Interview

Experte zu Propaganda mittels Social Media Emotionen, Lügen und Videos

Stand: 01.08.2014 10:36 Uhr

Gaza, Ukraine, Syrien - die Macht der Bilder dominiert die Krisenberichterstattung. Häufig lässt sich ihr Wahrheitsgehalt nur schwer überprüfen. Der Schweizer Journalist Konrad Weber hat sich darauf spezialisiert. Worauf er achtet, erklärt er im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Viele Bilder und Informationen über die derzeitigen Krisen stammen aus sozialen Netzwerken. Was zeichnet diese Art von Berichterstattung inhaltlich aus?

Konrad Weber: Berichte in sozialen Netzwerken, ob von Journalisten, Betroffenen oder Augenzeugen, sind schon von daher direkter und emotionaler, weil sie unmittelbar sind. Auf Twitter und Facebook wird das mitgeteilt, was man selbst erlebt, reduziert auf die "rohe Botschaft". Diese Botschaft über das Ereignis an sich wird von verschiedenen Parteien verschieden ausgelegt. Das kann in Echtzeit geschehen, aber auch erst nach Stunden oder gar Tagen. Grundsätzlich lässt sich sagen: Je mehr Zeit vergeht, um so mehr ist die Nachricht und ihre Verbreitung interessensgesteuert.

Für die Redaktionen verursacht dies erhebliche Probleme. Es ist mühsam zu durchschauen, ob es sich um Berichterstattung im klassischen Sinne handelt, um einen Augenzeugenbericht oder um Propaganda. Die Wahrheit heraus zu finden, ist wirklich schwierig.

Zur Person

Konrad Weber arbeitet als Multimedia-Redakteur in der News-Abteilung von Schweizer Radio und Fernsehen. Dort ist er auf die Recherche und Verifikation von Social-Media-Inhalten spezialisiert und hat dazu ein Handbuch herausgegeben. Nebenbei schult Weber Journalisten in Online-Recherche. 2013 wurde er vom Branchenmagazin "Schweizer Journalist" zum Newcomer des Jahres gewählt.

tagesschau.de: Wodurch lässt sich Faktenbeschreibung von Propaganda unterscheiden?

Weber: Wenn wir beim Begriff "Wahrheit" bleiben: Das ist ein heikles Thema. Jede Seite nimmt für sich in Anspruch, die Wahrheit zu erzählen. Jeder Journalist und jede Redaktion ist folglich gut beraten, sich im Zweifel aufs Abbilden zu beschränken. In den sozialen Netzwerken sind die Zeiten der klaren Trennung von Bericht und Kommentar vorbei, weil die Berichte dort immer eine gewisse Intention haben.

Propaganda ist manchmal nur schwer zu erkennen

tagesschau.de: Welche Bildsprache wird zu Propagandazwecken eingesetzt, die nicht unbedingt auf den ersten Blick als solche zu erkennen sind?

Weber: In der Berichterstattung über den Konflikt im Gaza-Streifen fällt auf, dass vor allem die palästinensische Seite ganz bewusst Bilder von Kindern und Jugendlichen als Opfer einsetzt und der internationalen Presse präsentiert. Damit zeigt man der Weltöffentlichkeit die Brutalität dieses Krieges, dass Israel bewusst Zivilisten tötet. Militärische Präzisionsaufnahmen der israelischen Seite wollen dagegen beweisen, dass man genau auf die Hamas abzielt.

Darüber hinaus können natürlich auch Bilder selbst manipuliert werden. Das ist inzwischen recht einfach. Es gibt verschiedene Techniken, eine Veränderung im Bild nachzuweisen, die zum Beispiel über Photoshop erzielt wurde. So lässt sich das zu prüfende Bild mit anderen veröffentlichten zum selben Thema vergleichen. Das spielt auch im Ukraine-Konflikt eine Rolle. Da hat man sich schon mehr als einmal gefragt, ob das Bild eines Raketenwerfers tatsächlich ein aktuelles war.

tagesschau.de: Sind die Redaktionen ausreichend auf diese Entwicklung eingestellt?

