
"Islamischer Staat" Türkei schiebt deutsche IS-Mitglieder ab
Stand: 11.11.2019 14:17 Uhr
Die Türkei will heute bereits einen deutschen IS-Anhänger abschieben. Weitere sollen Ende der Woche folgen. Laut SWR sind darunter Frauen und Kinder aus Niedersachsen und Hessen. Die Bundesregierung fordert ein geregeltes Verfahren.
Die Türkei schiebt zehn deutsche Anhänger der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) ab, unter ihnen auch Frauen und Kinder. Ein erster Deutscher solle heute noch ausgewiesen werden, teilte das türkische Innenministerium mit. Sieben weitere Deutsche würden am Donnerstag folgen, und bei zwei anderen deutschen Bürgern laufe das Verfahren zur Ausweisung.
Katharina Willinger, ARD Istanbul, zur türkischen Begründung
tagesschau24 15:00 Uhr, 11.11.2019
Die Bundesregierung bestätigte die Pläne und erklärte, der heute abgeschobene Deutsche habe keine Verbindung zum IS gehabt. Der Sprecher des türkischen Innenministeriums, Ismail Catakli, sagte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, heute sei auch ein US-Dschihadist des Landes verwiesen worden.
Siebenköpfige Familie kommt laut SWR aus Niedersachsen
Das Auswärtige Amt erklärte, dass am Donnerstag und Freitag neun Deutsche abgeschoben werden sollen. Es sei aber noch unklar, ob es sich bei ihnen tatsächlich um IS-Anhänger handele. Bei den insgesamt zehn Betroffenen handele es sich um drei Männer, fünf Frauen und zwei Kinder. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass keine IS-Terroristen mit Kampferfahrung nach Deutschland zurückkehren.
Wie der SWR aus Behördenkreisen erfuhr, soll am Donnerstag eine siebenköpfige Familie aus Niedersachsen, die seit einigen Monaten in türkischer Abschiebehaft sitzt, zurückgeführt werden. Zusätzlich würden am Freitag zwei Frauen ohne Kinder nach Deutschland abgeschoben werden, die ursprünglich aus Hessen und Niedersachsen stammten. Sie seien im Oktober aus dem Lager Ain Issa in Nordsyrien geflohen und in der vergangenen Woche von türkischen Sicherheitskräften festgenommen worden.
Zwei weitere deutsche Frauen, die ebenfalls in dem Lager einsaßen und von der Türkei aufgegriffen wurden, würden vorerst nicht abgeschoben. Die Staatsangehörigkeit ihrer Kinder müsse noch überprüft werden, heißt es. Eine der Frauen komme aus Hamburg.
Bundesregierung fordert geregeltes Verfahren
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, die Bundesregierung widersetze sich grundsätzlich nicht der Abschiebung deutscher Bürger nach Deutschland. Dies sei schon aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Es sei aber wichtig, dass es ein geregeltes Verfahren gebe und die Identität der Betroffenen geklärt sei, damit die Sicherheitsbehörden eine Einschätzung vornehmen könnten, sagte der Sprecher.
Ariane Reimers, ARD Berlin, zu Reaktionen auf die Rückführung von IS-Mitgliedern
11.11.2019, tagesschau24 15:00 Uhr
Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hatte die Rückführung von Kämpfern des IS am Freitag angekündigt. Nach Angaben von Präsident Recep Tayyip Erdogan sitzen derzeit 1149 Anhänger des IS in türkischen Gefängnissen. Davon seien 737 ausländische Staatsbürger.
Europäische Verweigerungshaltung
Mehrere europäische Staaten haben es bisher abgelehnt, IS-Anhänger zurückzuholen, die die von der Kurdenmiliz YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in Nordsyrien gefangen genommen hatten.
Die Türkei hatte am 9. Oktober eine Offensive gegen die YPG begonnen, die sie als Terrororganisation betrachtet. Während der türkischen Militäroffensive wurden nach Angaben Soylus 287 IS-Anhänger festgenommen, darunter Frauen und Kinder.
Die türkische Regierung hielt sich mit konkreten Einzelheiten zurück. Sie sagte lediglich, die IS-Anhänger hätten in Internierungslagern gesessen. Es wird erwartet, dass Erdogan bei seinem Besuch im Weißen Haus in Washington am Mittwoch nähere Details mitteilt.
Türkei kritisierte europäische Haltung
In Nordsyrien haben sich die Türkei und Russland als Schutzmacht des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad inzwischen darauf geeinigt, den zuvor zwischen Kurden und Türken umkämpften Grenzstreifen gemeinsam zu kontrollieren. Die von der YPG geführten SDF haben sich nach russischen Angaben zurückgezogen.
Soylu hatte europäischen Verbündeten der Türkei wie Großbritannien oder den Niederlanden in der Vergangenheit vorgeworfen, sich aus der Verantwortung zu ziehen, indem sie IS-Kämpfern die Staatsangehörigkeit entzögen und sich weigerten, diese zurückzunehmen. "Wir sind kein Hotel für jedermanns Daesh-Mitglieder" hatte der türkische Innenminister gesagt. Mit "Daesh" benutzte er eine arabische Bezeichnung für den IS.
Rechtliche Fallstricke bei Staatsbürgerschaft
Erschwert wird die Rückführung dadurch, dass mehrere Staaten Bürgern, die sich der IS-Miliz angeschlossen haben, die Nationalität aberkannt haben. Allein Großbritannien hat mehr als hundert Menschen ausgebürgert. Gemäß dem New Yorker Übereinkommen von 1961 ist es zwar illegal, Menschen staatenlos zu machen. Einige Staaten wie Frankreich und Großbritannien haben das Abkommen aber nicht ratifiziert.
Deutschland hat zwar ein Gesetz beschlossen, das erlaubt, Dschihadisten den deutschen Pass zu entziehen, wenn sie noch eine andere Staatsbürgerschaft besitzen. Doch gilt dies nur für künftige Fälle und kann nicht rückwirkend angewandt werden.
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