
Europäischer Tag gegen Menschenhandel Wie Mädchen zur Ware werden
Weltweit leben Millionen Menschen in Sklaverei, erleben Zwangsprostitution und Zwangsheirat. Viele von ihnen sind von kriminellen Banden verkauft worden. Häufig heißt das Ziel Deutschland. Viele Mädchen werden in Rumänien "angefixt".
Von Stephan Ozsváth, ARD-Hörfunkstudio Wien
Luana wohnt in Berzoaia, einem kleinen Dorf, 20 Kilometer von Bukarest entfernt. Die großgewachsene 17-jährige Schülerin erzählt von einem ungewöhnlichen Angebot: Ein Mitschüler habe sie angesprochen, erzählt sie. Ob sie nicht Lust habe, mit nach Deutschland zu kommen. Dort gebe es Leute, die gerne heiraten würden, verspricht der junge Mann. Heiraten natürlich nur pro forma. Luana lehnt ab. Sie hat einen Freund, erzählt sie.
Wir besuchen Luanas Schule. Es ist laut. Ein Zaun schützt vor Fremden und Videokameras sollen verhindern, dass Unbefugte die Schule betreten. Anwerbeversuche, wie ihn Luana berichtet, gibt es immer wieder. "Die überwiegende Mehrheit der Opfer kommt aus armen Familien", erzählt ihre Schulpsychologin. Meist würden sie mit attraktiven Dingen angelockt - der Fahrt in einem schicken Auto, einem Handy, kleinen Geschenken oder einfach ein bisschen Geld. Das sind die Anreize, um sie zu Opfern des Menschenhandels zu machen.
Die Spuren der Mädchen verlieren sich oft rasch
Regelmäßig kommen junge Mädchen in ihre Sprechstunde, erzählt die Psychologin, und berichten vom "Anfixen". Einmal in der Hand von Zuhältern, werden die Mädchen zur billigen Ware degradiert. "Die Preise für Mädchen sind niedrig: Sie liegen zwischen 500 und 2000 Euro", sagt Dan Popescu, der in Bukarest für die rumänische Anti-Aids-Vereinigung ARAS arbeitet: "Das trägt mit dazu bei, dass die Mädchen sehr oft die 'Besitzer' wechseln und sich ihre Spuren sehr rasch verlieren. Heute können sie noch in der Nähe des Nordbahnhofs, aber zwei Tage später bereits nach Deutschland verkauft worden sein."

Vor allem junge Mädchen werden mit falschen Versprechungen ins Ausland gelockt und dort ausgebeutet. Dieses Bild zeigt Prostituierte in Frankfurt/Main.
Was Popescu auch bemerkt hat: Die Mädchen auf dem Straßenstrich werden immer jünger. Und: Oft drängen arme Familien selbst minderjährige Töchter ins Rotlicht-Milieu: "Wenn du 16 bist und vielleicht schon ein Kind hast und jüngere Geschwister und Großeltern, und alle sind arm, kannst du von 175 Euro Gehalt nicht zum Unterhalt dieser Großfamilie beitragen. Das reicht nicht einmal für eine Woche. Und dann wird ein solches Mädchen für die Rettung der Familie geopfert."
Der Europatag gegen Menschenhandel findet seit 2007 jedes Jahr am 18. Oktober statt. Er will auf die Situation der Opfer hinweisen und dazu beitragen, den Handel mit Menschen, Zwangsprostitution, Zwangsheirat und Sklaverei zu bekämpfen.
Deutschland ist Zielort
Für die Zuhälter ist das ein gutes Geschäft: Menschenhandel lohnt sich. 25 Milliarden Euro erwirtschaften kriminelle Banden in Europa im Jahr, auch mit Prostitution, schätzt man im Europaparlament. Man geht dort von etwa 270.000 Zwangsprostituierten in ganz Europa aus. "Die Opfer werden hauptsächlich im Ausland ausgebeutet", sagt ein rumänischer Kripo-Beamter, der anonym bleiben will. "Man kann schon von traditionellen Zielorten für die Opfer des Menschenhandels sprechen: Italien, Spanien, Griechenland, Deutschland." Neuerdings, so der Beamte, würden auch immer mehr rumänische Opfer des Menschenhandels in skandinavischen Ländern identifiziert.