Aus Korrespondentensicht Der Papst und ich

Stand: 27.02.2013 16:19 Uhr

"Einen schönen Beruf haben Sie da" - das sagte Papst Benedikt XVI. zum ARD-Vatikan-Korrespondenten. Acht Jahre lang begleitete der Journalist den Papst, las seine Texte und schrieb welche über ihn. Doch bis heute ist Benedikt ihm rätselhaft geblieben. Ein persönlicher Rückblick.

Von Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom, zzt. Vatikan

"Und, wie geht’s dem Papst? Hast Du ihn mal wieder getroffen?" Solche Fragen kennt der Rom-Korrespondent zur Genüge und muss - so er denn ehrlich und aufrichtig ist - seinen eigenen Beruf entmythologisieren: Man trifft den Papst nicht einfach so, auch nicht als Vatikan-Journalist. In der Regel sieht man ihn aus der Ferne als kleinen, weißen Punkt am Horizont. Bei Messen, Audienzen, Konzerten. Eine Beziehung auf Distanz, was ja nicht allzu schlecht ist, wenn man über diesen Mann berichten muss.

Benedikt legt Wert auf seine Privatsphäre

Aber wir sind auch nur Menschen und würden ihm schon gern mal zumindest die Hand schütteln oder ein paar Worte mit ihm wechseln. Der große Traum bleibt ohnehin unerfüllt: ein Interview mit dem Papst. Früher, als Papst Johannes Paul II. noch bei Kräften war, soll so eine Begegnung durchaus möglich gewesen sein. Johannes Paul war ein sehr kontaktfreudiger Mann und es konnte passieren, dass man - mit anderen - zu einer Begegnung eingeladen wurde: ein Frühstück oder ein Treffen am Rande einer der zahlreichen Auslandsreisen. Benedikt XVI. legt auf seine Privatsphäre sehr großen Wert. Wenn überhaupt, dann trifft man ihn im Rahmen einer Audienz.

Und so passte es ganz gut, dass im Januar 2011 eine evangelische Delegation aus der deutschen Heimat Benedikt XVI. besuchen wollte. Ich kannte einen der Bischöfe, bat um Mitreisegelegenheit in den Vatikanstaat, notfalls auch inkognito. Doch der Bischof sagte: "Das machen wir offiziell". Und so stand ich auf der Delegationsliste als Begleitjournalist. Viele Geheimnisse hätte ich da ohnehin nicht enthüllen können.

Man kann sich nichts steiferes vorstellen als eine solche Audienz am Hofe des Papstes. Schweizergardisten, die einen in Empfang nehmen und in die Audienzsäle im zweiten Stock begleiten, ein Saal prächtiger als der andere. Da wird einem ganz wurmartig zumute als normaler evangelischer Erdenbürger. In der letzten Kammer vor der Bibliothek, in der der Papst Delegationen zu empfangen pflegt, wurden wir von einem Monsignore über Protokollfragen aufgeklärt.

Protestanten bekommen keinen Rosenkranz

Am Anfang Hände schütteln. Sich selbst vorstellen. Dann an den vorbereiteten Sitzplatz. Es folgten Reden, die vermutlich schon vor Wochen  geschrieben wurden und nur auf ihren Vortrag warteten. Zum Schluss wieder Händeschütteln und Geschenk entgegennehmen, was in unserem Fall nicht der übliche Rosenkranz war. Protestanten bekommen eine Gedenkmünze mit dem Konterfei des Papstes. Das war’s. 

Ach ja, noch die Fotos. Auf diese Weise ist eines der seltsamsten Fotos in meinem Album entstanden. Ein Gruppenbild mit all den Bischöfen und natürlich dem Papst. Wir stehen im Halbkreis. Ich, als unwichtigstes Mitglied der Delegation ganz vorne, wobei der Weitwinkel Gesicht und Körper komisch verzerrt. Ich sehe aus wie ein Bodybuilder, der zu viele Anabolika geschluckt hat. Und der Papst? Ein kleiner weißer Punkt in der Ferne.

Ein Geständnis: Ich habe nicht damit gerechnet, dass Benedikt XVI. zurücktritt. Und wenn es nach mir gegangen wäre, hätten die Kardinäle ihn erst gar nicht zum Papst gewählt. Mir war vor dem Konklave 2005 sonnenklar: Der wird’s nie. Denn wer als Favorit ins Konklave geht, kommt als Ratzinger wieder heraus. Und dann saß ich da im Studio mit einer Plastikmappe, die 100 Kardinalsbiographien enthielt, auf dem Schoß, übte die wichtigsten afrikanischen und asiatischen Zungenbrecher-Nachnamen und höre das "Habemus Papam" des Kardinalprotodiakon und sein "Josephum" und mir war klar: Ich tauge nicht zum Propheten.

