Widerstand gegen armenisch-türkisches Abkommen angekündigt Viele Hindernisse auf dem Weg zur Versöhnung

Stand: 11.10.2009 13:03 Uhr

Die internationale Erleichterung über die armenische-türkische Annäherung könnte voreilig sein. Denn in beiden Staaten formiert sich Widerstand. Während in Armenien die Historiker-Kommission kritisiert wird, spielt in der Türkei der ungelöste Konflikt um Berg-Karabach die Hauptrolle.

Von Ulrich Pick, ARD-Hörfunkstudio Istanbul

Auch wenn sich die anwesenden Außenminister Hillary Clinton, Sergej Lawrow, Bernard Kouchner, Samuel Zbogar und Micheline Calmy-Rey gestern Abend nach der Unterzeichnung vor Erleichterung in die Arme fielen und die Nachrichtenagenturen große Zufriedenheit aus Brüssel und Washington meldeten, die viel gepriesene Annäherung zwischen der Türkei und Armenien ist noch nicht vollzogen. Denn, so schreibt es Murat Yektkin in der liberalen türkischen Tageszeitung "Radikal", die dreistündige Verzögerung, mit der die Unterschriften unter die beiden wichtigen Protokolle gesetzt wurden, waren ein Zeichen dafür, dass noch längst nicht alle Probleme gelöst sind.

"Die Straße nach Jerewan führt durch Baku"

In der Tat steht die schwierigste Etappe der Türkei und Armenien noch bevor. Die beiden Schriftstücke, die von ihren Außenministern nach einer ungeplanten kurzfristigen Feuerwehrdiplomatie doch noch ratifiziert wurden, müssen nämlich jetzt die Parlamente in Ankara und Jerewan passieren. Und da dürfte noch erheblicher Widerstand lauern.

In der Türkei könnte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Sache zwar mit der absoluten Mehrheit seiner AKP formal erledigen. Doch ein schlichtes Durchpeitschen würde einen Sturm der Entrüstung entfachen. Denn am Bosporus heißt es, wie Murat Yetkin weiter schreibt, dass "die Straße nach Jerewan durch Baku führt." Mit anderen Worten: Eine wirkliche Normalität mit Armenien kann aus türkischer Sicht nur dann eintreten, wenn das Problem Berg-Karabach gelöst wird.

Die Kaukasus-Exklave, in der mehrheitlich Armenier leben, wurde von Jerewan annektiert, obgleich sie völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört. Da die Türkei aber enge kulturelle und sprachliche Bindungungen zu den Azeris hat, wollen dort selbst viele gemäßigte Kräfte eine Normalität mit den Armeniern erst dann, wenn diese einen Abzug aus Berg-Karabach gewährleisten. Entsprechend bezeichnete Onur Öymen, der Vizeparteichef der Oppositionspartei CHP, die gestrige Vertragsunterzeichnung als "sehr beunruhigend für die Zukunft unseres Landes".

 

Karte: Aserbaidschan, Bergkarabach, Armenien

Armeniens Opposition fürchtet "große Risiken"

Auch in Armenien ist deutliche Kritik zu vernehmen. So sagte ein führendes Mitglied der Oppositionellen "Partei des Kulturerbes" der Agentur AFP, die unterzeichneten Protokolle würden "große Risiken" bergen. Für sein Land beginne jetzt eine "Zeit der Unsicherheit". Viele Armenier befürchten nämlich, dass durch die in den Verträgen beschlossene Einrichtung einer Historiker-Kommission aus Vetretern beider Länder, die von ihnen als "Völkermord" bezeichneten Massaker in den Jahren 1915/16 nicht angemessen verurteilt werden könnten. Bei den Gräueltaten der Türken im ausgehenden Osmanischen Reich sollen bis zu 1,5 Millionen Armenier umgebracht worden sein.

Bereits vor der Unterzeichnung war vergangene Woche vor allem die armenische Diaspora in den USA, Frankreich, Libanon und Russland gegen die Protokolle Sturm gelaufen.