innenminister Ahmed Friaa gab die Zahl der Toten mit 78 an.

Polizisten solidarisieren sich mit Demonstranten

Während die tunesische Armee das Vertrauen der Bevölkerung genießt, wurde die Polizei während der 23-jährigen Amtszeit des kürzlich gestürzten Präsidenten Zine al Abidine Ben Ali gefürchtet. Inzwischen solidarisierten sich die einst gefürchteten Polizisten mit den Demonstranten und hielten in der Hauptstadt Tunis sogar eine eigene Kundgebung ab.

Mindestens 2000 Polizeibeamte versammelten sich unweit des Innenministeriums, das für viel Tunesier ein Symbol der Schreckensherrschaft des gestürzten Präsidenten ist. Die Polizisten forderten die Schaffung einer Gewerkschaft, bessere Bezahlung sowie den Rücktritt aller in Ben Alis Partei verbliebenen Regierungsmitglieder. Dazu stiegen viele auf ihre Polizeifahrzeuge und schwenkten Transparente und Fahnen.

Clinton fordert zügige Reformen

Unterdessen forderte US-Außenministerin Hillary Clinton die tunesische Führung zu zügigen ökonomischen und politischen Reformen auf. Einer ihrer Sprecher sagte am Samstag, Clinton habe bei einem Telefonat mit dem tunesischen Ministerpräsidenten Mohammed Ghannouchi ihre Unterstützung für weitere Reformen ausgedrückt und US-Hilfe bei der Verwandlung des Landes in eine Demokratie angeboten.

Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hatte bereits Hilfe der Europäischen Union beim Übergang zur Demokratie angeboten. Die EU arbeite an konkreten Maßnahmen, die Tunesien helfen sollten, eine Demokratie aufzubauen und die sozialen Probleme zu lindern. "Dazu gehören die Unterstützung von Wahlen, finanzielle Zusammenarbeit und die Förderung einer unabhängigen Justiz", sagte Ashton der "Welt am Sonntag".

Medienzensur abgeschafft

Die Behörden in Tunesien gaben bekannt, dass künftig auf eine Zensur importierter Bücher, Filme und anderer Publikationen verzichtet werde. Für die Einfuhr von Büchern, Zeitschriften, Filmen, CD-Roms und anderer elektronischer Medien sei keine vorherige Erlaubnis mehr nötig, teilte die Zollbehörde nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur TAP mit.

Nach dem Sturz von Ben Ali vor gut einer Woche hatte die daraufhin gebildete Übergangsregierung den Tunesiern vollständige Informationsfreiheit zugesagt. Das Kommunikationsministerium, das unter Ben Ali für Medienzensur und Propaganda zuständig war, wurde abgeschafft.