Jahrestag der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 25 Jahre Leid - und immer noch wird vertuscht

Stand: 23.04.2011 12:39 Uhr

Der Super-GAU in Tschernobyl vom 26. April 1986 hat die Welt verändert. Erst nach und nach gab die Sowjetunion bekannt, wie schlimm die Katastrophe wirklich war. Und auch 25 Jahre später werden in Weißrussland die Risiken für die Bevölkerung immer noch heruntergespielt.

Von Stephan Laack, ARD-Hörfunkstudio Moskau zzt. Gomel

Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat Weißrussland besonders stark getroffen. Fast ein Viertel der Gesamtfläche des Landes wurden durch radioaktiven Niederschlag kontaminiert. Zwei Millionen Menschen bekamen die Folgen der Katastrophe zu spüren: Ihre Heimat im Südosten der Republik dürfte nach Ansicht von Experten noch mindestens 300 Jahre radioaktiv belastet sein, bis die Werte wieder im halbwegs normalen Bereich liegen.

Das ganze Ausmaß der Schäden ist immern noch nicht abzusehen. Allein der Versuch, die genaue Zahl der Erkrankten zu ermitteln, gestaltet sich schwierig. Ausschließlich Schilddrüsenkrebs wird als direkte Folgekrankheit radioaktiver Belastung anerkannt. Ungefähr 8000 Menschen sind nach Angaben von Nikolaj Borisevitsch vom russisch-weißrussischen Zentrum zur Bewältigung der Folgen von Tschernobyl daran erkrankt. Andere Krebsleiden, die generelle Schwächung des Immunsystems oder Herzkrankheiten könnten auch andere Ursachen haben, heißt es offiziell.

Gesundheitliche Schäden werden heruntergespielt

Die unabhängige Journalistin Jewgenija Tschirikowa aus Gomel betrachtet dies als gezielten Versuch der Behörden, gesundheitliche Schäden herunterzuspielen: "Die Menschen hier sterben am häufigsten an Krebs, Herzinfarkt und Schlaganfall. Aber unsere Mediziner dementieren jeden Zusammenhang mit der radioaktiven Belastung. Es gibt eine Anweisung, wonach andere Krankheiten als Schilddrüsenkrebs nicht auf radioaktive Strahlung zurückgeführt werden dürfen." Tschirikowa erinnert an Professor Bandaschewski, der an der Universität Gomel ein eigenes Krebsregister geführt hatte. Der Wissenschaftler ging von einer weitaus größeren gesundheitlichen Gefährdung der dortigen Bevölkerung aus, als nach offizieller Lesart. Unter dubiosen Begründungen wurde er ins Gefängnis gesteckt und verließ später das Land.

Hunderttausende Menschen umgesiedelt

In seiner Heimatregion Gomel, rund 120 Kilometer von Tschernobyl entfernt, wurden nach dem Reaktorunglück 98 Dörfer komplett abgetragen und 100.000 Menschen umgesiedelt. Zudem gibt es gekennzeichnete Sperrzonen stark verstrahlter Gebiete, zu denen der Zutritt verboten ist. Dennoch ist es keineswegs so, dass das Leben in den weniger belasteten Gebieten unbedenklich ist. Zweimal jährlich müssen sich Kinder und Jugendliche vorsorglich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen. Hinzu kommt der gesetzliche Anspruch auf einen kostenlosen 24-tägigen Erholungsurlaub im In- oder Ausland.

Kinder müssen immer wieder erinnert werden

"Die Ärzte können uns nicht sagen, wie gefährlich es tatsächlich ist, in den betroffenen Gebieten zu leben. Aber die Tatsache, dass sich der Staat finanziell an solchen Programmen beteiligt, zeigt, dass das Leben in belasteten Gebieten den Gesundheitszustand beeinflusst. Niemand weiß genau, was letztlich die Folgen sind." Dies betont Larissa Jakowjuk, sie arbeitet in dem Kinder-Rehabilitationszentrum Nadjeschda im Norden des Landes, das zu großen Teilen mit deutscher Unterstützung errichtet wurde. In vielen Familien sei Tschernobyl heute kein Thema mehr, sagt sie. Daher sieht Jakowjuk ihre Aufgabe auch darin, die Sensibilisierung für die Gefahren radioaktiver Strahlung aufrecht zu erhalten - auch wenn man diese nicht fühlen, nicht sehen und nicht schmecken kann. Die Kinder müssten daher immer wieder daran erinnert werden, zu Hause keine Pilze, keine Beeren, kein Obst und kein Gemüse aus dem Garten zu essen.

Verharmlosung der Folgen von Tschernobyl?

Ein großer Teil der Bevölkerung - in manchen Regionen bis zu 50 Prozent - verließ die verstrahlte Heimat nach dem Unglück. Andere blieben, um ihren Freunden und Verwandten nahe zu sein, aber auch aus Angst, in anderen Regionen keine Arbeit zu finden. Die weißrussische Regierung versucht heute den Schritt zurück zur vermeintlichen Normalität: Mit höheren Löhnen, besseren Sozialleistungen oder Vorrechten bei der Einschreibung an Universitäten sollen Menschen in den nicht so stark belasteten Regionen unterstützt werden. Mit Sonderprogrammen soll die Wirtschaft dort angekurbelt werden. Kritiker sehen darin eine Verharmlosung der Folgen von Tschernobyl.

Weißrussland plant den Einstieg in die Atomkraft

25 Jahre nach dem Super-GAU plant Weißrussland den Einstieg in die Atomkraft. Im Norden des Landes an der Grenze zu Litauen soll das erste Atomkraftwerk entstehen - von Menschen verlassene kontaminierte Landstriche würden da nicht ins Bild passen.

Stephan Laack, S. Laack, ARD Moskau zzt. Gomel, 23.04.2011 11:43 Uhr