
Merkel in Auschwitz Besuch im "Vorraum zur Hölle"
Stand: 06.12.2019 17:21 Uhr
Kanzlerin Merkel hat erstmals das einstige Vernichtungslager Auschwitz besucht - dabei traf sie auch einen ehemaligen Insassen. Merkel betonte die Verantwortung der Deutschen.
Von Martin Adam, ARD-Studio Warschau
"Halt! Stoj!" steht auf einem Holzschild am Tor zum Konzentrationslager Auschwitz. Darüber die Worte, mit denen die Nazis ihre Opfer verhöhnten: Arbeit macht frei. Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt nicht stehen. Sie geht, begleitet von dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki und dem Direktor der Gedenkstätte, Piotr Cywinski, den Weg, den vor ihr Altkanzler Helmut Schmidt und zuletzt Helmut Kohl 1995 gegangen sind: Merkel ist erst die dritte Bundeskanzlerin, die das frühere Konzentrationslager Auschwitz besucht - ein deutsches Konzentrationslager. Das betonte sie in Ihrer Rede immer wieder.
Bundeskanzlerin Merkel gedenkt der Opfer in Auschwitz
tagesschau 20:00 Uhr, 06.12.2019, Olaf Bock, ARD Warschau
Vorraum zur Hölle
Im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau - wo mehr als eine Million Menschen ermordet wurden - hört Merkel einem zu, der überlebt hat: Bogdan Bartnikowski, 87 Jahre alt, beschreibt, wie er mit zwölf Jahren nach Auschwitz gebracht wurde und panisch versuchte, bei seiner Mutter zu bleiben.
"Wir haben die anderen Häftlinge gefragt, wann wir freigelassen werden. Die Alten haben nur gelacht und gesagt: 'Sehr ihr diese Schornsteine? Durch diese Schornsteine kommt man frei, es gibt keinen anderen Weg.' Wir haben das nicht geglaubt. Dieser Ort war der Vorraum zur Hölle."
Welle von Hassdelikten
Die Kanzlerin wirkt bewegt. Sie bedankt sich bei Bartnikowski, dass er sich dieser Erinnerung immer wieder aussetzt. Das müssten auch die Deutschen, das sei Teil der nationalen Identität der Bundesrepublik, sich der Shoah zu stellen und die Verantwortung dafür zu tragen. "Was hier geschah", sagt sie, "lässt sich mit Menschenverstand nicht fassen."
Und dabei gehe es nicht nur um die Vergangenheit, sagte Merkel: "Denn wir erleben einen besorgniserregenden Rassismus, eine zunehmende Intoleranz, eine Welle von Hassdelikten. Wir erleben einen Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus im Dienste einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit." In Deutschland müssten sich alle Menschen sicher und zu Hause fühlen können, sagte die Kanzlerin.
"Täter deutlich benennen"
Morawiecki hatte zuvor erklärt, wer damals das Böse ignoriert habe, habe sich mitschuldig gemacht. Wer heute die Geschichte verdrehe, mache sich wieder schuldig. In der Vergangenheit war immer wieder von "polnischen Konzentrationslagern" die Rede gewesen. Die Regierung in Warschau hatte versucht, mit dem sogenannten "Holocaust-Gesetz" gegen solche Äußerungen vorzugehen. Dies hatte zu internationalen Protesten geführt, wirkte es doch wie der Versuch, jede Äußerung zur Beteiligung von Polen an Pogromen und antisemitischen Ausschreitungen zu verbieten.
Merkel ging darauf ein und erklärte, Auschwitz sei ein deutsches Verbrechen: "Es ist mir wichtig, diese Tatsache zu betonen. Es ist wichtig, die Täter deutlich zu benennen. Das sind wir Deutschen den Opfern schuldig und uns selbst."
Um Auschwitz und Auschwitz-Birkenau als Orte des Gedenkens zu erhalten, sicherte Merkel der Stiftung Auschwitz-Birkenau zusätzlich 60 Millionen Euro zu. Denn die Shoah sei geschehen, zitierte die Bundeskanzlerin den Auschwitz-Überlebenden Primo Levi, folglich könne sie wieder geschehen.