
Streit über Todeslager "Holocaust-Gesetz" spaltet Polen
Stand: 01.02.2018 17:22 Uhr
Durch das "Holocaust-Gesetz" steigt die Zustimmung für die polnische Regierungspartei PiS weiter an - trotz oder sogar wegen internationaler Kritik. Gegner sind hingegen schockiert.
Von Jan Pallokat, ARD-Studio Warschau
Der so von vielen Polen empfundene Druck von außen wegen des "Holocaust-Gesetzes" scheint der regierenden Partei PiS zu nutzen: In einer Blitzumfrage eines Boulevardblatts landete die Partei bei nie zuvor in einer Umfrage erreichten 49 Prozent der Stimmen: Mehr als drei Mal so viel wie die zweitplatzierte, rechtsliberale Bürgerplattform - und das, obwohl nach dem Dauerstreit mit Brüssel nun auch die USA offiziell vor einer Verschlechterung der Beziehungen zu Polen warnen - wegen der Novelle.


Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen die verbliebenen Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz. Zuvor waren etwa 60.000 Häftlinge von der SS auf Todesmärschen nach Westen getrieben worden. Bis zum Kriegsende sollten die alliierten Soldaten noch die Häftlinge zahlreicher Konzentrationslager befreien.
Laut US-Außenministerium ist das Gesetz nämlich geeignet, die Redefreiheit und die der Wissenschaft einzuschränken. Israel erwägt Medienberichten zufolge sogar den Abzug seiner Botschafterin. Eigentlich hatte die Regierung versprochen, eine israelisch-polnische Kommission einzusetzen - umso mehr überraschte, dass das umstrittene Gesetz in aller Eile noch in der Nacht auch die zweite parlamentarische Hürde, den Senat, nahm.
Präsident Duda verteidigt Gesetz
Nun fehlt nur noch die Unterschrift des Präsidenten, der sich bereits empört geäußert hatte - über die Kritik an dem Gesetzesvorhaben. Dennoch war es bemerkenswert, dass sich mit Anna Maria Anders eine prominente Senatorin der PiS-Partei doch kritisch äußerte: "War es wirklich nötig, dass dieses Gesetz ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag im Sejm debattiert wurde?", fragt die Amerika-Expertin und Tochter eines berühmten Generals.
"Meiner Meinung nach ist das vor allem ursächlich für das Gewitter, das wir jetzt erleben", sagt Anders. "Am schlimmsten ist, dass jetzt überall 'Polnische Todeslager' - 'Polish death camps' steht. Das Ergebnis ist nicht so, wie wir es uns gewünscht haben. Ich finde, wir brauchen ein solches Gesetz, aber vielleicht nicht so eines wie dieses."
Verteidigung des Rufs...
Angetreten war die polnische Regierung, den Ruf des Landes zu verteidigen. Per Haftdrohung soll davon abgeschreckt werden, die Nation in die Nähe von NS-Verbrechen zu rücken, die Deutschen in Polen verübten, allen voran der Bau der Konzentrationslager. Nach Überzeugung der Warschauer Führung wird genau das, die falsche Mit-Inhaftnahme, ständig getan - etwa durch die irreführende Bezeichnung "polnisches Todeslager", die sogar Ex-US-Präsident Barack Obama einmal gebrauchte.
Annette Dittert, NDR, im Gespräch zum Holocaustgesetz
tagesschau24 17:00 Uhr, 01.02.2018
... oder Unterdrückung berechtigter Kritik?
Nur: Weil das Gesetz sehr allgemein formuliert ist, befürchten nun viele, dass auch berechtigte Diskussionen, etwa über Kollaboration mancher Polen mit den Deutschen, verhindert werden könnten. Auch im eigenen Land ebbt die Kritik nicht ab; es füllen sich die Unterschriftenlisten dagegen, ein Aufruf von Angehörigen der jüdischen Minderheit, ein anderer von Künstlern und Intellektuellen.
"Unser Brief ist vor allem an das Ausland gerichtet", erklärt einer der Mit-Unterzeichner, der Philosoph Jan Hartmann. "Es geht uns darum, dass diejenigen, die jetzt schlecht über Polen schreiben werden - und gut wird niemand schreiben -, auch schreiben können, dass es doch auch Polen gibt, die das Recht, die Wahrheit zu sagen, verteidigen. Es ist eine verzweifelte Geste, um noch etwas vom Ruf Polens zu retten."
Senat in Polen verabschiedet umstrittenes Holocaust-Gesetz
tagesschau 20:00 Uhr, 01.02.2018, Olaf Bock, ARD Warschau
Gegenwind als Beweis internationaler Bedeutung
Doch Intellektuelle hatten sich auch gegen viele andere Schritte der Regierung gestemmt, ohne groß Gehör zu finden - schon gar nicht von der Stammwählerschaft der PiS-Partei, die durch die staatlich gelenkten Medien tagtäglich mit der Information versorgt wird, dass Polen international nie so stark war wie heute. Auf diese Weise wird auch der internationale Gegenwind plötzlich zum Maß des Erfolgs: Sie greifen uns nur an, weil wir so wichtig sind.
Diplomatische Krise zwischen Polen und Israel hält an
Jan Pallokat, ARD Warschau
01.02.2018 17:01 Uhr