NATO und Russland Gefährliche Spiele im Schwarzen Meer

Stand: 05.05.2016 20:24 Uhr

Im Umgang mit Russland setzt die NATO auf Abschreckung und Verständigung. Sie sucht den Kontakt mit der russischen Führung und verstärkt zugleich ihre Kräfte in den östlichen Mitgliedsstaaten. Dabei ist auch eine sensible Region im Fokus: das Schwarze Meer.

In Sotschi am Schwarzen Meer war es, wo Russlands Präsident Wladimir Putin vor anderthalb Jahren seine Außenpolitik erläuterte. Die Leitfrage war auf einer Leinwand hinter ihm zu lesen: "Weltordnung: Neue Regeln oder Spiel ohne Regeln?"

Putins Antwort ließ keinen Zweifel: Russland will die Regeln der Weltordnung auf Augenhöhe mit den USA neu bestimmen. Dazu zählt das Recht Russlands, die außenpolitische Orientierung der Staaten zwischen seiner Grenze und der NATO zu bestimmen. Dass Russland sonst auch zu militärischen Mitteln greift und Grenzen verrückt, hatte es mit der Eroberung der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim im März 2014 gezeigt. Im Sommer 2015 brachen dann von dort aus russische Schiffe auf, um den Militäreinsatz in Syrien vorzubereiten.

Dieser mit Effizienz geführte Einsatz führt nochmals vor Augen, dass Russland 2014 eine sicherheitspolitische Wende eingeleitet hat, auf den die NATO eine grundlegende und langfristige Antwort geben muss.

Trotz allem ein gemeinsames Ziel

Aber auch wenn sich Russland und die NATO als Konkurrenten gegenüber stehen und kaum noch Übereinstimmung bei der Interpretation von Ereignissen finden, so gibt es ein gemeinsames Interesse: das Risiko einer direkten Konfrontation gering zu halten.

So treffen die USA und Russland im Syrien-Krieg Absprachen und üben inzwischen gemeinsam Druck auf die Konfliktparteien aus. Auch tagte Mitte April der NATO-Russland-Rat erstmals seit Mitte 2014 wieder.

Daneben reaktiviert die NATO das Konzept der Abschreckung. Denn so sagt es beispielsweise der litauische Außenminister Linas Linkevicius: Russland lässt sich nur durch Militärpräsenz beeindrucken und von Absprachen überzeugen.

Rückkehr zur gegenseitigen Abschreckung

So wird die NATO bei ihrem Warschauer Gipfel im Juli beschließen, ihre Präsenz in den östlichen Mitgliedsstaaten weiter auszubauen. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Verlegung einer Panzerbrigade dorthin.

Da die Brigade zwischen mehreren Staaten rotieren soll, sieht die NATO diese Entscheidung in Einklang mit der Nato-Russland-Grundakte von 1997. Darin heißt es, dass in den einstmals mit der Sowjetunion verbündeten Staaten nicht "zusätzlich substanzielle Kampftruppen dauerhaft stationiert" werden sollen. Verstärkungen sind aber "für den Fall der Verteidigung gegen eine Aggressionsdrohung" oder bei Friedenseinsätzen möglich.

Russland sieht die Vereinbarung dennoch unterlaufen und kündigte die Verstärkung seiner Truppen an seiner westlichen und südlichen Grenze an.

Eine Schwarzmeerflotte der NATO?

Alarmiert reagierte die Führung in Moskau auch auf den Vorschlag Rumäniens, eine NATO-Flotte im Schwarzen Meer einzurichten. Das Binnenmeer zählt Russland nicht nur deshalb zu seiner privilegierten Einflusszone, weil es an seine eigene Küste grenzt. Mit seinem Zugang zum Mittelmeer ist es auch wichtig bei der Umsetzung der russischen Nahostpolitik. So werden die Militärstützpunkte in Syrien auch über das Schwarze Meer versorgt.

