
Bürgerfragen im TV Die perfekte Putin-Show
Stand: 07.06.2018 16:56 Uhr
Viereinhalb Stunden lang hat Wladimir Putin live im russischen Fernsehen Bürgerfragen beantwortet. Die Medien und der Präsident arbeiteten Hand in Hand, um Putin als Kümmerer zu inszenieren.
Von Palina Milling, WDR
"Der direkte Draht zu Wladimir Putin" - so heißt die Fernsehfragestunde mit dem russischen Präsidenten. Sie ist mittlerweile eine Traditionsveranstaltung im russischen Staatsfernsehen.
Noch vor dem Erscheinen Putins im Studio übertreffen sich die Sender im Hervorheben der Bedeutsamkeit der Veranstaltung: Schon zehn Tage vor der Sendung konnten die Bürger ihre Fragen schicken.
Intransparente Auswahl - ausgewogene Mischung
Mehr als zwei Millionen Anrufe seien noch vor dem Sendestart eingetroffen, mehr als 400.000 Nachrichten im Internet. Die Drähte würden immer noch heiß laufen, sagt die Moderatorin. Junge Freiwillige bearbeiteten die Mitteilungen live unter Hochdruck. Der vermittelte Eindruck: Jeder könne von Putin gehört werden, jedes Anliegen habe eine Chance auf seine Hilfe.
Bevor sie das Staatsoberhaupt erreichen, werden die Fragen sorgfältig ausgesiebt - nach Themen, Regionen, Alter und Geschlecht. Für eine einwandfreie Mischung. Die Auswahlkriterien bleiben intransparent. Aus den Abermillionen von Zuschriften kommen nur einige Dutzend auf Sendung.
Russlands Präsident Putin hat sich im Fernsehen den Fragen der Bürger gestellt
tagesschau 15:00 Uhr, 07.06.2018
Eindruck: Putin schaut genau hin
Das folgende Zusammenspiel von Fragen und Antworten ist durchdacht: Klagt ein Lkw-Fahrer über die "unerträglich hohen" Spritpreise, kann Putin per Video-Anruf direkt den Energieminister zuschalten. "Gestatten Sie, Bericht zu erstatten", lautet der erste Satz von Minister Alexander Nowak. Er wirkt aufgeregt, blass und rattert in wenigen Minuten alle Maßnahmen herunter, die sein Ressort getroffen hat.
Kaum wird die Medizinversorgung angesprochen, schaltet der Sender schon zur passenden Außenreporterin. Auf dem Gelände eines Krankenhauses klagen die Mitarbeiter über Engpässe, sie fürchten die Schließung. Unmittelbar wird die zuständige Gouverneurin zugeschaltet. Sie offenbart spontan ausführliche Kenntnis über die Lage des betroffenen Hospitals der Kleinstadt.
In früheren Fragerunden hat es solche Schalten nicht gegeben. Sie wirken vorbereitet, geprobt, abgestimmt. Und sollen offenbar den Eindruck vermitteln: Putin zieht die Zuständigen persönlich zur Verantwortung. Er schaut ihnen genau auf die Finger.
Außenpolitik eher ein Randthema
Die Beziehungen zu den USA und Europa, der Fall Skripal und die Ukraine werden auch angesprochen. Putin ruft alle Seiten an den Verhandlungstisch. Die Kontrahenten müssten allerdings Russland "ernst nehmen" und einsehen, dass ihre Taktik "kontraproduktiv" sei. Er versäumt später nicht zu erwähnen, dass längst neueste Atomflugkörper an das Militär geliefert wurden.
Die weltpolitische Lage schneidet Putin knapp an, vielmehr präsentiert er sich als Kümmerer und Helfer der "kleinen" Leute in seinem riesigen Land. Sie sitzen mit ihren Kindern vor der Kamera, zeigen Putin die morschen Fußböden in ihrem Haus. Sie fragen zu Hypotheken, Krebsheilung, Erhöhung des Rentenalters, Zukunft der Weltraumforschung, Mülldeponien, Straßenbau, Sperrung von sozialen Netzwerken. Der Staatschef macht sich Notizen, geht auf jede Frage ein, zeigt Verständnis.
Der Präsident weiß immer Bescheid
Zum ersten Mal seit sechzehn Jahren sind diesmal keine Zuschauer im Studio. Man wolle den Bürgern in den Regionen mehr Raum geben, erklärten die Sender im Vorfeld. Der Gedanke ist aufgegangen: So hat der Präsident den Stimmen aus den entferntesten Ecken von Russland zugehört.
In der Frageshow wird das Antwortmuster Putins deutlich: Er weiß immer Bescheid, er tue, was er könne. Der Staatschef erscheint unfehlbar. Wenn es ein Problem gibt, dann müssen die anderen Rede und Antwort stehen - und zwar jetzt, sofort, vor den Augen der Öffentlichkeit.
Ohne Putin geht nichts
Am meisten profitiert von der Bürgerfragerunde Putin selbst. Trotz ihrer Perfektion entlarvt die Inszenierung das perfide Prinzip seines Systems: Mit einer Lösung ihrer Probleme können die Menschen offenbar nur rechnen, wenn der Superheld Putin persönlich hinschaut. Wenn er es nicht tut, müssen sie sich selbst irgendwie durchkämpfen. Und hoffen, beim nächsten Mal durchgestellt zu werden.
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