Interview

Interview zur Lage in Syrien "Assad profitiert von Al Kaida"

Stand: 23.01.2014 03:35 Uhr

Während im schweizerischen Montreux die UN-Friedenskonferenz tagt, geht der Bürgerkrieg in Syrien mit unverminderter Härte weiter. Im tagesschau.de-Interview schildert ARD-Korrespondent Volker Schwenck, wie der Krieg das Leben in den Kurdengebieten im Norden verändert hat.

tagesschau.de: Herr Schwenck, in der Schweiz wird derzeit über einen möglichen Ausweg aus dem syrischen Bürgerkrieg gestritten. Sie sind zurzeit im Norden des Landes. Wie ist die Lage vor Ort?

Volker Schwenck: Ich befinde mich aktuell in Afrin, einer Stadt im Kurdengebiet rund 60 Kilometer nördlich von Aleppo. Es gibt zwei große zusammenhängende Gebiete, die von den Kurden gehalten werden: Das ist Afrin im Westen und Qamischli im Osten. Heute wollten wir eigentlich weiter ins 500 Kilometer entfernte Qamischli reisen, aber der Weg dorthin ist zu gefährlich, da er durch Gebiete führt, die von Al Kaida gehalten werden. In Afrin ist es relativ ruhig. Hier halten die Kurden Al Kaida noch auf Abstand.

Volker Schwenck
Zur Person: Volker Schwenck

Volker Schwenck (SWR) leitet seit Januar 2013 das ARD-Auslandsstudio in Kairo. Zuvor arbeitete er für ARD Aktuell und als Korrespondent in Genf. 2011 führten ihn zwei Reportage-Reisen nach Libyen.

tagesschau.de: Spielen die Kurden militärisch eine Rolle im Bürgerkrieg?

Schwenck: Die Brigaden der kurdischen Miliz YPG nennen sich Volksbefreiungseinheiten. Der YPG unterstehen mindestens 7000 Kämpfer. Wir haben mit einem Kommandanten gesprochen, der meinte, es seien deutlich mehr. Genaue Zahlen wollte er aber nicht nennen. Die Milizen sind relativ gut ausgestattet: Sie verfügen über einige Panzer und Fahrzeuge, auf die Maschinengewehre montiert wurden. Die Ausstattung ist aber nicht ansatzweise so gut wie die der Al-Kaida-Gruppen, die in der Region operieren.

tagesschau.de: Wie steht es um die humanitäre Situation, die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten?

Schwenck: Bis vor einigen Monaten haben die Menschen in Afrin noch sehr gelitten. Die Grenze im Norden wurde von der Türkei geschlossen, und die Gebiete ringsum befanden sich unter der Kontrolle der Freien Syrischen Armee (FSA), die den Zugang zu Afrin blockierte. Die Preise sind in dieser Zeit zum Teil um das Zehnfache gestiegen. Seit die FSA verstärkt gegen Al Kaida vorgeht, haben sich die Beziehungen zu den Kurden etwas gebessert und damit auch die Lage in Afrin. Seitdem sind die Preise wieder deutlich gesunken.

tagesschau.de: Sind internationale Hilfsorganisationen noch in der Region präsent?

Schwenck: Hilfsorganisationen kommen nach wie vor nicht nach Afrin durch. Einer der wichtigsten Versorgungswege ist der Schmuggel über die türkische Grenze. Autos lässt die türkische Grenzpolizei nicht passieren, aber wer auf zwei Beinen und mit einem Rucksack unterwegs ist, wird durchgelassen. Auch wir sind zu Fuß - quasi mit der Hilfe von Schleppern - über die türkische Grenze nach Syrien gekommen. Was wir dabei hatten, wurde von den Grenzpolizisten wohl für eine Waffe gehalten, deshalb gaben die Grenzer Schüsse in die Luft ab.

tagesschau.de: Wie sehr beeinträchtigt der Krieg das Leben in der Stadt?