Deshalb ist es von Bedeutung, dass NATO-Vizegeneralsekretär Alexander Vershbow bestätigte, es gebe derzeit "wertvolle Gespräche" mit den NATO-Anrainern darüber, wie sie ihre Seestreitkräfte enger in NATO-Einsätze einbinden können. Er betonte, dass ein Fokus auch auf die maritimen Kräfte in der Region notwendig sei.

Die Ukraine und Georgien als weitere Anrainerstaaten zeigen ebenfalls großes Interesse, wäre dies doch ein Weg, als NATO-Partner enger in die Strukturen der Allianz eingebunden zu werden. Allerdings besitzen Rumänien, Bulgarien, die Ukraine und Georgien derzeit keine großen Flottenverbände, die die Schwarzmeerflotte Russlands ernsthaft gefährden könnten.

Militärische Signale

Russlands Botschafter bei der NATO warnte denn auch davor, dass andere Staaten der Allianz ihre Präsenz im Schwarzen Meer erhöhen könnten. Seit Jahren sind NATO-Schiffe zu Patrouillen und Militärübungen im Einsatz.

Derzeit transportiert die US-Marine Kampfeinheiten vom bulgarischen Varna ins georgische Batumi, wo in Kürze eine Militärübung beginnen wird. Auch am Ende des russisch-georgischen Krieges 2008 fuhren US-Fregatten nach Batumi. Sie hatten humanitäre Hilfe und die übliche Bewaffnung an Bord, wie es von US-Seite hieß. Es war als Signal an Russland gerichtet, sich wie unter EU-Vermittlung  vereinbart aus Georgien zurückzuziehen.

Ebenso setzt Russland mit militärischen Manövern Zeichen im Schwarzen Meer. So flogen 2014 russische Kampfjets ähnliche Manöver nahe von US-Schiffen wie derzeit häufiger in der Ostsee.

Die Türkei als Wächter

Bei all dem Kräftemessen im Schwarzen Meer spielt das NATO-Mitglied Türkei eine entscheidende Rolle. Die Türkei kontrolliert den Bosporus, das Marmara-Meer und die Dardanellen und damit den Zugang zum Schwarzen Meer. Dies wurde 1936 im Vertrag von Montreux festgelegt, der unter anderem die Durchfahrt von Kriegsschiffen regelt.

Einerseits beschränkt der Vertrag die Passage von Kriegsschiffen für Nichtainrainerstaaten und schützt damit auch Russland. Andererseits dürfen Flugzeugträger von Anrainern wie Russland die Meerenge nicht passieren. Befindet sich die Türkei im Krieg, so liegt es in ihrem Ermessen, wen sie passieren lässt.

Der Vertrag von Montreux ist eines der wenigen Sicherheitsabkommen, das in der Region noch Bestand hat, anders als zum Beispiel die 1972 zwischen Moskau und Washington getroffene Vereinbarung über Zwischenfälle auf See (Incidents at Sea Agreement, INSCEA), die eine zu große Annäherung von Kampfjets und Kriegsschiffen verhindern soll.

Eine sensible Region

Da der Vertrag von Montreux für die Türkei ein starkes sicherheitspolitisches Instrument ist, achtet sie auch gegenüber strategischen Partnern darauf, dass dieser eingehalten wird. So untersagte die Türkei dem Alliierten USA im Russland-Georgien-Krieg die Passage einer größeren Anzahl von Kriegsschiffen, weil die erlaubte Gesamttonnage überschritten war.

Zu einem Vorwurf Russlands über den Bruch des Vertrages durch ein US-Kriegsschiff im Jahr 2014 erklärte die Türkei, weil das Schiff havariert gewesen sei, habe es das Schwarze Meer nicht rechtzeitig verlassen können.

Da der Vertrag von Montreux den NATO-Staaten und Russland Grenzen setzt, sollten beide Seiten ein Interesse an dem Abkommen haben. Immerhin stabilisiert er seit 80 Jahren eine Region, die von strategischer Bedeutung für Osteuropa und den Nahen Osten ist. Ein "Spiel ohne Regeln" dort wäre gefährlich - weit über die Region hinaus und neue Regeln in einer Weltordnung nach den Vorstellungen Putins nur schwer zu finden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 04. Mai 2016 um 23:36 Uhr