Tuberkulose in Indien Wenn die Bakterien resistent werden

Stand: 24.03.2015 09:06 Uhr

An keiner anderen Infektionskrankheit sterben mehr Menschen als an Tuberkulose. In Indien erkranken jedes Jahr etwa zwei Millionen Menschen, mehr als 300.000 Infizierte verlieren den Kampf um ihr Leben. Und die Bakterien werden resistent.

Von Sandra Petersmann, ARD-Hörfunkstudio Neu-Delhi

Dr. Tobias Vogt behandelt einen typischen Fall. Der Patient, stellt er fest, ist in einem schlechten Zustand - er hat schon mehrfach die Behandlung abgebrochen, kann kaum noch laufen und wiegt nur noch 35 Kilogramm. Vogts Diagnose: "Es hängt am seidenen Faden, ob er das überlebt oder nicht."

Der Düsseldorfer Arzt arbeitet für die Hilfsorganisation German Doctors aus Bonn und lebt seit mehr als zehn Jahren in der ostindischen Metropole Kalkutta. Sein schmächtiger Patient, der nicht lesen und schreiben kann, leidet an einer multiresistenten Tuberkulose.

Der junge Mann sieht im Gesicht aus wie ein Greis. Er war schon bei vielen Ärzten, und er hat schon viele Medikamente geschluckt. Vogt erlebt das jeden Tag: Patienten, die Therapien abgebrochen haben, oder solche, die sich "bei Privatärzten oder bei Quacksalbern" haben behandeln lassen, "bei denen alles drunter und drüber geht". Wenn sie "extrem vorbehandelt" in das Krankenhaus kommen, sind die wichtigsten Medikamente eigentlich schon verbraucht "und das Pulver verschossen". Das, so Vogt, sei hier ihr "tägliches Brot".

Kein Medikament hilft

Der Tuberkuloseerreger verbreitet sich über die Luft. Ivan trägt einen Mundschutz, neben seinem Bett steht eine Sauerstoffflasche. Das staatliche Tuberkulose-Krankenhaus in Kalkutta ist seit fünf Jahren sein Zuhause.  Er liege immer nur rum, erzählt er, kein Medikament helfe ihm. Ivan bekommt kaum noch Luft und am liebsten, sagt er, möchte er sterben: "Was ist das für ein Leben?"

In seiner Lunge wüten besonders starke Bakterien. Sie haben sich mit der Zeit so verändert, dass kein Antibiotikum anschlägt. Der Lungenspezialist Dr. Ashok Sen gehört zu Ivans behandelnden Ärzten im Krankenhaus von Kalkutta, das zu den ältesten in Indien gehört.

Früher kümmerte sich dieses Krankenhaus um normale Tuberkulosepatienten. Nun aber, so Sen, nehme die Zahl der multiresistenten Fälle mit jedem Tag zu. Die Folge: "Die multiresistenten Fälle verdrängen in Indien die sogenannten normalen Fälle."

Ein Phänomen, das um sich greift

Sein Patient Ivan gehört vielleicht sogar zu den Fällen, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO als "umfassend resistent" bezeichnet werden - was so viel heißt wie: Kein einziges Medikament schlägt richtig an. Diese totale Resistenz, sagt Sen, "ist definitiv eine wachsende Bedrohung".

In Indien gibt es jedes Jahr rund zwei Millionen neue Tuberkuloseinfektionen. Der Staat stellt kostenlose Medikamente zur Verfügung, doch mehr als 300.000 Menschen überleben ihre Tuberkulose nicht. Tobias Vogt führt das auf die Lebensumstände in den "extremen" Slums zurück. Die seien "derart beengt und unhygienisch", da könne man die Tuberkulose nicht kontrollieren - dazu müssten die Lebensverhältnisse ganz anders sein.

In seiner Slumambulanz behandelt Vogt pro Tag etwa 50 Patienten. Mindestens drei davon haben Tuberkulose. Jeder Erkrankte steckt im statistischen Mittel pro Jahr bis zu 15 Menschen an. Die Bakterien nisten sich meistens in der Lunge ein, doch sie können auch die Wirbelsäule oder das Gehirn angreifen. Nicht nur in Indien, denn Vogt urteilt nüchtern: "Da muss man keine Panik machen, aber diese Keime kennen keine Grenzen und keine Nationalitäten, die breiten sich aus und erreichen irgendwann auch Deutschland."

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 24. März 2015 um 22:55 Uhr im Deutschlandradio Kultur.