Im Spasokukotsky-Krankenhaus beraten drei Ärzte in Schutzanzügen über die Behandlung von Corona-Patienten.

Kliniken in Russland An der Belastungsgrenze

Stand: 26.04.2020 17:18 Uhr

In Russland steigt die Zahl der Corona-Infizierten. Noch sind Krankenhausbetten vorhanden, doch die Kliniken beklagen bereits Mängel und geringe Versorgung, sodass die Kapazitäten schnell erschöpft sein könnten.

Seine Stimme klingt angespannt, als Professor Dmitrij Ptaschnikow seine Geschichte im Skype-Interview erzählt. Er leitet eine chirurgische Abteilung im Vreden-Institut in Sankt Petersburg, einem Krankenhaus mit 800 Betten.

Ptaschnikow kümmert sich um Patienten, die an Knochenkrebs leiden. Mit der Behandlung von Corona-Patienten hat er eigentlich nichts zu tun. Doch in der Klinik hat man die Ansteckungsgefahr unterschätzt. Es gab zu wenig Schutz, das Virus hat sich rasend schnell verbreitet. "In unserer Abteilung sind leider alle Ärzte erkrankt, das gesamte medizinische Personal", sagt der Arzt. Seine Abteilung stehe unter Quarantäne, keiner darf die Klinik verlassen. Die erkrankten Ärzte behandeln die in der Zwischenzeit noch zusätzlich an Covid-19 erkrankten Krebspatienten.

Bereits rund 81.000 Fälle landesweit

Wie in dieser Klinik sieht es inzwischen in vielen russischen Krankenhäusern aus. Hunderte Ärzte und Krankenschwestern haben sich angesteckt, fünf Todesfälle sind offiziell bestätigt. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.

Die Pandemie breitet sich in Russland immer stärker aus. Tag für Tag gibt es rund 6000 bestätigte Neuinfektionen. Landesweit sind insgesamt etwa 81.000 Menschen infiziert.

Offiziell ist Russland medizinisch gut gewappnet

Anna Popowa, die oberste russische Amtsärztin, hat den Verlauf der Erkrankung bei positiv Getesteten verfolgt. Die gute Nachricht: 52 Prozent der Infizierten seien ohne Symptome. Die schlechte: Zwölf Prozent würden eine Lungenentzündung entwickeln, die im Regelfall im Krankenhaus behandelt werden muss.

Offiziell sind die russischen Krankenhäuser darauf gut vorbereitet. Präsident Wladimir Putin informierte sich im knallgelben Schutzanzug persönlich in einem Infektionskrankenhaus. Das Bild ging um die Welt.

Vor den Toren Moskaus wurde in Rekordzeit ein neues Krankenhaus aus dem Boden gestampft. Journalisten waren zur Eröffnung gerne gesehen. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus?

Der russische Präsident Wladimir Putin trägt einen gelben Schutzanzug, um sich in einer Klinik über die Lage in der Coronakrise zu informieren.

Russlands Präsident Wladimir Putin im gelben Schutzanzug bei einem Besuch in einer Klinik nahe Moskau.

Bereits 40 Prozent aller Klinikbetten belegt

Am besten ist die Lage noch in Moskau. Hier seien 16.000 Krankenhausbetten vorhanden, bestätigt Bürgermeister Sergej Sobjanin. 5000 weitere würden zusätzlich eingerichtet. Ziel seien 27.000 Betten.

Schlecht sieht es dagegen im restlichen Russland aus. Laut Sobjanin seien bereits 40 Prozent aller Betten mit Patienten belegt, die an einer Lungenentzündung litten. Wenn die Zahl der Neuinfektionen in den kommenden zwei, drei Wochen nicht zurückgehe, dann sei die Kapazitätsgrenze erreicht, so Sobjanin.

Hinzu kommt der Mangel an Medikamenten und Schutzausrüstung. Bei der oppositionsnahen Gewerkschaft "Allianz der Ärzte" meldeten sich 164 Krankenhäuser aus dem ganzen Land: 74 Prozent haben demnach keine Schutzmasken und Schutzbrillen zur Verfügung, in fast genauso vielen Kliniken fehlen Schutzanzüge.

Es ist keine repräsentative Umfrage, aber der Trend ist klar: Mehr und mehr werden sich Ärzte und das Pflegepersonal anstecken - und werden bei der Behandlung von Patienten fehlen. 

Provisorische Krankenstation in St. Petersburg

Ein Pavillon des Lenexpo-Ausstellungszentrums in Sankt Petersburg wurde in ein provisorisches Krankenhaus umgewandelt.

Bürokratie lähmt die Versorgung

Darüber hinaus behindern Bürokratie und mangelnde Kapazitäten der Test-Laboratorien eine wirkungsvolle medizinische Betreuung.

Diese Erfahrung musste auch die 58-jährige Maria S. machen. Auf ihrer Datscha vor den Toren Moskaus erholte sie sich von einer Krebsoperation. Dann bekam sie leichtes Fieber, rief den Notarzt. Die Krankenhäuser in der Umgebung waren nicht auf Covid-Patienten vorbereitet. So wurde sie Anfang April in eine Klinik in der Kleinstadt Serpuchow, rund 100 Kilometer von Moskau entfernt, gebracht.

Ein erster Test, gleich nach der Einweisung, war positiv. Maria S. hatte nur leichte Symptome, erholte sich rasch. Ein zweiter Test wurde gemacht. Auf das Ergebnis wartet sie noch. Schließlich der dritte Test: negativ. Doch erst nach zwei negativen Ergebnissen darf sie das Krankenhaus verlassen, so will es die Bürokratie.

Der letzte Test wurde vor zehn Tagen gemacht. Auch auf dieses Ergebnis wartet die Klinik. Die wohl gesunde Patientin liegt nach wie vor auf Station, belegt eines der raren Betten, die wichtige Nachsorge nach ihrer Krebs-OP verzögert sich. Das Krankenhaus legte in der Zwischenzeit offiziell Beschwerde gegen die zuständige Behörde ein. Denn Patienten wie Maria S. gibt es viele, nicht nur im Krankenhaus von Serpuchow.