Ratspräsidentin wirbt für EU-Verfassung Merkel will "Europas Seele" finden

Stand: 17.01.2007 12:53 Uhr

Mit ungewöhnlich persönlichen Worten hat Bundeskanzlerin Merkel vor dem Europaparlament ihr Programm für die Ratspräsidentschaft vorgestellt. Sie selbst sei erst vor 17 Jahren, nach der Wiedervereinigung, "in die Europäische Union aufgenommen worden." Eindringlich warb sie erneut für eine EU-Verfassung.

Von Martin Durm,ARD-Hörfunkstudio Straßburg

Darauf hatten die Abgeordneten im Europäischen Parlament lange gewartet: Dass endlich einmal jemand zu ihnen kommt und nicht nur von Richtlinien spricht, von Verfahren und Regeln, sondern davon, was es eigentlich heißt, Europäer zu sein: "Mein ganzes Leben habe ich in Europa verbracht. In der Europäischen Union aber bin ich noch eine Jugendliche. Denn aufgewachsen bin ich in der ehemaligen DDR und erst vor 17 Jahren bin ich gemeinsam mit vielen Millionen anderen Menschen in die Europäische Union aufgenommen worden“, sagte Merkel.

Sie zeigte sich den Parlamentariern zunächst einmal als Bürgerin Europas, nicht als Ratspräsidentin oder Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Auf diese Art ist sie aber einem ihrer politischen Ziele näher gekommen: während des deutschen EU-Vorsitzes klar zu beschreiben, was die Europäische Union im Innersten trägt. Merkel zitiert den großen europäischen Politiker Jaques Delors, der einmal sagte: "Wir müssen Europas Seele suchen": "Ich darf mit meinen Worten hinzufügen: Wir müssen Europas Seele finden. Denn eigentlich brauchen wir sie Europa nicht zu geben, weil sie schon bei uns ist.“

Das klingt fast schon pastoral, wie sie da spricht. Und doch ist das keine Sonntagsrede vor dem Europäischen Parlament, weil Merkel es versteht, ihre Worte durch die eigene Biographie zu beleben. Das Gleichförmige, das Unfreie und Untolerante hat sie im ehemals sozialistischen Osten erfahren. Europas Seele, sagt sie vor diesem Hintergrund, sei heute die Vielfalt, die Freiheit, die Toleranz.

EU-Verfassung: Warnung vor "historischem Versäumnis"

Das will sie erst einmal aussprechen vor dem Europäischen Parlament und sie hat damit weniger zu Deutschen und Westeuropäern geredet, sondern zu Balten und Polen, Tschechen und Ungarn und auch zu den neuen Abgeordneten aus Bulgarien und Rumänien. Erst jetzt, nach einer halben Stunde, wird aus der Bürgerin Angela Merkel die europäischen Ratspräsidentin, die das Arbeitsprogramm des deutschen EU-Vorsitzes skizziert: Energiepolitik, gute Partnerschaft mit Russland, tiefere Handelsbeziehungen mit den USA, all das kommt zur Sprache, vor allem aber die Europäische Verfassung, die seit fast zwei Jahren blockiert ist.

"Die Phase des Nachdenkens ist vorbei", so Merkel. "Ich setze mich dafür ein, dass am Ende der deutschen Ratspräsidentschaft ein Fahrplan für den weiteren Prozess des Verfassungsvertrages verabschiedet werden kann. Es ist im Interesse Europas, diesen Prozess bis zu den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament, im Frühjahr 2009, zu einem guten Ende zu führen. Ein Scheitern wäre ein historisches Versämnis.“

"Trio-Partnerschaft" mit Portugal und Slowenien

Nur durch die Verfassung werden wir handlungsfähig, sagt Merkel. Ein europäischer Außenminister, klare Mehrheitsentscheidungen in der EU sind für sie unverzichtbar. Natürlich ist sich die Kanzlerin darüber im klaren, dass Deutschland allein wenig bewirken kann in Sachen Verfassung. Die Franzosen werden sich in den kommenden Wochen ausschließlich mit dem Wahlkampf befassen und in sechs Monaten ist die deutsche Ratspräsidentschaft schon wieder beendet.

Aber gerade deshalb hat die Kanzlerin jetzt schon diejenigen in ihr Programm eingebunden, die nach ihr den EU-Vorsitz übernehmen: erst die Portugiesen, dann die Slowenen. Mit beiden Staatschefs trifft sie sich heute in Straßburg. Trio-Präsidentschaft nennt sich dieser Versuch, etwas mehr Ruhe und Beständigkeit in das schnell rotierende EU-Karussell reinzubringen. Das hat noch kein Ratspräsident vor Angela Merkel gewagt.