Schwenck: Anders als Aleppo ist Afrin nicht zerbombt. Es gab nur einen Bombenanschlag von Al Kaida und eine Rakete ist eingeschlagen und hat ein Kind getötet. Aber es sind viele Flüchtlinge aus Aleppo und dem Umland hierher gekommen - nicht nur Kurden sondern auch Araber, die davon berichten, wie sie von Al Kaida terrorisiert wurden. Es verhungert hier niemand, aber die Leute haben auch nicht viel zu essen. Mit Lastwagen werden festgelegte Wasserrationen an die Haushalte verteilt. Es ist alles knapp und man muss es sich leisten können. Wer keinen Job hat, hat es schwer, deshalb sind viele Flüchtlinge auch bald wieder weitergezogen.

Furcht vor Al Kaida größer als vor Assad

tagesschau.de: Wie weit sind Sie in Afrin von den Kampfhandlungen entfernt?

Schwenck: Die Front verläuft etwa acht bis zehn Kilometer vor der Stadt. Es ist momentan relativ ruhig hier, weil die Freie Syrische Armee nicht angreift und Al Kaida damit beschäftigt ist gegen die FSA zu kämpfen. Davon profitieren die Kurden, aber es gibt keine Garantie, dass diese Ruhe anhält. In der Vergangenheit hat die FSA die Kurden wiederholt als "Feinde der Revolution" bezeichnet.

tagesschau.de: Wie sehen das die Kurden selbst? Unterstützen Sie die Regierung in Damaskus oder die Opposition?

Schwenck: Den Kurden wurde von der syrischen Opposition lange vorgeworfen, sie seien mit dem Regime von Baschar al Assad verbündet, da sie sich anfangs nicht an der syrischen Revolution beteiligt haben. Die meisten Kurden sind jedoch keine Anhänger Assads. Der Übergangsbürgermeister von Afrin, mit dem wir gesprochen haben, sagte: "Die Revolution war für die Kurden eine sehr gute Sache. Sie hat uns Freiheiten gebracht, die wir unter dem Regime niemals bekommen hätten." So wird in der Region mittlerweile selbstverständlich Kurdisch gesprochen, es gibt kurdische Schulbücher und neue, provisorische Autokennzeichen. Insofern begrüßen die Kurden die Revolution. Viele sagen aber auch, der Preis für die neue Freiheit ist zu hoch: Syrien liegt in Trümmern, das war es nicht wert.

Mehr noch als das Assad-Regime fürchten die Menschen hier, unter die Kontrolle von Al Kaida zu kommen. Wir sind von einigen Kurden zum Essen eingeladen worden, dabei wurde Arak serviert - ein klarer Anis-Schnaps. Unsere Gastgeber fragten uns: "Woher nehmen sich die Dschihadisten das Recht, uns vorzuschreiben, wie wir als gute Muslime zu leben haben?"

"Die Menschen rechnen nicht mit Frieden"

tagesschau.de: Man bekommt den Eindruck, dass die Aufständischen in Syrien mittlerweile mehr mit Kämpfen untereinander beschäftigt sind, als damit gegen die Regierungstruppen zu kämpfen?

Schwenck: Die Opposition bekämpft natürlich auch weiter Assad, aber sie ist durch die internen Konflikte auch sehr geschwächt. Assad profitiert von Al Kaida. Es gibt auch Gerüchte, dass er die Stärke der Islamisten bewusst nutzt. So hat das Regime vor allem Stellungen der Freien Syrischen Armee bombardiert - selten solche von Al-Kaida-Gruppen.

tagesschau.de: Haben die Menschen noch Hoffnung für die Zukunft?

Schwenck: Die Menschen hoffen natürlich auf Frieden, aber sie rechnen nicht damit. Das ist eher wie die Hoffnung auf einen Lotto-Gewinn. Zur Genfer Syrien-Konferenz sagen sie: Das wird nichts bringen. Solange Russland das Regime noch stützt, wird Assad nicht gehen. Und eine Übergangsregierung unter der Beteiligung von Assad ist für die Opposition undenkbar.

Das Interview führte Peter Neitzsch, tagesschau.de