Interview

Hungerkatastrophe am Horn von Afrika Die Dürre zeigt Somalias Probleme

Stand: 16.07.2011 07:12 Uhr

Bis zu zwölf Millionen Menschen leiden am Horn von Afrika unter einer katastrophalen Dürre. Das Hauptproblem sei aber nicht das Wetter, sagt Somalia-Expertin Petretto. Im Interview mit tagesschau.de erklärt sie, wie verfahren die politische Situation des Landes ist - und welche Rolle westliche Staaten dabei spielen.

tagesschau.de: Warum trifft die Dürre Somalia so hart?

Kerstin Petretto: Das Hauptproblem in Somalia ist der politische Konflikt. Der führt dazu, dass die Folgen der Dürre nicht abgefedert werden können. Somalia befindet sich seit zwei Jahrzehnten im Kriegszustand. Es gibt zwar lokale Administrationen, aber niemand regiert das ganze Land. Es gibt niemanden, der mit Notsituationen, wie einer Dürre, umgehen kann.

tagesschau.de: Wer kämpft in Somalia gegen wen?

Petretto: Es gibt bewaffnete Konflikte im ganzen Land. Im Süden herrscht zum Beispiel die islamistische Miliz Al Shaabab, die sich mit der international anerkannten Übergangsregierung im Kriegszustand befindet. Durch diesen Konflikt ist die Bevölkerung von staatlichen Versorgungsleistungen abgeschnitten.

Bis 1991 Diktatur - danach gescheiterter Staat

tagesschau.de: Warum hat das Land denn seit 20 Jahren keine nationale Regierung  mehr?

Petretto: Das Land ist 1991 zusammengebrochen, nachdem der Diktator Siad Barre vertrieben worden ist. Seitdem gibt es einen Konflikt zwischen vielen lokalen Akteuren um die Macht im Staat - bis jetzt ohne Einigung. Die internationale Gemeinschaft bemüht sich zwar, eine Lösung zu finden, aber das ist nicht einfach. Bislang hat man versucht, eine Zentralregierung nach westlichem Vorbild aufzubauen, die Sozialstruktur in Somalia spricht aber dagegen. Die somalische Gesellschaft basiert auf Clanstrukturen, aber diese sind nicht territorialisiert. Es gibt zwar Gegenden, wo der eine oder der andere Clan eine Vorherrschaft hat, aber im Großen und Ganzen hat die somalische Gesellschaft eine nomadische Struktur, die nicht an bestimmte Territorien gebunden ist. Insofern ist es eben schwierig, eine Regierung zu etablieren, die einen Zentralstaat regulieren soll. Die soziale und politische Struktur Somalias ist also lokal orientiert und nicht national.

Zur Person

Kerstin Petretto ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Sie forscht im Bereich Staatsversagen und bewaffnete Konflikte, mit regionalem Fokus Horn von Afrika.

tagesschau.de: Und warum trägt man diesem Fakt nicht Rechnung?

Petretto: Ein Problem ist die Einmischung externer Akteure, die meistens bestimmte Fraktionen in Somalia unterstützt haben. Das ist ein roter Faden, der sich durch die Geschichte Somalias zieht. Das gilt für Europa und die USA genauso wie für die Nachbarstaaten. Äthiopien ist zum Beispiel 2006 einmarschiert, um die Union islamischer Gerichtshöfe, die damals kurz die Macht errungen hatte, zu vertreiben. Schon seit der Kolonialzeit haben externe Akteure versucht, dass die von ihnen unterstützte Gruppe den internen Machtkampf gewinnt. Meistens setzte sie sich dann aber doch nicht durch. Das hält den Konflikt am Laufen.

tagesschau.de: Agiert die deutsche Außenpolitik richtig?

Petretto: Ausländische Regierungen, egal ob die deutsche oder andere westliche, haben natürlich Interesse daran, eine Zentralregierung aufzubauen, weil unser Staatensystem so strukturiert ist. Aber das ist eben in Somalia sehr schwierig. Damit tut sich die internationale Staatengemeinschaft sehr schwer, weil sich die sozialen und politischen Strukturen in Somalia eben nicht mit dem decken, was im internationalen Staatensystem vorherrschend ist. Insofern könnte man von westlicher Seite schon anders agieren.

