Papst Benedikt XVI. (Archivfoto: 27.02.2013) | dpa
Nachruf

Zum Tod von Papst Benedikt XVI. Wir waren Papst  

Stand: 31.12.2022 10:44 Uhr

Der erste Papst aus Deutschland seit rund 500 Jahren: Mit seiner Wahl 2005 wurde aus Kardinal Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI. Auch sein Rücktritt 2013 war historisch.

Von Tilmann Kleinjung und Matthias Morgenroth, BR

Der einfache Gendarmensohn aus Marktl am Inn auf dem Petrusstuhl - das war die Krönung einer konsequent steilen Karriere: Mit 24 wurde Joseph Ratzinger zum Priester geweiht, mit 26 Jahren Doktor der Theologie, mit 30 Professor in Regensburg, mit 50 Erzbischof von München und Freising. Wenig später, im Jahr 1982, beruft Papst Johannes Paul II. Kardinal Ratzinger in den Vatikan, als Chef der Glaubenskongregation. Ratzinger, der als junger Konzilstheologe noch als Reformer galt, zeigt sich nun als Konservativer. 

Tilmann Kleinjung

Sein Veto gegen die kirchliche Schwangerenkonfliktberatung und seine Kritik an der lateinamerikanischen Befreiungstheologie festigten Ratzingers Ruf als katholischer Hardliner. "Panzerkardinal", "Großinquisitor" waren die Attribute, mit denen man den Theologen aus Bayern versah. 23 Jahre lang war er der wichtigste Mitarbeiter von Johannes Paul II. Seine Wahl zum Papst am 19. April 2005 schien konsequent. Einer, der die Kirche vor weiterem Verfall retten sollte.

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Benedikt XVI.: Von Marktl am Inn in den Vatikan

Vom Professorenkardinal zum umjubelten Star

Ratzinger war damals 78 Jahre alt, wollte sich eigentlich zurückziehen und Bücher schreiben. Die Weltöffentlichkeit war nicht sein Terrain. Das änderte sich rasant. So schnell, wie sich sein Image änderte - gerade in Deutschland. Zum ersten Mal seit rund 500 Jahren ein Deutscher auf dem Papst-Thron! "Wir sind Papst", titelte die "Bild" und traf damit den Nerv.

Beim ersten Besuch in Deutschland zum Weltjugendtag in Köln im August 2005 war der Theologe und Professorenkardinal zum umjubelten Star geworden, für den sich sogar Nichtkatholiken und Protestanten erwärmten - obwohl er sich vor seiner Wahl, damals noch als Kardinal Ratzinger, den evangelischen Kirchen abgesprochen hatte, gleichwertige Kirche zu sein.

Heimatbesuch in Bayern

Im Jahr 2006 bereiteten die Bayern "ihrem" Papst bei seinem Heimatbesuch einen triumphalen Empfang. Als sei der Katholizismus noch einmal aufgeblüht. Benedikt XVI. kehrte zu seinen Wurzeln zurück, in eine immer noch sehr katholische Ecke Bayerns: nach Marktl am Inn an der Grenze zu Österreich, wo er in der Osternacht 1927 auf die Welt kam. Nach Altötting, dem spirituellen Zentrum des katholischen Bayern. Nach Regensburg, wo er Professor war und sein Bruder Georg Chef der weltberühmten Domspatzen, wo ihn viele von seinen Urlaubsaufenthalten kannten. Katholisch schien nun einfach wieder "in" zu sein, eine lebendige Tradition.

Traditioneller und gelebter Katholizismus

Es war diese eigentümliche Mischung zwischen traditionellem gelebten Katholizismus und extrem weltläufiger Gelehrsamkeit, die Joseph Ratzinger als römischen Cheftheologen und auch als Papst auszeichneten.

So wie es das Leitmotiv seines Denkens war, Glaube und Vernunft zusammenzubringen. Oder wie er versuchte, die römisch-katholische Tradition und die moderne Welt zusammenzubringen. Letzteres scheiterte wohl auch daran, dass er das moderne Leben und Denken nur als "Relativismus" sehen konnte und beidem zutiefst misstraute. Als dies mehr und mehr erkennbar wurde, verschwand auch die Begeisterung so schnell, wie sie gekommen war.