Weber: Die Redaktionen stehen in der Tat vor einer großen Herausforderung. Zum einen müssen die relevanten Informationen und Bilder aus dem Netz heraus gefiltert werden. Zum anderen gilt es dann, die Informationen zu verifizieren: Wo und in welchem Kontext ist diese Info, dieses Bild schon mal aufgetaucht? Darauf stellen sich die Redaktionen langsam ein, was auch mit personellen und technischen Ressourcen verbunden ist. Es besteht aber Nachholbedarf.

Social Media als Quelle bei ARD-aktuell

Für ARD-aktuell sind Informationen, die über soziale Netzwerke und auf Videoplattformen verbreitet werden, eine wichtige Quelle unter vielen. Twitter & Co können zwar wichtige Hinweise liefern, das Gros unserer Informationen beziehen wir aber nach wie vor von Agenturen, unseren Korrespondenten und durch eigene Recherche.

Redaktionen müssen sich absichern

tagesschau.de: Ein Teil der Redaktionen greift auf die Unterstützung von Firmen zurück, die sich auf das Verifizieren von Bildern und Videos spezialisiert haben. Wie arbeiten diese Firmen?

Weber: Solche Firmen kombinieren zwei Techniken. Sie führen algorithmische Suchen nach Inhalten durch, die häufig geteilt werden. Damit können sie heraus finden, wo gerade eine Breaking News entsteht. Darüber wird häufig via Social Media schneller kommuniziert, als dass Nachrichtenagenturen darüber berichten. Analysiert wird in diesem Zusammenhang die Umlaufgeschwindigkeit einer Nachricht. Dann beginnt die eigentliche Arbeit des Verifizierens, die Überprüfung des Inhalts mit Zweit-, Dritt- und Viertquellen, ob zum Beispiel Ort und Zeit des Ereignisses plausibel sind. Dabei nutzen sie die Mittel der klassischen Recherche, andere Medienberichte oder vergleichen mit älteren Bildern, Videos und Satellitenaufnahmen.

Manipulation vor Social Media

Fotograf Robert Capa schuf eine fotografische Ikone des 20. Jahrhunderts: das Bild eines fallenden Soldaten im spanischen Bürgerkrieg. Über die Authentizität des Bildes wurde jahrzehntelang spekuliert. Inzwischen ist klar, dass es keine reale Kampfhandlung zeigt. Das Bild ist aber auch keine Fotomontage. Offenbar wurde der Soldat "aus Versehen" getötet, als er für Capas Kamera posierte.

tagesschau.de: Manipulation über Bilder und von Bildern ist ja kein neues Phänomen. Inwieweit erfährt das Thema über Social Media eine neue Dimension?

Weber: Inhalte und auch manipulierte Inhalte lassen sich schneller und leichter verbreiten als bisher. Mit einem Klick kann ein Bild an unendlich viele Personen gesendet werden. Und: Dieses Bild lässt sich nicht so ohne Weiteres zurück holen. Was damit im Netz passiert, unterliegt nicht mehr dem Einfluss dessen, der es dort veröffentlicht hat. Studien haben ergeben, dass die falsche Nachricht die doppelte Reichweite erzielt als ihre Korrektur.

Glaubwürdigkeit als hohes Gut

tagesschau.de: Wird und muss sich also Journalismus verändern, auch in seinem Verhältnis zu den sozialen Netzwerken?

Weber: Vielleicht war man am Anfang zu naiv und hat den Umfang von möglicher Propaganda unterschätzt. Sicher haben sich auch Journalisten in sozialen Netzwerken zu sehr einem gewissen Reichweiten-Geltungsdrang hingegeben, um schneller zu sein als alle anderen, um das eine spektakuläre Bild als erster zu veröffentlichen. Dabei ist und bleibt auch in digitalen Zeiten vor allem die journalistische Glaubwürdigkeit ein hohes Gut.

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 01. August 2014 um 9:15 Uhr.