"Relativismus ist böse, Naturrecht gut"

Erste Frage der Moderatorin: Herr Kleinjung, wer ist Joseph Ratzinger?  Gute Frage, ich weiß es nicht. Und wenn ich ehrlich bin: Ich weiß es bis heute nicht. Ich habe ihn auf vielen Reisen begleitet, ich habe viele Texte von ihm gelesen und viele Texte über ihn geschrieben. Aber im Grunde ist mir Joseph Ratzinger bis heute ein Rätsel. Oft ist er sehr leicht zu durchschauen. Viele seiner Predigten kann ich mitsprechen, so vorhersehbar ist ihr Inhalt: Relativismus böse. Naturrecht gut.

Dass dieser Papst die von vielen deutschen Katholiken ersehnten Reformen nicht einleitet,  das war auch kein Wunder: Zölibat, Diakonat der Frau, Ökumene auch bei der Eucharistiefeier - träumt weiter! Aber immer wieder hat dieser Papst für Überraschungen gesorgt. Das können Äußerlichkeiten sein: Vor seinem ersten Weihnachtsfest als Papst trug er den "Camauro", das ist eine rote Samtmütze mit Hermelinbesatz, die lange Zeit ungetragen in den päpstlichen Kleidermagazinen gelagert hatte. Oder sein berühmter Satz im Interview mit Peter Seewald zu den Kondomen. Lassen wir mal alle Kasuistik beiseite - er hatte männliche Prostituierte als Beispiel genannt - und reduzieren seine Aussage auf den Kern. Dann heißt das: Unter bestimmten Umständen ist der Gebrauch von Kondomen angeraten.

Ohne das Motiv "Treue" versteht man ihn nicht

Oder Benedikts Härte gegenüber dem Missbrauch in den eigenen Reihen. Benedikt hat so viele Bischöfe wie nie zuvor zum Rücktritt gezwungen, weil sie nicht energisch genug gegen den Missbrauch vorgegangen sind oder selbst darin verstrickt waren. So unbarmherzig er gegenüber diesen Mitbrüdern war, so milde war er gegenüber seinen eigenen Mitarbeitern, auch wenn sie einen noch so großen Bock geschossen hatten. Ich glaube, ohne das Leitmotiv "Treue" versteht man diesen Papst nicht. Treue zu Freunden und Treue zu sich selbst und den eigenen Prinzipien.

Tilmann Kleinjung, T. Kleinjung, ARD Rom, 27.02.2013 18:22 Uhr

Und so lässt sich auch dieser Rücktritt erklären. Benedikt XVI. hat nie viel Aufhebens um sein Amt gemacht. Die Tiara im Wappen wurde abgeschafft, der Handkuss war ihm ein Graus und die "Benedetto" Chöre der Jugendlichen hat er mehr erduldet als genossen. Bei seinem ersten Weltjugendtag in Köln gab es eine Szene, die Bände spricht: Nachdem er tagelang stocksteif das Bad in der Jugend über sich ergehen ließ, traf er sich am Abend vor der Vigil auf dem Marienfeld mit seinen Bischofskollegen, so viele habe ich noch nie zusammen gesehen. Und, oh Wunder, inmitten dieser ihm größtenteils bekannten und vertrauten Personen, blühte Benedikt auf. Wurde locker, scherzte und formulierte frei eine rührende und bewegende Rede. Auch so habe ich, Gott sei Dank, diesen Papst erlebt.

An diese Audienz, an der ich teilnehmen konnte, muss ich in diesen Tagen immer wieder denken. Man geht also zum Papst, stellt sich vor: "Grüß Gott, Heiliger Vater, ich bin der Rom-Korrespondent Ihres Heimatsenders." Benedikt: "Einen schönen Beruf haben Sie da." Und mir fällt nichts besseres ein, als: "Ja, danke." Das entsprach vielleicht dem Zeremoniell, man soll den Papst nicht in lange Gespräche verwickeln, aber nicht meinem eigenen Anspruch. Ich hätte gern etwas schlaues, geistreiches entgegnet. Einen klugen Satz. Heute weiß ich, was ich hätte sagen müssen: "Ja, mit Ihnen möchte ich nicht tauschen."