Polnische Aktivisten nehmen an einer Demonstration für eine Petition zum Thema "Legale Abtreibung - ohne Kompromisse" in Lodz, Polen, teil.

Polen nach dem Abtreibungsurteil "Es führt vor allem zu Angst"

Stand: 23.02.2021 16:26 Uhr

Die Gesetzesverschärfung ist in Kraft, die Proteste abgeebbt - Abtreibungen sind de facto verboten. Was macht das mit den Frauen? Wer hilft den Schwangeren jetzt? Und welche Unterstützung können sie vom Staat noch erwarten?

Aufgrund einer Schwangerschaft in Not geratene Polinnen bekommen heute leichter Rat denn je: Eine paradoxe Situation, denn eigentlich sind ja Abtreibungen vom Verfassungsgericht praktisch komplett verboten worden, außer bei höchst seltenen letzten Ausnahme-Fällen. Doch lose Initiativen wie das internationale Netzwerk "Aborcja bez granic" - "Abtreibung ohne Grenzen" sind unter anderem auch durch die sogenannten "Frauenstreik-Proteste" sehr bekannt geworden. Telefonnummern dieser und anderer Organisationen wurden im ganzen Land auf Kirchen- und andere Wände gesprüht.

Von zuletzt 1000 Anrufen monatlich berichtet Frauenaktivistin Justyna Wydrzynska, weit mehr als früher. "Aber anders als vor ein paar Jahren, als wir die letzte Rettung waren, ist es heute so, dass das Wissen, was man in dem Fall tun sollte, wo man Medikamente bekommt, an wen man sich wenden soll, weit verbreitet ist", sagt sie. Und es gebe inzwischen sehr viele Menschen, die den Frauen bei ihrer Entscheidung helfen.

Wer die Nummer ihrer Initiative wählt, bekommt Rat von Frauenrechtlern, Anwälten, Medizinern, die im Notfall auch die Organisation oder sogar die Finanzierung einer Auslandsreise zum Zwecke der Abtreibung übernehmen. Dass ungewollt schwangere polnische Frauen zu vermutlich Zehntausenden in Tschechien oder Deutschland alljährlich abtreiben lassen, ist so weit nichts Neues; neu hinzukommen dürften nun aber auch Frauen, die ihr Kind aus gesundheitlichen Gründen nicht austragen wollen.

Frauenärzte in schwieriger Lage

Polnische Frauenärzte bringt das neue Recht in eine schwierige Lage, schließlich stürzt die Nachricht von einer womöglich schwerwiegenden Schädigung des Fötus Betroffene wie Angehörige oft in eine tiefe Krise. Anna Parzynska, Frauenärztin am Warschauer Bielanski-Krankenhaus berichtete einem polnischen Privatsender, wie ihre Patientinnen auf das Abtreibungsurteil reagierten.

"Es führt vor allem zu Angst, sich überhaupt für eine Schwangerschaft zu entscheiden in einem Moment, wo sich die Patientinnen nicht mehr sicher fühlen", sagt sie. "Die Angst, möglicherweise eine Schwangerschaft austragen zu müssen und zu sehen, wie ihr Kind gleich nach der Geburt stirbt. Ich sage ihnen immer, dass sie nie allein sein und wir Frauenärzte ihnen immer helfen werden. Aber bestimmt wird sich der Anteil mutiger Ärzte verkleinern, die jetzt noch helfen. Ich persönlich sehe keinen anderen Weg, als Lösungen zu suchen - aber unser Spielraum ist beschränkt."

Mehr Hilfe für betroffene Eltern nötig

Wer sich hingegen zutraut, ein solches Kind großzuziehen, kann nicht auf allzu viel Unterstützung bauen. Das Verfassungsgericht mahnte in seinem Urteil mehr Hilfe für betroffene Eltern an; die Regierung arbeitet an einem sogenannten "Gesetz fürs Leben". Auch das rechtskonservative Anwaltskollektiv "Ordo Iuris", juristische Sperrspitze der Antiabtreibungsbewegung, findet die Hilfen unzureichend - und regt sogenannte "Geburtshospizen" für Mütter unheilbar kranker Kinder an.

"Die Geburtshospizen sollten Teil des Gesundheitssystems werden", sagte Ordo-Iuris-Vertreter Jerzy Kwasniewski im polnischen Radio. "Dort können Eltern, die von einer unheilbaren Erkrankung ihres Kindes erfahren, eine umfassende Unterstützung erfahren, medizinisch, aber auch psychologisch. Und dort können sie sich auch von ihrem Kind verabschieden, wenn es kurz nach der Geburt stirbt."

In Polen gibt es für Eltern schwerkranker Kinder ein Pflegegeld in Höhe des Mindestlohns, das aber entfällt, wenn die Mutter Geld verdient. Kaja Godek dürfte das wissen; die Frontfrau der polnischen "Pro-Life-Bewegung" hat selbst ein Kind mit Down-Syndrom geboren. Nach dem Abtreibungsurteil erklärte sie, dass ein "Recht auf Geburt" auch bei Schwangerschaften gelte, die Ergebnis einer Vergewaltigung sind - eine der allerletzten Ausnahmen vom polnischen Abtreibungsverbot.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 23. Februar 2021 um 05:11 Uhr.