Manila Philippinen | dpa

Lockdown auf den Philippinen "Wenn wir zu Hause bleiben, verhungern wir"

Stand: 14.08.2020 03:50 Uhr

Auf den Philippinen herrscht seit Monaten ein strenger Corona-Lockdown. Tausende wurden wegen Verstößen bereits verhaftet. Präsident Duterte setzt seine Hoffnung nun auf den russischen Impfstoff.

Holger Senzel ARD-Studio Singapur

Von Holger Senzel, ARD-Studio Singapur

Polizisten in Tarnanzügen und mit Sturmgewehren durchkämmen das enge Gassengewirr in Quezon, einem Stadtteil Manilas. Sie scheuchen Menschen in ihre Hütten zurück oder legen ihnen Handfesseln an. Tausende wurden festgenommen, weil sie gegen die strengen Pandemieregeln verstoßen haben, zwei Menschen wurden sogar von der Polizei erschossen. Auf den Philippinen herrscht der längste und strikteste Lockdown der Welt.

"Aber wenn wir zu Hause bleiben, verhungern wir", klagt die Obstverkäuferin Jocelyn Villanueva. "Ich habe keine Hilfe von der Regierung bekommen. Keinen einzigen Peso." Deshalb müsse sie raus auf die Straße gehen, um Obst zu verkaufen.

Auf den Philippinen herrscht eine Ausgangssperre und ein Alkoholverbot. Geschäfte und Restaurants sind geschlossen. Der Flug- und Nahverkehr wurde eingestellt, das öffentliche Leben liegt in Folge der Pandemie brach.

7,3 Millionen Philippiner haben ihren Job verloren

Müllsammler Virgilio Estuesta musste sein Fahrrad verkaufen - sein Firmenkapital. Denn mit dem Fahrradanhänger sammelt der 60-jährige Blechbüchsen, Altmetall, Altpapier und Plastik in den Straßen Manilas. Zwischen 47 Cent und neun Dollar bekommt er für eine vollbeladene Karre - zumindest in guten Zeiten. Aber die sind vorbei.

"Alle in meiner Familie haben ihren Job verloren. Mein Geschäft läuft auch nicht mehr, weil die meisten Müllläden geschlossen haben, an die ich sonst meine Ausbeute verkaufe." Er habe keine Ahnung, wie es weiter gehen werde, alle seien sehr verzweifelt.

7,3 Millionen Philippiner haben ihren Job verloren, bis Ende des Jahres könnte die Zahl auf über zehn Millionen ansteigen. In Stadien, Bahnhofshallen und Flughafengebäuden campieren Hilfsbedürftige, denn soziale Leistungen wie Arbeitslosengeld gibt es in dem 100-Millionen-Einwohner Staat nicht. Umgerechnet 163 Dollar als einmalige Soforthilfe hat die Regierung versprochen, doch die Verteilung funktioniert nicht.

Unzufriedenheit mit der Regierung wächst

Die Philippinen verzeichnen rund 147.000 Coronafälle, Mitte Juni waren es noch 27.000 und täglich werden es 5000 mehr. Das Gesundheitssystem ist ohnehin marode, die Kliniken überlastet und viele Philippiner haben keine Krankenversicherung, weil sie zu arm sind.  

Präsident Rodrigo Duterte hatte das Virus zunächst nicht ernst genommen und das Land dann von einem auf den anderen Tag dicht gemacht. Trotzdem sieht es nicht so aus, als bekäme der Inselstaat die Pandemie in den Griff.

Die Unzufriedenheit mit der Regierung wachse, erklärt Harvey Tomines von der Nachbarschaftshilfe in Quezon. "Ganz klar, die Regierung hat es verbockt", sagt Tomines. Die neuen Regeln und Einschränkungen seien eingeführt worden, ohne dass ihnen jemand irgendetwas erklärt hätte. "Die Menschen haben eine harte Zeit, es ist unmöglich, alle Regeln zu befolgen. Abstandsregeln in den überfüllten Slums? Wie soll das gehen?" Tomines sieht schwarz und fürchtet, das Schlimmste stehe noch bevor.

Erstmals seit Jahrzehnten steckt das aufstrebende Schwellenland in einer tiefen Rezession, denn die Wirtschaft der Philippinen kollabiert. Präsident Duterte setzt seine Hoffnungen jetzt auf den neuen umstrittenen russischen Impfstoff gegen das Coronavirus. "Ich werde der erste sein, der sich impfen lässt, wenn das Serum eintrifft. Und wenn es bei mir wirkt, dann ist es für alle gut”, so Duterte.

Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell im Hörfunk am 14. August 2020 um 10:35 Uhr.