
Überwintern in Arizona "Snowbirds" zur Sonne, zur Freiheit
Stand: 17.02.2020 04:00 Uhr
Immer der Sonne nach: Hunderttausende Menschen überwintern von Oktober bis April mit ihren Campern in Arizonas Wüste. "Snowbirds" heißen sie - meist mobile Rentner und andere Aussteiger.
Von Verena Bünten, ARD-Studio Washington
Immer wenn in seiner Heimat Washington State der erste Schnee in der Luft liegt, will Lee Godfrey los - gen Süden in sein zweites Leben. Selbst eine kaum ausgeheilte Lungenentzündung konnte den 92-jährigen Rentner nicht stoppen: Mit Ehefrau Lily ist er wieder da, sein Wohnanhänger steht auf dem Campingplatz Arizona Sun in Quartzsite - wie jeden Winter seit 26 Jahren.
Absolut altengerecht findet er sein Camperleben - weniger Quadratmeter, das bedeute weniger Verantwortung und weniger zu putzen. "Viele in unserem Alter sind ans Haus gebunden. Sie treffen keinen mehr und ziehen sich zurück. Das ist nicht unsere Art. Wir gehen raus und sind voller Energie", erzählt Godfrey. "Uns allen tut etwas weh, aber wir geben nicht klein bei, wir wollen noch was erleben", ergänzt eine Freundin. Wüstengolf, Quad-Fahrten oder Country-Abende nämlich - hier versucht man neben stabilem Wetter alles zu bieten, was Amerikas rüstige Rentner sich wünschen.
Irgendwo ist jeden Abend Bingo
Zu Hunderttausenden strömen sie von Oktober bis April auf die rund 60 Campingplätze des staubigen Wüstenstädtchens an der Interstate Nummer 10 zwischen Phoenix und Arizona. "Im Winter sind wir das größte mobile Altenheim der Welt", sagt Campingplatzbetreiber Robert. Er ist ebenfalls Rentner. Auch Bürgermeister Norm Simpson ist 77 Jahre alt. Er schätzt, dass zwischen 500.000 und zwei Millionen Menschen im Winter in und um Quartzsite vorbeischauen, zählen kann er die Wanderbewegung nicht.
Die logistische Herausforderung meistert Simpson mit Gelassenheit. Wenn in der Hochsaison vor den wenigen Supermärkten die Menschen Schlange stehen, lernen sie sich eben kennen, sagt er: "Hier kannst du schneller Freunde finden als an deinem festen Wohnort in 40 Jahren." Das Geheimnis von Quartzsite? "Es geht nicht darum, wieviel Geld du hast oder wie erfolgreich deine Kinder sind. Was hier zählt, ist die Gemeinschaft." Und so scheinen die mobilen Pensionäre nicht nur dem Winterwetter zu entkommen, sondern vielleicht auch der Einsamkeit des Alters. Irgendwo ist schließlich jeden Abend Bingo.
Winterflüchtlinge campen in Arizona
ARD-Morgenmagazin, 17.02.2020, Verena Bünten, ARD Washington
Immer der Sonne nach
Wer nicht dicht an dicht stehen will, parkt vor der Stadt in der Wüste. Tausende Quadratkilometer öffentliches Land gibt es dort, verwaltet vom Bureau of Land Management - viel Platz für kleines Geld. Für 180 US-Dollar darf man hier sechs Monate stehen. Es ist die eher rustikale Variante ohne Stromanschluss und fließendes Wasser. Trotzdem mangelt es Dale und Nancy Bryant nicht an Komfort: "In unserem Wohnmobil haben wir zwei Badezimmer", sagt das Rentnerpaar, das seit 30 Jahren kommt - immer auf den gleichen Flecken in der Wüste. Neben den Kakteen wehen "Trump 2020"-Fahnen oder kanadische Flaggen. Steve und Dianne Colibaba stammen wie viele "Snowbirds" aus Kanada. Sie sind seit zehn Jahren unterwegs - immer der Sonne nach. Ihr Haus haben sie verkauft, leben dauerhaft im Wohnmobil. Campingplätze vermeiden sie frei nach der Regel: "Wenn man jemanden mit einem Steinwurf treffen kann, ist es uns zu eng."
"Das ist wahre Freiheit"
Noch weiter draußen treffen sich Aussteiger zum Überwintern. "Skooliepalooza" nennt sich eine Gemeinschaft, die in selbst ausgebauten US-Schulbussen lebt. Überraschend geräumig und hell durch die vielen Fenster sind die Busse, die Namen wie "Winterwanderer" oder "Little House on the Highway" tragen. Ihre Bewohner fachsimpeln über Solarzellen, eingebaute Viehtränken als Badewanne und Komposttoiletten. Busbewohner Stephanie und Travis Mathews finanzieren ihr dauerhaftes Leben unterwegs mit dem Verkauf von selbst hergestellter Naturmedizin. Ihre Kinder unterrichten sie im Heimunterricht. Travis schwört auf ihr Modell: "Das ist wahre Freiheit, wir wollten raus aus der Matrix, die die Welt für sich geschaffen hat."
Amerikas Winter-Wanderbewegung hat viele Gesichter. Während die Aussteiger den Sonnenuntergang mit Trommeln rund ums Lagerfeuer begehen, singt Rentner Godfrey im Cowboy-Outfit vor seinen Camping-Freunden zur Gitarre. Wie alle anderen auch will der 92-Jährige nächsten Winter wiederkommen - "solange mir der Herrgott die Kraft gibt".
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