Merkel zu Besuch in Afrika Die Wurzel aller Flüchtlingsprobleme

Stand: 09.10.2016 05:16 Uhr

Mali, Niger, Äthiopien - Kanzlerin Merkel ist zu einer Reise nach Afrika aufgebrochen; ein Kontinent, den sie länger nicht mehr besucht hat. Doch Terror und Flüchtlingskrise haben das Bewusstsein für die Probleme Afrikas geschärft.

Von Angela Ulrich, ARD Berlin

Von Angela Ulrich, ARD-Hauptstadtstudio

Fünf Jahre ist Angela Merkel nicht in Afrika gewesen. Und in Mali und Niger - zwei ihrer Reiseziele jetzt - war die Kanzlerin noch nie. Doch spätestens mit der Flüchtlingskrise ist der Kontinent wieder voll in ihr Blickfeld gerückt. Denn das Prinzip "Fluchtursachen bekämpfen" setzt in Afrika an. Auch, weil Deutschland und Europa hier in der Vergangenheit viel versäumt haben.

Merkel sagt das deutlich: "Wir haben durch Kolonialismus sehr dazu beigetragen, dass manches in Afrika heute schwer möglich ist. Schauen Sie sich mal die Grenzziehungen an. Die sind nach Rohstoffvorkommen und nicht nach dem Zusammenleben von Stämmen und Völkern gemacht worden."

Kein Geld für Schlepper

Mali und Niger, Merkels erste Reiseziele, sind zwar keine Staaten, aus denen selbst sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Dazu sind beide Länder viel zu arm, die wenigsten können sich die Kosten für die Schlepper leisten. Gerade in Niger: Der westafrikanische Staat steht in dem traurigen Wohlstandsindikator der Staaten, im Human Development Index der Vereinten Nationen, auf dem letzten Platz.

Dafür sind die Länder zu Drehkreuzen für andere, wohlhabendere Flüchtlinge geworden. Wer aus der Subsahara über das Mittelmeer nach Europa will, der kommt durch Agadez in Niger. Der Tourismus dort ist völlig zusammengebrochen. Stattdessen leben viele in der Stadt von der Schleuserwirtschaft. Das ist der Bundesregierung klar. "Wenn das Geschäft der Schleuser jetzt Knall auf Fall gestoppt würde, wäre das auch ein Problem, dann bräuchte es Alternativen", sagt ein hoher Regierungsbeamter.

"Zugang zu europäischen Märkten erleichtern"

Mali wiederum, wie auch Niger und Nigeria, leidet unter islamistischen Gruppen, wie Al Kaida und Boko Haram. Erst am Donnerstag sind 22 Soldaten bei einem Angriff mutmaßlicher Dschihadisten auf ein Flüchtlingslager nahe der Grenze zwischen Mali und Niger getötet worden. Neben der französischen Armee sind in Mali auch mehrere Hundert Bundeswehrsoldaten stationiert. Um sie im Ernstfall schnell aus dem Land holen zu können, könnte die bisher sehr überschaubare Präsenz der Bundeswehr im Nachbarstaat Niger ausgebaut werden.

"Wir müssen eine andere Dimension der Zusammenarbeit einleiten. Das heißt: Investitionen, eine neue Partnerschaft auf Augenhöhe, Zugang zu europäischen Märkte erleichtern, und Wertschöpfung vor Ort, nicht nur Ausbeutung der Ressourcen", sagt Entwicklungsminister Gerd Müller.

Von einer neuen Afrika-Politik, einer Wiederentdeckung des Kontinents, will die Kanzlerin selbst nicht sprechen. Sie nennt eher praktische Ziele: Terror bekämpfen, Schleuser schwächen, Ausbildungswege stärken, damit die vielen jungen Leute Chancen zuhause sehen und sich nicht auf den Weg nach Europa machen. Das habe uns ganz direkt zu interessieren, macht Merkel klar. Denn durch Internet und Smartphones sei Afrika sehr nah an Europa herangerückt.

"Keine Unterstützung für Diktatoren"

Vor Merkels Abreise nach Afrika haben Exil-Äthiopier und die "Gesellschaft für bedrohte Völker" vor dem Brandenburger Tor in Berlin eine Mauer aus bemalten Kartons aufgerichtet. Dazu Fahnen, Schlauchboote, Bilder von Gräueltaten. Äthiopien, das dritte Land auf Merkels Afrika-Tour, war mal ein Vorbild auf dem Kontinent. Inzwischen gibt es Unruhen, Volksgruppen protestieren gegen das Regime. Die Kanzlerin dürfe sich da nicht wegducken, sagte Haile Mengesha, ein Äthiopier in Berlin. "Wir sagen: Keine Untersützung für eine diktatorische Regierung!"

Die Opposition gibt der Kanzlerin eine ähnliche Botschaft mit auf die Reise. Mehr Druck auf Diktatoren, forderte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter im Südwestrundfunk. Es dürfe nicht sein, dass diese Geld dafür bekommen, ihre Grenzen zu sichern, damit die Menschen nicht mehr aus diesen "Großgefängnissen" fliehen könnten. Die Reise an sich der Kanzlerin findet der Grüne aber in Ordnung - es müsse geredet werden, so Hofreiter.

Äthiopien bekommt von Deutschland rund 130 Millionen Euro Entwicklungshilfe im Jahr. Die Kanzlerin wird in der Hauptstadt Addis Abeba ein neues Gebäude der Afrikanischen Union eröffnen, das Deutschland mit 30 Millionen Euro finanziert hat. Merkel fordert mehr Verantwortung der Afrikanischen Union für die Geschicke auf dem Kontinent. Da gebe es Nachholbedarf, aber auch Erfolge, sagt die Kanzlerin in ihrem Podcast: "Es gibt leider noch viele Unruheherde in Afrika. Aber die Afrikanische Union hat ihren Anspruch geändert und geht heute sehr viel selbstbewusster an die Lösung ihrer Konflikte heran."

Bessere Investitionsbedingungen schaffen

Auch in Mali und Niger tut die Bundesregierung eine Menge: Sie baut Schulen, hilft bei Bewässerungsprogrammen für die Landwirtschaft, bei Bildung und Gesundheitsvorsorge. Die Privatwirtschaft interessiert sich langsam immer mehr für den Kontinent, allerdings nur ausgewählt. In Marokko zum Beispiel ist ein großes Solarkraftwerk entstanden. Die Kanzlerin appellierte kurz vor Abreise an Unternehmen, sich verstärkt aufzumachen nach Afrika, und verspricht Unterstützung:

"Es wird vor allem darum gehen, neben der klassischen Entwicklungshilfe auch gute Investitionsbedingungen für private Investitionen zu schaffen", sagte Merkel. "Denn alleine mit staatlichen Unterstützungen wird man die Entwicklung eines ganzen Kontinents nicht voranbringen können. Das heißt, wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, für bessere Möglichkeiten, dass auch Privatleute in Afrika investieren."

Ein Vorsatz, der bei Merkels Tour aber nicht mit Leben gefüllt wird: Anders als sonst üblich nimmt die Kanzlerin keine Wirtschaftsdelegation auf ihre Reise mit.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 09. Oktober 2016 um 08:32 Uhr