Krieg in Syrien "Wir brauchen eine sofortige Feuerpause"
Ab dem 1. März sollen in Syrien die Waffen schweigen - geht es nach Russland. Welches Kalkül verfolgt Moskau damit, warum wird nicht eine sofortige Feuerpause gefordert? Antworten von Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
tagesschau.de: Russland schlägt nun eine Feuerpause vor. Wie realistisch ist das?
Muriel Asseburg: Russland hat großes Interesse daran, dass die Verhandlungen fortgeführt werden. Es will die Feuerpause aber erst dann, wenn das syrische Regime mit russischer Unterstützung weitere Geländegewinne erzielt hat. Denn erst dann wäre das Regime um Präsident Baschar al Assad in den Augen Russlands ausreichend gestärkt, um in die Verhandlungen zu gehen.
tagesschau.de: Der Vorschlag ist nun eine Feuerpause ab dem 1. März. Warum nicht ab sofort?
Asseburg: Russland, aber auch die Unterstützer anderer Konfliktparteien, haben Interesse daran, die Ausgangsposition der jeweiligen Konfliktpartei in den politischen Verhandlungen zu verbessern. Für Russland heißt das, das Regime zu unterstützen und die Rebellengruppen zurückzudrängen. Russland sieht die Rebellengruppen nicht als Verhandlungspartner, sondern als Terroristen.
Russland unterstützt zielstrebig
tagesschau.de: Ist der Vorschlag nun ein Kurswechsel Russlands?
Assenburg: Nein. Russland unterstützt Assad durchweg zielstrebig. Gleichzeitig wollen sie den politischen Prozess, um sich als Teil der internationalen Konfliktlösung zu präsentieren und ihren Einfluss zu demonstrieren. Dabei ist Russland sehr nah an den Positionen des Regimes, wie eine Konfliktregelung aussehen sollte und was das Verständnis von Terrorismus angeht.
tagesschau.de: Könnte der Westen das akzeptieren?
Asseburg: Das Problem ist, dass auch bei den Unterstützern der Opposition relativ viele Staaten kein Interesse an einem sofortigen Waffenstillstand haben, sondern genau das gleiche Kalkül verfolgen. Auch sie wollen die Verhandlungsposition derjenigen Konfliktpartei, die sie unterstützen, durch militärische Gewinne verbessern. Da das Regime und seine Verbündeten ihre Kontrolle insbesondere seit Anfang des Jahres ausweiten konnten, ist momentan der Wille auf Seite der Unterstützer der Rebellen gering, sofort einen Waffenstillstand umzusetzen. Sie haben vielmehr Interesse daran, zunächst die Rebellen wieder zu stärken. Das gilt zumindest für die Türkei und die arabischen Verbündeten der Rebellen. Das dürfte den Konflikt weiter anfachen.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass den Unterstützern der Opposition auch bewusst ist, dass diese kaum verhandeln können, solange sich die humanitäre Situation weiter verschlechtert. Daher bräuchte die Opposition tatsächlich eine Feuerpause, um an den Verhandlungstisch zurückkehren zu können.
tagesschau.de: Die Feuerpause würde nur funktionieren, wenn alle mitmachen. Würde denn Assad mitmachen?
Asseburg: Wenn die Russen und der Iran an einem Strang ziehen, dann können sie relativ viel Einfluss auf das Regime ausüben. Wenn die Amerikaner, die Saudis und die Türken an einem Strang ziehen, dann haben sie relativ großen Einfluss auf die Rebellengruppen. Hier gibt es Möglichkeiten, auf eine Feuerpause hinzuwirken, wenn sich die regionalen und internationalen Mächte einig sind.
tagesschau.de: Nicht mitmachen wird der "Islamische Staat". Was kann man gegen den IS und den Al-Kaida-Ableger Al-Nusra tun?
Asseburg: Wir schauen sehr stark auf die brutale Medieninszenierung und die Ideologie des IS. Wir schauen weniger dahin, welche Personengruppen sich den dschihadistischen Gruppierungen anschließen. Das wäre aber notwendig, um herauszufinden: Wo sind Möglichkeiten, die Organisationen von innen heraus zu zerstören und ihnen die Basis in der Bevölkerung zu entziehen? Es gibt in beiden Gruppierungen Personen, die man in Waffenstillstands- und sogar Friedensverhandlungen einbinden könnte, da für sie die ideologische Ausrichtung nachrangig ist. Diese Überlegen werden erst dann relevant, wenn es überhaupt gelingt, zu ernsthaften Verhandlungen zu kommen.
Einkesselung und Aushungern in Aleppo
tagesschau.de: Blicken wir nach Aleppo. Die Menschen fliehen aus der Stadt. Wie geht es den Menschen vor Ort?
Asseburg: Katastrophal. Die Menschen fliehen vor den Bomben und der nahenden Frontlinie. Denn es ist auch hier zu befürchten, dass es - wie in 15 Städten und Dörfern Syriens - zu einer Einkesselung und zum Aushungern kommt.
tagesschau.de: Wie entscheidend für die Lage in Aleppo sind die Luftangriffe Russlands?
Asseburg: Ganz entscheidend. Das Regime ist auf die Luftunterstützung der Russen angewiesen, um seine Offensiven durchzuführen. Die Bombardierungen gelten zwar auch Stellungen des IS, richten sich aber in allererster Linie gegen die Rebellengruppen. Es gibt Angaben, die ich nicht verifizieren kann, die ich aber für glaubhaft halte: Seit Beginn der Offensive in Aleppo Ende Januar sollen rund 500 Menschen durch Angriffe Russlands und des Regimes umgekommen sein.
tagesschau.de: Welchen Beitrag leisten ausländische Kämpfer, um jetzt Assad zu unterstützen?
Asseburg: Auch sie sind für das Regime essentiell. Es sind russische Militärberater und iranische Spezialkräfte im Einsatz. Die Kämpfer kommen von der libanesischen Hisbollah sowie schiitischen Milizen, die im wesentlichen durch den Iran koordiniert werden, darunter finden sich Iraker und Afghanen. Hinzu kommen Selbstverteidigungseinheiten, die wie eine Art Bürgerwehr funktionieren.
Humanitäre Fragen haben Priorität
tagesschau.de: Kann der Vorschlag einer Feuerpause ein Ansporn sein, um bei der Sicherheitskonferenz in München erfolgreich zu verhandeln?
Asseburg: Es ist sehr wichtig, dass die internationale Gemeinschaft die humanitären Fragen mit oberster Priorität behandelt und nicht zum Teil des Verhandlungsprozesses macht. Das heißt, dass die entsprechende Sicherheitsratsresolution vom Dezember jetzt auch umgesetzt wird. Es muss humanitärer Zugang gewährleistet werden. Abriegelungen, Blockaden und das Aushungern müssen beendet werden. Wir brauchen so schnell wie möglich eine Feuerpause. Darauf müssen sich die Gespräche in München jetzt konzentrieren. Es wäre ein fataler Fehler, eine Feuerpause erst in drei Wochen anzustreben, wenn die Gewaltspirale tatsächlich durchbrochen werden soll.
tagesschau.de: Was muss passieren, damit nach einer Feuerpause der Friedensprozess in Gang kommt?
Asseburg: Der Knackpunkt wäre die amerikanisch-russische Einigung, ganz auf eine politische Lösung zu setzen, nicht auf eine militärische Lösung, die durch eine politischen Prozess verbrämt wird. Davon sind wir aber weit entfernt.
Das Interview führte Barbara Schmickler, tagesschau.de.