Die Übergangsregierung ist absolut machtlos

tagesschau.de: Was müsste sich in der westlichen Somaliapolitik denn ändern?

Petretto: Nicht mehr versuchen, nur eine Seite zu unterstützen. Nicht mehr nur auf die aktuelle Übergangsregierung setzen, die formal an der Macht ist. Diese Regierung verfügt über fast keinen Einfluss in Somalia. Sie kontrolliert zwar einen Teil der Hauptstadt Mogadischu, aber das auch nur dank einer internationalen UN-Truppe der Afrikanischen Union. Wären diese Soldaten nicht da, dann könnte sich die Regierung nicht mehr halten. Der Westen unterstützt die Regierung aber, weil er fürchtet, dass sonst die islamistische Miliz Al Shaabab - die schon den Süden des Landes kontrolliert - aus Somalia einen islamistischen Staat macht.

tagesschau.de: Was ist Ihr Alternativvorschlag?

Petretto: Man müsste sich überlegen, ob man nicht doch eher auf die lokale Ebene geht. Ob man vielleicht mit lokalen Machthabern zusammenarbeitet und versucht, den Staat von unten her aufzubauen. Man könnte die Somalis auf lokaler Ebene dazu befähigen, ihr soziales und politisches Leben zu strukturieren und Administrationen aufzubauen. Das Problem ist aber, dass man eine international anerkannte Übergangsregierung hat. Ohne deren Einverständnis kann man nur bis zu einem begrenzten Grad auf lokaler Ebene agieren. Es ist schwierig, aber es gibt Möglichkeiten, auch einen Staat von unten her aufzubauen.

Äthiopien und Eritrea führten Stellvertreterkriege

tagesschau.de: Könnten die Nachbarstaaten mehr tun?

Petretto: Das ist sehr schwierig, weil die Nachbarstaaten immer auch eigene Interessen verfolgen. Auch Sie haben ihnen genehme Akteure in Somalia unterstützt und damit den Konflikt verschärft. Insofern ist regionale Nähe nicht unbedingt ein Faktor, der Somalias Nachbarn dazu befähigt, ein besserer Kooperationspartner zu sein. Staaten wie Äthiopien oder Eritrea haben sogar Stellvertreterkriege in Somalia ausgefochten, indem sie unterschiedliche Akteure unterstützt haben.

tagesschau.de: Was können Hilfsorganisationen ausrichten?

Petretto: Für Hilfsorganisationen ist es eine schwierige Situation. Gerade der Süden, der von der Dürre am meisten betroffen ist, war seit Anfang 2010 gar nicht mehr betretbar für solche Organisationen. Al Shaabab hat ihnen einfach den Zugang verwehrt. Jetzt dürfen sie da wieder hin, aber die Sicherheitslage bleibt weiter schwierig. Hilfe wird im ganzen Land gebraucht, nicht nur im Süden. Gerade in Mogadischu fehlt es an Hilfsmitteln und medizinischer Versorgung. Viele Flüchtlinge sind ja nicht nach Kenia geflohen, sondern haben sich in die Hauptstadt aufgemacht. Deshalb ist die Versorgungslage da sehr schlecht.

tagesschau.de: Hat Somalia überhaupt eine positive Perspektive?

Petretto: Aktuell sieht die Situation sehr schlecht aus. Der politische Konflikt ist sehr verworren. Es gibt kaum Fortschritte. Aber die Somalis sind wirklich Überlebenskünstler. Insofern sehe ich da sehr viel Hoffnung. Auf lokaler Ebene haben sich die Menschen in den vergangenen 20 Jahren enorm organisiert. Sie haben es geschafft, administrative Strukturen aufzubauen. Alles auf Basis lokaler Autoritäten, auch ohne einen Zentralstaat, der für sie sorgt. Dafür gibt es eine Menge Beispiele in ganz Somalia. Auf die muss man aufbauen, damit die Menschen in Zukunft gewappnet sind gegen die Dürren und Überschwemmungen, die am Horn von Afrika eben vorkommen.

Das Interview führte Moritz Rödle für tagesschau.de.