Interview

Britische Zeitung "Guardian" unter Druck Dürfen die das einfach so?

Stand: 20.08.2013 17:16 Uhr

Snowdens Informationen von Agenten im Keller des "Guardian" vernichtet - was nach einem schlechten Film klingt, ist offenbar britische Realität. Warum die Pressefreiheit dort so wenig zählt, erklärt die Londoner ARD-Korrespondentin Barbara Wesel im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Die Tageszeitung "The Guardian" erhebt schwere Vorwürfe gegen die britischen Behörden: Man habe die Redaktion gezwungen, mehrere Festplatten mit Informationen von Edward Snowden über das NSA-Spähprogramm zu zerstören. Ein solch harsches Vorgehen ist in Deutschland kaum vorstellbar. Ist es für Großbritannien "normal"?

Barbara Wesel: Normal ist dieses massive Vorgehen gegen den "Guardian" vielleicht nicht gerade, aber Zensurversuche oder auch ausgeübte Zensur seitens der Regierung sind hier an der Tagesordnung. Dass aber gegen ein Medium eine solche Einschüchterungskampagne über Wochen betrieben wird und dabei tatsächlich noch Eigentum in Form von Festplatten zerstört wird, ist ungewöhnlich. Es zeigt, wie sehr die Regierung sich über Snowdens Veröffentlichungen geärgert hat.

Schwacher Schutz der Pressefreiheit

tagesschau.de: Aufgrund welcher Gesetzeslage ist ein solches Vorgehen überhaupt möglich? Sind die Medien-Gesetze so schwach, die Anti-Terror-Gesetze so stark?

Wesel: Der Schutz der Pressefreiheit ist in Großbritannien tatsächlich besonders schwach ausgeprägt. Es gibt keine in der Verfassung festgeschriebenen Rechte. Die Garantien kommen über den Umweg der Europäischen Konvention für Menschenrechte. Demgegenüber schränken eine große Zahl von Anti-Terror-, Geheimhaltungs- und so genannter "Staatssicherheitsgesetze" die Pressefreiheit ein. Das Innen- oder Verteidigungsministerium kann eine Art Zensuranordnung für alle Medien erlassen. Die beinhaltet die Aufforderung, über bestimmte Vorfälle nicht zu berichten. Das geschieht in Abständen immer wieder, zuletzt Ende Juni, als die ersten Snowden-Enthüllungen öffentlich wurden.

tagesschau.de: Muss die britische Regierung damit rechnen, dass solche Maßnahmen die Kritik der EU hervorrufen?

Wesel: Im Prinzip ja. Die EU müsste auf solche Eingriffe gegen die Pressefreiheit reagieren. Fraglich ist, wann und ob sie es tut.

"Die Aufregung hält sich in Grenzen"

tagesschau.de: Wie wird der Vorgang in der britischen Öffentlichkeit diskutiert? Reagieren andere Medien solidarisch oder gehen sie eher auf Tauchstation, um sich nicht selbst zu schaden?

Wesel: Die britische Presse teilt sich zwischen konservativ und links-liberal auf. Konservative Medien bringen diese Stories entweder nur klein oder gar nicht. Besonders die Murdoch-Zeitungen sind fast durchweg auf Seiten der Regierung. Die öffentliche Diskussion wird vor allem von Experten geführt. Von Juristen und NGO's, die für Bürgerrechte kämpfen, wie "Liberty" und andere. Die öffentliche Aufregung hält sich sehr in Grenzen. Viele Briten haben ein historisch gewachsenes Vertrauen in ihren Staat. Ihnen fehlt die geschichtliche Erfahrung von zerstörter Rechtsstaatlichkeit, wie es sie zum Beispiel in Deutschland gab.

tagesschau.de: Nachdem sein Lebensgefährte stundenlang in London festgehalten und befragt wurde, hat der „Guardian“-Journalist und Snowden-Vertraute Glenn Greenwald weitere Veröffentlichungen in Bezug auf die britischen Geheimdienste angekündigt. Versucht die Regierung, diese möglichen Enthüllungen zu verhindern?

Wesel: Die britische Regierung weiß sehr wohl, dass das nicht möglich ist. Der "Guardian"-Chefredakteur hat auch angekündigt, dass er weitere Teile der Snowden-Dokumente über die USA veröffentlichen werde. Dort ist die Pressefreiheit durch die Verfassung geschützt. "The Guardian" hat einen amerikanischen Ableger und arbeitet darüber hinaus in Sachen Snowden mit der "New York Times" zusammen.

Zurück zu Papier und Bleistift?

tagesschau.de: Wie geht man in den Redaktionen mit dieser angespannten Situation um? Versuchen Verleger z.B., ihre Mitarbeiter zu schützen?

Wesel: Natürlich versucht "The Guardian" seine Mitarbeiter zu schützen, soweit er es denn kann.  Allerdings war man wohl dort im Haus auf Einschüchterungsversuche eingestellt. Längst gab es Sicherungskopien der Dokumente an verschiedenen Orten. Überrascht waren allerdings wohl alle am Wochenende, dass die Behörden sogar über den Partner von Glenn Greenwald versucht haben, Greenwald und die Zeitung einzuschüchtern. Chefredakteur Alan Rusbridger sagte in dem Zusammenhang: "Man muss sich wieder persönlich treffen. Am Ende werden wir wie früher zu Papier und Bleistift zurückkehren, weil alle zu viele digitale Spuren hinterlassen."  

Die Fragen stellte Ute Welty, tagesschau.de, per Mail

Das Interview führte Barbara Wesel, rbb