
Corona-Krise in Mexiko Nur ein bisschen Gel auf die Hand
Stand: 12.11.2020 12:57 Uhr
In Mexikos Montagebetrieben breitet sich das Coronavirus aus: Eine Arbeiterin aus Ciudad Juárez beklagt, dass selbst bei Todesfällen niemand einschreite. Weiter zur Arbeit gehen muss sie trotzdem.
Von Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko-Stadt
Jeden Morgen um 6.00 Uhr beginnt Luisa ihre Schicht. Sie arbeitet in einem Unternehmen, das in Ciudad Juárez Medizintechnik produziert - einer der Montagewerkstätten, die in Mexiko "Maquila" genannt werden. Gerade ist die Corona-Ampel in ihrem Betrieb wieder auf Rot gesprungen - die höchste Alarmstufe. Trotzdem muss sie wie gewohnt weiterarbeiten.
Aus Angst vor Repressalien durch ihren Arbeitgeber möchte die 35-jährige Fabrikarbeiterin ihren richtigen Namen nicht nennen. Ihre Firma fertigt Hohlröhren für Intubationen, Kanülen und Endoskope - Medizintechnik, die Leben retten kann. Doch für ihre eigene Gesundheit und die ihrer Kolleginnen sei nicht gesorgt, sagt sie.
Mangelnde Belüftung, ungesundes Essen
Auf der Internetseite wirbt das Unternehmen mit den Worten: "Unser Fokus ist die Gesundheit unserer Mitarbeiter, damit wir weiterhin medizinische Ausrüstung für Patienten weltweit herstellen können." Das habe nichts mit der Realität zu tun, meint Luisa. Am Eingang werde lediglich die Temperatur gemessen, ein bisschen Desinfektions-Gel auf die Hand gegeben.
"Aber am Fließband stehen wir Seite an Seite. Es gibt auch Leute, die sich nicht an die Regeln halten. Aber der Geschäftsleitung ist das egal. Sie wollen einfach nur, dass wir produzieren, produzieren, produzieren", erzählt sie. "Man würde ja denken, dass mit der höchsten Corona-Alarmstufe das Personal wieder um die Hälfte reduziert würde, aber derzeit ist es nur so, dass sie die Leute, die zur Risikogruppe zählen, rausnehmen." Und diese Mitarbeiter würden durch neue Mitarbeiter ersetzt. Auch die Belüftung sei nicht ausreichend. Es gebe kaum Fenster.
Ein großes Problem sind zudem die chronischen Krankheiten, die die Mitarbeiterinnen bedingt durch die Arbeit bekommen: Sie würden sich kaum bewegen, die Ernährung sei schlecht, erklärt Vanessa Vargas vom Verein "Hijas de Maquileras Madre", die sich für die Rechte der Arbeiterinnen einsetzt. Sie ist selbst Tochter einer Maquila-Arbeiterin.
"In der Fabrik werden sie mit Kohlenhydraten vollgestopft. Es gibt Fleisch, Kartoffeln, Pasta, aber kein Obst und Gemüse", erzählt sie. "In den Tagen darauf kann man davon ausgehen, dass die Reste in neuer Kombination wieder auf den Tellern landen." Viele litten unter Diabetes, Übergewicht und Bluthochdruck - Krankheiten, die bei einer Coronavirus-Infektion tödlich enden können.
"Sie haben den Arbeitsplatz desinfiziert. Das war alles"
In der Grenzstadt Ciudad Juárez ist ein Viertel der Bevölkerung in den sogenannten Maquilas angestellt. Hier scheint die Ansteckungsgefahr besonders hoch. In den vergangenen Monaten kam es immer wieder in einzelnen Maquilas zu Protesten gegen den mangelhaften Corona-Schutz.
Luisa selbst will nicht demonstrieren. Die Mitarbeiterinnen würden massiv unter Druck gesetzt - aber sie ist auf das Geld angewiesen, sagt sie. Von den rund 230 Euro im Monat kann sie kaum leben.
"Es gab bei uns Corona-Fälle. Uns haben sie dann gesagt, dass es sich nur um eine Erkältung handle. Aber es gab zwei Fälle, da sind Mitarbeiterinnen gestorben - und das war dann ja wohl offensichtlich Covid-19. Da hieß es auch nur, dass es einfach nur eine Krankheit war, die sie schon hatten", erzählt sie. "Sie haben dann den jeweiligen Arbeitsplatz desinfiziert. Das war alles."
Das Unternehmen wurde für eine Stellungnahme zu den Corona-Bedingungen angefragt. Eine Mitarbeiterin erklärte dem ARD-Studio Mexiko-Stadt telefonisch, dass alle Sicherheitsprotokolle befolgt würden.
Maquila-Fabriken in Ciudad Juárez - Treibhaus für Corona-Infektionen
Anne Demmer, ARD Mexiko
12.11.2020 12:22 Uhr
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