Papst Benedikt  | AFP

Mit seinem Rücktritt hat Benedikt XVI. vermutlich das Papstamt und die katholische Kirche mehr verändert als mit seinen drei Enzykliken, seinen Reisen, seinen Reden und Begegnungen. (Archivfoto 2014) Bild: AFP

Manchmal wirkte er weltfremd

Manchmal wirkte Benedikt XVI. weltfremd. In seiner "Regensburger Rede" während seiner Bayernreise zitierte er die Mohammed-Kritik eines byzantinischen Kaisers des 14. Jahrhunderts und provozierte damit in arabischen Ländern Proteste und Tumulte, die sogar Tote nach sich zogen. Durch die Wiedereinführung der lateinischen Messe und der damit verbundenen Karfreitagsbitte für die Juden verärgerte er die jüdische Gemeinschaft, obwohl ihm stets an Verständigung und Ökumene gelegen war.

Dazu kam 2009 der Fall Williamson. Im Januar hob der Papst die Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen Piusbruderschaft auf. Einer von ihnen war der Brite Richard Williamson. Ein Holocaust-Leugner. In einem Interview mit dem schwedischen Fernsehen hatte er die Existenz von Gaskammern bestritten. Rom rehabilitierte einen Antisemiten. Eine schwere Panne, für die Papst Benedikt persönlich verantwortlich gemacht wurde - sogar von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Missbrauchsskandal als schwerste Krise

Vor allem mit einem Thema muss sich Joseph Ratzinger im Laufe seiner langen Karriere immer wieder auseinandersetzen: dem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker. Benedikt erlebte die schwerste Krise seiner Amtszeit als bekannt wurde, wie Geistliche über Jahrzehnte Kinder missbraucht hatten und von ihrer Kirche geschützt worden waren.

Proteste von Betroffenen begleiteten seine Reisen. Er traf sich mit Opfern und wiederholte bei diesen Gelegenheiten eine Entschuldigungsbitte für seine Kirche und kündigte hartes Durchgreifen an. Auch die Kirche müsse manchmal "den Stock des Hirten gebrauchen", mit dem sie den Glauben schützt. Am Ende seiner Amtszeit hatte Benedikt fast 400 katholische Priester wegen sexuellen Missbrauchs abgesetzt. Zig Bischöfe wurden wegen ihrer Verstrickung in den Skandal zum Rücktritt gezwungen.

2022, neun Jahre nach seinem Rücktritt, holt Joseph Ratzinger der Missbrauchsskandal noch einmal ein. Eine Münchner Rechtsanwaltskanzlei hatte im Auftrag des Erzbistums ein Gutachten vorgelegt, das dem ehemaligen Erzbischof von München und Freising Fehlverhalten in vier Missbrauchsfällen vorwarf. Dieser wiederholte seine Entschuldigungsbitte, wollte aber keine persönliche Verantwortung übernehmen.

Ein Rücktritt, der die Kirche veränderte

Der Rosenmontag des Jahres 2013: Papst Benedikt XVI. gibt den überraschten Kardinälen bekannt, dass er Ende des Monats vom Papstamt zurücktreten wolle. Der damals 85-jährige Pontifex erklärt, dass er sein Unvermögen erkennen muss, "den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen".

Spätestens, als durch die "Vatileaks-Affäre" vertrauliche Informationen aus dem Leben im Vatikan öffentlich gemacht wurden, wirkte der deutsche Papst überfordert. Mit seinem Rücktritt hat Benedikt XVI. vermutlich das Papstamt und die katholische Kirche mehr verändert als mit seinen drei Enzykliken, seinen Reisen, seinen Reden und Begegnungen. Das höchste Amt der Kirche erscheint seither durchaus als Amt auf Zeit.

Abschied von der Kirche und der Welt

Am 28. Februar 2013 verabschiedete sich Papst Benedikt XVI. von der Kirche und der Welt. Wenig später zieht er in ein eigens für ihn umgebautes Kloster in den Garten des Vatikanstaates, wo er seitdem Tür an Tür mit dem amtierenden Papst Franziskus lebte. In den letzten Jahren verlassen Joseph Ratzinger mehr und mehr die Kräfte: Der Geist, heißt es aus seinem Umfeld, sei immer noch hellwach, aber die Stimme wird schwächer, er ist auf einen Rollstuhl angewiesen.

Trotzdem unternimmt der emeritierte Papst im Sommer 2020 überraschenderweise noch einmal eine Reise in seine bayerische Heimat, nach Regensburg. Sein Bruder Georg liegt im Sterben. Es ist auch eine Reise in die eigene Vergangenheit. Benedikt besucht sein ehemaliges Wohnhaus in Pentling bei Regensburg. Und es gibt Gerüchte: Er bliebe für immer in Bayern. Doch nach fünf Tagen kehrte er wieder zurück in seinen Alterssitz im Schatten des Petersdoms, wo er nun im Alter von 95 Jahren gestorben ist.

Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 31. Dezember 2022 um 11:00 Uhr.