Interview

Machtkampf in den palästinensischen Gebieten "Die Hamas braucht die Fatah nicht"

Stand: 15.12.2006 17:59 Uhr

Der Machtkampf zwischen Hamas und Fatah führt zu immer heftigeren Gefechten zwischen den Palästinensern. Stehen die Autonomiegebiete vor einem Bürgerkrieg? Und wer spielt bei dem Machtkampf hinter den Kulissen mit? tagesschau.de sprach darüber mit ARD-Korrespondent Richard C. Schneider.    

Der Machtkampf zwischen Hamas und Fatah führt zu immer heftigeren Gefechten zwischen den Palästinensern. Stehen die Autonomiegebiete vor einem Bürgerkrieg? Und wer spielt bei dem Machtkampf hinter den Kulissen mit? tagesschau.de sprach darüber mit ARD-Korrespondent Richard C. Schneider.

tagesschau.de: Herr Schneider, die Kämpfe in den Straßen im Gaza-Streifen und Westjordanland werden immer heftiger. Herrscht in den Autonomiegebieten nicht bereits ein Bürgerkrieg?

Richard C. Schneider: Im Moment würde ich sagen, dass ein Bürgerkrieg droht. Das ist an sich jedoch nichts Neues. Der Bürgerkrieg hängt hier dauernd in der Luft. Allerdings werden die täglichen Anschläge und Morde immer schlimmer. Man ist offensichtlich bereit, immer weiter zu gehen. Vorhin zum Beispiel wurde im Radio in Gaza verkündet, dass die Schura - das ist eine Art Komitee innerhalb der Hamas -, den Fatah-Führer Mohammed Dahlan töten wolle. Ihm wird vorgeworfen, den Anschlag auf Regierungschef Ismail Hanija befohlen zu haben. Ob das nun passiert oder nicht - es zeigt auf jeden Fall, dass der Ton und die gegenseitigen Vorwürfe schärfer werden. Man muss also abwarten, ob die beiden Fraktionen es noch mal schaffen, wieder Ruhe reinzubringen - oder ob es komplett eskaliert.

tagesschau.de: Sind denn beide Seiten - also Hamas und Fatah - gleichermaßen für die Verschärfung des Konflikts verantwortlich? Oder geht das mehr von der Hamas aus?

Schneider: Nein, das kann man so nicht sagen. Ich denke, dass auch die Fatah ein gewisses Interesse hat, diesen Konflikt weiter zu schüren. Dabei muss man sehen, was dahinter steht: Die Fatah war jahrzehntelang an der Macht und damit jahrzehntelang auch an den Geldquellen. Davon ist sie jetzt abgeschnitten, will aber im Grunde wieder dahin zurück. Gleichzeitig ist dieser Konflikt auch eine Art Stellvertreter-Machtkampf zwischen den zwei Fraktionen: der Hamas, die mittlerweile ganz offensichtlich mit Iran zusammenarbeitet und sich von dort finanzieren lässt, und der Fatah, die weiter auf den Westen setzt und sich von den USA unterstützen lässt – und damit indirekt von den Israelis. Es geht also auch um gewisse Richtungskämpfe, die eine immer stärkere Rolle spielen.

"Einen offenen Bürgerkrieg will niemand"

tagesschau.de: Und welche Rolle spielen neben Iran Syrien und die Hisbollah? Gibt es da vielleicht sogar ein gewisses Interesse, die Region gar nicht zur Ruhe kommen zu lassen?

Schneider: Sagen wir so: Dass es innerhalb der palästinensischen Autonomiegebiete zu einem echten Bürgerkrieg kommt, das will eigentlich niemand. Schon allein aus dem Grund nicht, weil dann alle sagen: Israel ist der lachende Dritte. Aber dennoch gibt es diesen Machtkampf, der auf Dauer auch nicht zu befrieden sein wird.

Die Rolle, die Syrien und die Hisbollah spielen, ist ähnlich wie die Irans. In Damaskus ist das Büro des Hamas-Führers Khaled Maschal. Er wird also ganz offensichtlich von Syrien unterstützt. Syrien ist ein Alliierter Irans. Und Syrien spielt nach wie vor auch im Libanon durch die Unterstützung der Hisbollah eine große Rolle. Angeblich sind die Waffenlieferungen seit Ende des Libanon-Krieges über Syrien wieder so weit gediehen, dass die Hisbollah schon wieder fast alle Raketen aufgefüllt hat, die sie auf Israel abgeschossen hatte. Das heißt: Es gibt den Einfluss Irans nördlich von Israel, also im Libanon mit der Hisbollah, und es gibt den wachsenden Einfluss Irans im Süden mit der Hamas. Das ist eine Entwicklung, die für Israel, aber auch die gesamte Region, sehr bedrohlich ist.

Einheitsregierung? Keiner glaubt mehr daran!

tagesschau.de: Eine Zeitlang sah es doch so aus, als käme eine Regierung der nationalen Einheit zustande...

Schneider: Das behauptet der Westen! Das sah von hier aus eigentlich nie so aus. Es war immer das gleiche Prozedere: Immer wieder die Verkündung, dass man "demnächst" eine nationale Einheitsregierung haben würde. Die Medien stürzten sich darauf, verkündeten es - vergaßen dabei aber regelmäßig, das Kleingedruckte zu lesen. Denn da wurde immer ein „aber“ und ein „wenn“ formuliert. Hier in der Region, inklusive den Palästinensergebieten, glaubt seit geraumer Zeit niemand mehr daran, dass es zu einer nationalen Einheitsregierung kommen könnte. Und es schaut jetzt weniger denn je danach aus.

tagesschau.de: Und was bedeutet das nun? Was folgt?

Schneider: Das ist die Frage. Entweder es kommt zu dem bereits viel zitierten Bürgerkrieg. Oder es wird weitergehen wie bisher. Das heißt: Man wird immer wieder kurze Phasen der Ruhe einkehren lassen, wird wieder weiter verhandeln, wird versuchen, eine Lösung zu finden – und dann kommt man wieder nicht weiter. Auch die Idee einer Technokraten-Regierung, die im Hintergrund steht, ist sehr unwahrscheinlich. Auch die wäre wiederum nur eine Farce. Denn auch dabei würde Hamas die Oberhand behalten – zumindest im Hintergrund. Und ob das die Fatah akzeptieren wird, ist fraglich.

Hinzu kommt noch etwas: Die Hamas soll von Iran 250 Millionen Dollar bekommen - vorausgesetzt das Geld gelangt tatsächlich nach Gaza. Das aber ist nicht unwahrscheinlich. Denn genauso wie man in der Lage ist, Waffen durch Tunnels zu schmuggeln, kann man auch Geld durch Tunnels schmuggeln. Von den angekündigten 250 Millionen Dollar sind – so wird hier berichtet – 100 Millionen angeblich für die Hamas vorgesehen, der Rest unter anderem für Gehälter. Damit kann die Hamas - so wie sie es bereits getan hat - Waffen und sonstiges militärisches Gerät kaufen. Damit wird sie immer unabhängiger. Die Hamas braucht die Fatah nicht. De facto braucht die Hamas die Fatah viel weniger als umgekehrt.

Das Gespräch führte Britta Scholtys, tagesschau.de