Türkei-EU-Gipfel Das Tauschgeschäft

Stand: 30.11.2015 01:04 Uhr

Das Tauschgeschäft ist perfekt: Die Türkei soll ihre Grenzen wirksamer dicht machen und der EU helfen, das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen. Als Gegenleistung könnten die Türken bald ohne Visum in die EU reisen. Und auch Geld soll nach Ankara fließen.

Der türkische Regierungschef ist bekannt dafür, dass seine Mimik von einem Dauerlächeln beherrscht wird - egal, über welches Thema er redet. Doch als Ahmet Davutoglu den 28 Staats- und Regierungschefs der EU gegenüber saß, dürfte sein Gesichtsausdruck seine Stimmung exakt widergespiegelt haben. Feierlich und lächelnd sprach der ein ums andere Mal von einer historischen Begegnung. Es sei ein Neuanfang in den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU.

Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass der Gast viel über einen EU-Beitritt seines Landes sprach, während die Gastgeber sich lieber ausführlich dem Thema Zusammenarbeit mit der Türkei in Sachen Flüchtlinge und auch Terror-Bekämpfung in Syrien widmeten. Zwar sollen die sich zuletzt nur mühsam dahinschleppenden Beitrittsgespräche nun wiederbelebt werden. Das heißt aber nicht, dass sich die Türkei damit auf direktem Weg in die EU befände. Die Widerstände dagegen sind nach wie vor groß. "Unser Treffen und unsere Verabredungen bedeuten nicht, dass wir die Unstimmigkeiten vergessen, die wir nach wie vor haben", betonte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Dies gelte für die Menschenrechte und die Pressefreiheit. "Darauf werden wir zurückkommen", kündigte Juncker an.

Visafreiheit?

Trotz allem: Die EU will sich von der Türkei dabei helfen lassen, ihr Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen. Dafür geht sie ein weitreichendes Tauschgeschäft ein: Die Türkei soll ihre Grenzen wirksamer dicht machen. Als Gegenleistung macht die Europäische Union den Menschen in der Türkei Hoffnung, bereits ab Herbst kommenden Jahres ohne Visum in die EU reisen zu dürfen. Wenn bis dahin bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Außerdem zahlen die Europäer im Wortsinn mit blanker Münze zurück: Drei Milliarden Euro soll Ankara bekommen, um beispielsweise die geflüchteten Menschen aus Syrien besser versorgen zu können. "Für den Anfang", wie es in der Abschluss-Erklärung heißt. Ein Haken bleibt: Wer in der EU davon wieviel aufbringt, ist noch umstritten. Und so betonte Kanzlerin Angela Merkel auch, sie glaube, "da muss noch an der Einigkeit gearbeitet werden. Aber ich bin ganz optimistisch, dass wir das Thema hinkriegen können."

Merkel hatte sich auf einer Art "Mini-Gipfel" am Rande des eigentlichen Gipfels mit weiteren sieben EU-Staaten getroffen: Dabei wurde auch darüber geredet, wie man auf direktem und legalem Weg der Türkei Flüchtlinge abnehmen könnte. Dabei sei aber noch "keine einzige Zahl" genannt worden, betonte Merkel. "Wenn man eine legale Form der Migration finden will, dann sind Kontingente, dann sind Quoten - wie das von der türkischen Seite aus genannt wird - eine Möglichkeit."

Auch noch unklar ist, wie viele EU-Staaten sich dazu bereit erklären könnten, sich an der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas zu beteiligen. Die Kanzlerin sagte, sie glaube nicht, dass alle mitmachen würden. Immerhin, befand Merkel, was den Türkei-Aktionsplan angehe, habe man nun "europäische Einigung" erzielt. Dass es bei der Herausforderung Flüchtlingskrise noch genug offene Fragen ohne diese "europäische Einigung" gibt, ist Merkel dabei aber auch klar. Trotzdem sei sie nach der Türkei-Einigung "so gestimmt, dass ich sage, es lohnt sich, auch an den noch dickeren Brettern weiter zu bohren".

Trotz dieses Fazits: Der Mann, der am Ende des EU-Türkei-Gipfels wirklich Grund zum Lächeln hat, ist der türkische Regierungschef. Der kostete es genüsslich aus, dass die EU die Türkei derzeit dringender braucht als umgekehrt die Türkei die EU.

Kai Küstner, K. Küstner, NDR Brüssel, 30.11.2015 00:59 Uhr